Tommy der Flieger.
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Fräulein", suchte ich sie zu beruhigen, „fürchten Sie sich doch
nicht; für was halten Sie mich denn?" —
„Ich denke gar nicht daran, mich zu fürchten", entgegnete
sie geringschätzend, indem sie die Oberlippe verächtlich aufwarf,
was mir blendend weiße perlzähnchen enthüllte, „Sie Lin-
brecherl"
Nun mußte ich doch lachen: „Das ist ein kleiner Irrthum,
inein werthes Fräulein, ich bin „Tommy der Flieger"!"
Sie ließ den Revolver sinken, trat näher und betrachtete mich
lange mit ernsthafter Miene.
„So", sagte sie endlich, „Sie sind also der berüchtigte
Schmuggler, der Mann, der seine außergewöhnlichen Körper-
fähigkeiten dazu benutzt, um den Staat zu betrügen I . . Unter-
brechen Sie mich nicht, inein Herr; denn ich freue mich, daß ich
endlich einiiial Gelegenheit habe, Ihnen das zu sagen. Man
bewundert Sie wohl und mein Rater schwärmt sogar für Sie;
denn Sie haben ihm ja zu seinen Reichthümern verholfen. wissen
Sie aber, was Sie für mich sind?. . Einfach eine Mißgeburt,
wie alle Geschöpfe, die nicht, wie wir, normale Menschen sind.
Gerade wie der Mann init dem Hundskopf oder das Kalb mit
den sechs Beinen!"
Sie war unbeschreiblich schön in ihrem Zorn.
„Sie würden es also lieber sehen, wenn ich nicht fliegen
könnte?" fragte ich sehr höflich.
„welche Frage!" fing sie wieder an zu eifern, „wie ich die
siamesischen Zwillinge sah, hatte ich auch nur den einen Wunsch,
daß man sie trennen möge." — Dann aber wollte sie doch mit
echt weiblicher Neugierde wissen, wieso ich zu fliegen vermöchte,
und ich erzählte ihr auch alles ganz harmlos, und daß ich mich
auf Magerkeit trainirt habe, um mich noch leichter in der Luft
bewegen zu können.
„Fällt Ihnen denn das hungern so leicht?"
„Ach nein, gar nicht!" erwiderte ich der Wahrheit gemäß,
und dann bat ich sie, meine Frau zu werden.
Seltsamerweise sagte das holdselige Ge-
«L schöpf nicht „nein"; sie warf mich auch nicht
hinaus und schoß inir keine Kugel in den
Leib, wie ich wohl hätte erwarten dürfen.
Sie überlegte vielmehr nur
kurze Zeit, dann schlug sie ihre
wunderbaren Augen zu mir auf
und sagte:
„Sie gefallen mir!"
Ich zog sie stürmisch in
meine Arme. Natürlich stellte
sie auch Bedingungen. So
mußte ich ihr versprechen, von
der Hochzeit ab drei Monate
lang nicht mehr in die Lüste
zu steigen, niemals während
dieser Zeit über das Lffen zu
brummen, sondern alles, was
sie mir vorsetzen werde, ohne
Widerrede zu verspeisen.
Natürlich jagte ich gerne zu.-
. ^U' ™acl?ten feine Hochzeitsreise, sondern zogen uns in ein
reizendes Landhaus zurück, wo wir selige Flitterwochen ver-
r Zmem übliches Weibchen — Gott Hab' sie selig —
flieaen ^"^ /^- auszubedingen brauchen, daß ich nicht
stlegen dürfe; denn ich wich überhaupt nicht mehr von ihrer
Seite. Verwundert war ich allerdings über ihren sonderbaren
Küchenzettel. Zu jeder Mahlzeit gab es Klöse: aus Kartoffeln,
aus weck, aus Mehl, aus Fleisch — genug, alle Arten Klöse, und
meine Frau schöpfte mir stets heraus, als hätte ich Jahre lang
nichts gegessen, was ja auch einestheils seine Richtigkeit hatte.
. . . Na, könnt Ihr Luch das Lnde noch nicht denken?" frug
hier Nr. Brownsield die Tischgesellschaft. „Als die drei Monate
um waren, hatte mir mein Weibchen einen gewaltigen Schmeer-
bauch angemästet, und vom Fliegen konnte unter diesen Umständen
keine Rede mehr sein, wenn ich auch noch so gerne gewollt hätte.
Aber, offen gestanden, ich wollte auch gar nicht mehr, dazu war
ich viel zu bequem geworden. So brachte es meine Frau fertig,
aus mir einen normalen Menschen zu machen, der nur einen etwas
ungewöhnlichen Leibesumfang hat! . . .
Prost, meine Herren!" schloß Nr. Brownsield seine wunder-
bare Erzählung, stand auf und ließ uns mit verblüfften Ge-
sichtern zurück. . .
Wilhelm Neter.
GlSv Nachtwandelnde Blüthen. so
TDas regt sich drunten am Stege,
Gleitet lautlos und sacht
Ueber blumige Wege
In tiefer, schweigender Rächt?
Gestorb'ner Blüthen Seelen
Nachtwandeln auf blumigem Rain
Und singen die blühenden Schwestern
In selige Träume ein. B.
A u f U m wege it.
„Sagt mir einmal, Huber-Bauer, warum verlaßt Ihr immer
die Kirche, bevor ich meine Predigt anfange?" — ,,J' macht' scho'
bleib'n, Hochwürden — aber i' trau' mi' uet!" — „Ja warum dem:
nicht?" — „Wissen S', Hochwürden, weil i' halt a' bisserl schnarch'!"
Zarter Wink.
Onkel (auf Besuch bei seinem Neffen): „Dein Geldbriefträger
ist ja ein kolossal korpulenter Mensch!"
Studiosus: „Ja weißt Du, lieber Onkel, solange er monatlich
nur einmal meine vier Treppen zu steigen hat, wird der arme
Kerl auch nicht dünner werden!"
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Fräulein", suchte ich sie zu beruhigen, „fürchten Sie sich doch
nicht; für was halten Sie mich denn?" —
„Ich denke gar nicht daran, mich zu fürchten", entgegnete
sie geringschätzend, indem sie die Oberlippe verächtlich aufwarf,
was mir blendend weiße perlzähnchen enthüllte, „Sie Lin-
brecherl"
Nun mußte ich doch lachen: „Das ist ein kleiner Irrthum,
inein werthes Fräulein, ich bin „Tommy der Flieger"!"
Sie ließ den Revolver sinken, trat näher und betrachtete mich
lange mit ernsthafter Miene.
„So", sagte sie endlich, „Sie sind also der berüchtigte
Schmuggler, der Mann, der seine außergewöhnlichen Körper-
fähigkeiten dazu benutzt, um den Staat zu betrügen I . . Unter-
brechen Sie mich nicht, inein Herr; denn ich freue mich, daß ich
endlich einiiial Gelegenheit habe, Ihnen das zu sagen. Man
bewundert Sie wohl und mein Rater schwärmt sogar für Sie;
denn Sie haben ihm ja zu seinen Reichthümern verholfen. wissen
Sie aber, was Sie für mich sind?. . Einfach eine Mißgeburt,
wie alle Geschöpfe, die nicht, wie wir, normale Menschen sind.
Gerade wie der Mann init dem Hundskopf oder das Kalb mit
den sechs Beinen!"
Sie war unbeschreiblich schön in ihrem Zorn.
„Sie würden es also lieber sehen, wenn ich nicht fliegen
könnte?" fragte ich sehr höflich.
„welche Frage!" fing sie wieder an zu eifern, „wie ich die
siamesischen Zwillinge sah, hatte ich auch nur den einen Wunsch,
daß man sie trennen möge." — Dann aber wollte sie doch mit
echt weiblicher Neugierde wissen, wieso ich zu fliegen vermöchte,
und ich erzählte ihr auch alles ganz harmlos, und daß ich mich
auf Magerkeit trainirt habe, um mich noch leichter in der Luft
bewegen zu können.
„Fällt Ihnen denn das hungern so leicht?"
„Ach nein, gar nicht!" erwiderte ich der Wahrheit gemäß,
und dann bat ich sie, meine Frau zu werden.
Seltsamerweise sagte das holdselige Ge-
«L schöpf nicht „nein"; sie warf mich auch nicht
hinaus und schoß inir keine Kugel in den
Leib, wie ich wohl hätte erwarten dürfen.
Sie überlegte vielmehr nur
kurze Zeit, dann schlug sie ihre
wunderbaren Augen zu mir auf
und sagte:
„Sie gefallen mir!"
Ich zog sie stürmisch in
meine Arme. Natürlich stellte
sie auch Bedingungen. So
mußte ich ihr versprechen, von
der Hochzeit ab drei Monate
lang nicht mehr in die Lüste
zu steigen, niemals während
dieser Zeit über das Lffen zu
brummen, sondern alles, was
sie mir vorsetzen werde, ohne
Widerrede zu verspeisen.
Natürlich jagte ich gerne zu.-
. ^U' ™acl?ten feine Hochzeitsreise, sondern zogen uns in ein
reizendes Landhaus zurück, wo wir selige Flitterwochen ver-
r Zmem übliches Weibchen — Gott Hab' sie selig —
flieaen ^"^ /^- auszubedingen brauchen, daß ich nicht
stlegen dürfe; denn ich wich überhaupt nicht mehr von ihrer
Seite. Verwundert war ich allerdings über ihren sonderbaren
Küchenzettel. Zu jeder Mahlzeit gab es Klöse: aus Kartoffeln,
aus weck, aus Mehl, aus Fleisch — genug, alle Arten Klöse, und
meine Frau schöpfte mir stets heraus, als hätte ich Jahre lang
nichts gegessen, was ja auch einestheils seine Richtigkeit hatte.
. . . Na, könnt Ihr Luch das Lnde noch nicht denken?" frug
hier Nr. Brownsield die Tischgesellschaft. „Als die drei Monate
um waren, hatte mir mein Weibchen einen gewaltigen Schmeer-
bauch angemästet, und vom Fliegen konnte unter diesen Umständen
keine Rede mehr sein, wenn ich auch noch so gerne gewollt hätte.
Aber, offen gestanden, ich wollte auch gar nicht mehr, dazu war
ich viel zu bequem geworden. So brachte es meine Frau fertig,
aus mir einen normalen Menschen zu machen, der nur einen etwas
ungewöhnlichen Leibesumfang hat! . . .
Prost, meine Herren!" schloß Nr. Brownsield seine wunder-
bare Erzählung, stand auf und ließ uns mit verblüfften Ge-
sichtern zurück. . .
Wilhelm Neter.
GlSv Nachtwandelnde Blüthen. so
TDas regt sich drunten am Stege,
Gleitet lautlos und sacht
Ueber blumige Wege
In tiefer, schweigender Rächt?
Gestorb'ner Blüthen Seelen
Nachtwandeln auf blumigem Rain
Und singen die blühenden Schwestern
In selige Träume ein. B.
A u f U m wege it.
„Sagt mir einmal, Huber-Bauer, warum verlaßt Ihr immer
die Kirche, bevor ich meine Predigt anfange?" — ,,J' macht' scho'
bleib'n, Hochwürden — aber i' trau' mi' uet!" — „Ja warum dem:
nicht?" — „Wissen S', Hochwürden, weil i' halt a' bisserl schnarch'!"
Zarter Wink.
Onkel (auf Besuch bei seinem Neffen): „Dein Geldbriefträger
ist ja ein kolossal korpulenter Mensch!"
Studiosus: „Ja weißt Du, lieber Onkel, solange er monatlich
nur einmal meine vier Treppen zu steigen hat, wird der arme
Kerl auch nicht dünner werden!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Tommy der Flieger"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1902
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 117.1902, Nr. 2978, S. 89
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg