Der gute und der böse Geist. ~f5=>
*> war an einem schönen Sommermontag nachmittags, als
der Waldhofbauer Nazi über die steinerne Freitreppe
des Pfarrhofes, den er soeben verlassen hatte, hinab-
fiel, weil er im tiefen Sinnen nicht bedacht hatte, daß er
herunter und nicht hinaufzugehen hatte. Langsam erhob er sich,
würgte einen kräftigen Fluch hinunter, setzte sein Kütl aus und
suchte den Rosenstrauch, aus welchen er fich unfreiwillig gesetzt
hatte, wieder aufzurichten. Dann sah er scheu zum Fenster auf,
ob der fjerr seinen Fall mit angesehen habe, und als er kein An-
zeichen hievon entdeckt hatte, entfernte er sich langsam. In
seineni Rapse surrte und brummte es, wie in einem Bienen-
haus; der Herr Pfarrer hatte ihm Dinge gesagt, die von schwer-
wiegendster Bedeutung waren. Der Nazi war „verschafft"
worden und hatte keine Ahnung, wozu, warum und weswegen.
Sein Hauskreuz hatte den Herrn Pfarrer himmelhoch gebeten,
er möge doch dem Maldhofbauern einmal den Standpunkt klar-
machen, weil derselbe mehr iin Wirtshaus, als in anderen
Käufern zu weilen pflegte.
Der Herr hatte dem Ansuchen der Frau entsprochen und
den Nazi ordentlich dazwischen genommen. Er hatte ihm die
zeitlichen und ewigen Nachteile der Trunkenboldigkeit in den
lebhaftesten Farben geschildert, bis der Nazi völlig zerknirscht
war und Besserung geschworen hatte. Etwas ganz besonderes
hatte ihm aber der wackere Seelenhirte beigebracht, was dem
Nazi nicht aus dem Ropf wollte. „Siechst', Nazi," hat er gesagt,
„die G'schicht' ist so: Wie in jedem Menschen, so wohnen auch
in Deinem Innern zwei Geister — ein guter und ein böser.
Wenn Du zu einem Wirtshaus kommst, so wird gleich der böse
zum reden anheben und wird Dir vorstellen, wie lustig es da
drinnen zugeht, wie gut das Bier war', wie viel daß Du im
Rarteln gewinnen könnt'st und was halt sonst noch alles in
einer solchen Lasterhöhle zum derkriegen ist. Dann aber wird
der gute Geist seine Stimme erheben und wird Dich dran er-
innern, welch' grausame Folgen die viehische Sauferei hat,
wie 's Deine G'sundheit zu Grund' richt', und wie 's Dich in
Deine Verhältniff' immer mehr herunterbringt — abgesehen von
den ewigen Strafen, die Dich im Jenseits erwarten. Dem
guten Geist sollst D' nachher Gehör schenken und Du wirst den
bösen leicht besiegen, und stolz, mit hocherhobenem Haupte
wirst Du am Wirtshaus Vorbeigehen." — So hatte der Pfarrer
gesagt und seine Rede hatte den besten Eindruck auf den
Nazi gemacht; er dachte nur an die zwei Geister, die in
seiner Brust wie in einem Vogelhaus auf- und abhupften
und auf Gelegenheit warteten, mit ihm zu diskurieren.
Gedankenvoll ging er dahin und kam bis zum Lammwirt;
er dachte an den guten Geist und ging stolz mit hocherhobenem
Haupte.vorüber. Gleich darauf kam der Kirschwirt in Sicht;
aber auch bei dem ging er stolz, mit hocherhobenem Haupte
vorüber; ebenso beim „Dchsen". Jetzt hatte er nur noch einige
hundert Schritt' bis zum Waldhof zurückzulegen und der gute
Geist erschöpfte sich bereits in Belobigungen des tapfern Nazi.
Da tönte auf einmal vom „Dchsen" her ein eigenartiges Rloxfen
an sein Dhr, gerade als ob „angezapft" würde, und ein mehr-
stimmiges „da geh' eina, Nazi" ließ sich laut und deutlich
vernehmen. Nazi blieb stehen, nahm den Hut ab und wischte
sich die Hellen Schweißtropfen von der Stirn. Natürlich, denn
jetzt fingen die zwei Geister in seiner Brust anders zu rebellieren
an. Bald sagte ihm der gute Geist, bald wieder der böse
etwas in's Dhr, und immer eindringlicher wurden ihre Lockungen
und Vorstellungen. Der Nazi wußte sich fast nicht mehr zu helfen;
völlig ratlos sah er zum blauen Montag-Himmel auf. Plötzlich
leuchtete die Helle Freude aus seinem Gesichte — er hatte einen
Ausweg entdeckt. „So mach'n wir's", sagte er bestimmt und fest;
„der guate Geist sagt, geh ja net eine u. s. w. u. s. w., der böse
sagt, geh nur eine u. s. w. u. s. w.l.. Wißt's jetzt was! Macht's
ös zwoa Geister die G'schicht' da Heraußen mit'nander aus — i' geh
daweil in „Dchsen" eina und trink' a' Halbe!"
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*> war an einem schönen Sommermontag nachmittags, als
der Waldhofbauer Nazi über die steinerne Freitreppe
des Pfarrhofes, den er soeben verlassen hatte, hinab-
fiel, weil er im tiefen Sinnen nicht bedacht hatte, daß er
herunter und nicht hinaufzugehen hatte. Langsam erhob er sich,
würgte einen kräftigen Fluch hinunter, setzte sein Kütl aus und
suchte den Rosenstrauch, aus welchen er fich unfreiwillig gesetzt
hatte, wieder aufzurichten. Dann sah er scheu zum Fenster auf,
ob der fjerr seinen Fall mit angesehen habe, und als er kein An-
zeichen hievon entdeckt hatte, entfernte er sich langsam. In
seineni Rapse surrte und brummte es, wie in einem Bienen-
haus; der Herr Pfarrer hatte ihm Dinge gesagt, die von schwer-
wiegendster Bedeutung waren. Der Nazi war „verschafft"
worden und hatte keine Ahnung, wozu, warum und weswegen.
Sein Hauskreuz hatte den Herrn Pfarrer himmelhoch gebeten,
er möge doch dem Maldhofbauern einmal den Standpunkt klar-
machen, weil derselbe mehr iin Wirtshaus, als in anderen
Käufern zu weilen pflegte.
Der Herr hatte dem Ansuchen der Frau entsprochen und
den Nazi ordentlich dazwischen genommen. Er hatte ihm die
zeitlichen und ewigen Nachteile der Trunkenboldigkeit in den
lebhaftesten Farben geschildert, bis der Nazi völlig zerknirscht
war und Besserung geschworen hatte. Etwas ganz besonderes
hatte ihm aber der wackere Seelenhirte beigebracht, was dem
Nazi nicht aus dem Ropf wollte. „Siechst', Nazi," hat er gesagt,
„die G'schicht' ist so: Wie in jedem Menschen, so wohnen auch
in Deinem Innern zwei Geister — ein guter und ein böser.
Wenn Du zu einem Wirtshaus kommst, so wird gleich der böse
zum reden anheben und wird Dir vorstellen, wie lustig es da
drinnen zugeht, wie gut das Bier war', wie viel daß Du im
Rarteln gewinnen könnt'st und was halt sonst noch alles in
einer solchen Lasterhöhle zum derkriegen ist. Dann aber wird
der gute Geist seine Stimme erheben und wird Dich dran er-
innern, welch' grausame Folgen die viehische Sauferei hat,
wie 's Deine G'sundheit zu Grund' richt', und wie 's Dich in
Deine Verhältniff' immer mehr herunterbringt — abgesehen von
den ewigen Strafen, die Dich im Jenseits erwarten. Dem
guten Geist sollst D' nachher Gehör schenken und Du wirst den
bösen leicht besiegen, und stolz, mit hocherhobenem Haupte
wirst Du am Wirtshaus Vorbeigehen." — So hatte der Pfarrer
gesagt und seine Rede hatte den besten Eindruck auf den
Nazi gemacht; er dachte nur an die zwei Geister, die in
seiner Brust wie in einem Vogelhaus auf- und abhupften
und auf Gelegenheit warteten, mit ihm zu diskurieren.
Gedankenvoll ging er dahin und kam bis zum Lammwirt;
er dachte an den guten Geist und ging stolz mit hocherhobenem
Haupte.vorüber. Gleich darauf kam der Kirschwirt in Sicht;
aber auch bei dem ging er stolz, mit hocherhobenem Haupte
vorüber; ebenso beim „Dchsen". Jetzt hatte er nur noch einige
hundert Schritt' bis zum Waldhof zurückzulegen und der gute
Geist erschöpfte sich bereits in Belobigungen des tapfern Nazi.
Da tönte auf einmal vom „Dchsen" her ein eigenartiges Rloxfen
an sein Dhr, gerade als ob „angezapft" würde, und ein mehr-
stimmiges „da geh' eina, Nazi" ließ sich laut und deutlich
vernehmen. Nazi blieb stehen, nahm den Hut ab und wischte
sich die Hellen Schweißtropfen von der Stirn. Natürlich, denn
jetzt fingen die zwei Geister in seiner Brust anders zu rebellieren
an. Bald sagte ihm der gute Geist, bald wieder der böse
etwas in's Dhr, und immer eindringlicher wurden ihre Lockungen
und Vorstellungen. Der Nazi wußte sich fast nicht mehr zu helfen;
völlig ratlos sah er zum blauen Montag-Himmel auf. Plötzlich
leuchtete die Helle Freude aus seinem Gesichte — er hatte einen
Ausweg entdeckt. „So mach'n wir's", sagte er bestimmt und fest;
„der guate Geist sagt, geh ja net eine u. s. w. u. s. w., der böse
sagt, geh nur eine u. s. w. u. s. w.l.. Wißt's jetzt was! Macht's
ös zwoa Geister die G'schicht' da Heraußen mit'nander aus — i' geh
daweil in „Dchsen" eina und trink' a' Halbe!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der gute und der böse Geist"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1904
Entstehungsdatum (normiert)
1899 - 1909
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 120.1904, Nr. 3056, S. 87
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg