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In Verlegenheit.
Mariech'en ist mit ihrer Mutter in einer befreundeten Familie zu Gaste. Es wird kaltes Gelee hernmgereicht, und Mariechen
bemüht sich vergebens, mit dem Löffel der hin und her gleitenden Speise beizukommen. „Mama," ruft sie endlich, „ich kann mir
davon nichts nehmen — das Gelee ist so nervös!"
j2_. Unbegrenzte Möglichkeiten.
—&—
er alte, gute Pastor Bender ging in seinem Pfarrgarten,
(5die lange Pfeife rauchend, mit nachdenklichem Gesicht auf
und ab. (Er memorierte seine Sonntagspredigt und sah
non Zeit zu Zeit nach dem Gelegenheitsarbeiter Lhristian Mscherott,
der im Pfarrgarten die lsecke reparierte und beschnitt.
Dem Pfarrer schien die Arbeit keinen rechten Fortgang zu
nehmen. Gscherott war erst kürzlich von außerhalb zugezogen,
aber man munkelte schon, daß er ein recht räudiges Schaf in der
Gemeinde sei. Der Pfarrer hatte ihm auf sein dringendes Bitten
die Arbeit übertragen und nun bastelte Dscherott schon seit drei
Tagen an der lsecke herum. Dft verließ er auch die Arbeits-
stelle, um, wie er sagte, Draht zu kaufen, den er zum Binden
der lseckenpfähle benötige, und wofür er sich jedesmal von dem
guten Pfarrer 30 Pfennig hatte geben lassen. Jetzt trat der
Pfarrer näher an ihn heran und beschaute diesmal seine Arbeit
gründlicher. Ein Fuselgeruch schien von Lhristian Dscherott aus-
zuströmen.
„Gscherott, Ihr vertrinkt doch nicht etwa den Draht?" frug
der Pfarrer mißtrauisch, „ich meine, schon einmal gehört zu haben,
daß Ihr ein Saufbruder wäret und, statt zu arbeiten, oft im
Wirtshause läget."
„Aber Uerr Pfarrer", antwortete Lhristian und kroch mit
Geschwindigkeit an der lseckc entlang und zeigte auf viele Stellen,
wo er die lsecke gebunden haben wollte. Dem Pfarrer aber kam
es vor, als ob dies meist alte Reparaturen seien, denn der Drahi
war schon rostig.
„Ja, perr Pfarrer," verteidigte sich Dscherott mit der größten
Zungenfertigkeit, „das macht die Feuchtigkeit, die der trockene
Draht anzieht. Und nnt dem Trinken, kjerr Pfarrer, da ist's auch
so schlimm nicht. Da kann ich d'rauf schwören, daß ich höchstens
'mal trinke, wenn ich allein oder in Gesellschaft bin; sonst trinke
ich doch das ganze Jahr keinen Tropfen. — Das ist keine Lüge,
kferr Pfarrer, so wahr ich Gscherott heiße."
„So — so," sagte der gute Pfarrer, durch den Redeschwall
Gscherotts ganz überwältigt, „Lhristian, ich will Luch ja kein
Unrecht tun, und es freut mich, daß es mit dem Trinken so schlimm
nicht ist, wie es mir hinterbracht wurde." —
Der Pfarrer nahm seinen Spaziergang wieder auf und dachte
In Verlegenheit.
Mariech'en ist mit ihrer Mutter in einer befreundeten Familie zu Gaste. Es wird kaltes Gelee hernmgereicht, und Mariechen
bemüht sich vergebens, mit dem Löffel der hin und her gleitenden Speise beizukommen. „Mama," ruft sie endlich, „ich kann mir
davon nichts nehmen — das Gelee ist so nervös!"
j2_. Unbegrenzte Möglichkeiten.
—&—
er alte, gute Pastor Bender ging in seinem Pfarrgarten,
(5die lange Pfeife rauchend, mit nachdenklichem Gesicht auf
und ab. (Er memorierte seine Sonntagspredigt und sah
non Zeit zu Zeit nach dem Gelegenheitsarbeiter Lhristian Mscherott,
der im Pfarrgarten die lsecke reparierte und beschnitt.
Dem Pfarrer schien die Arbeit keinen rechten Fortgang zu
nehmen. Gscherott war erst kürzlich von außerhalb zugezogen,
aber man munkelte schon, daß er ein recht räudiges Schaf in der
Gemeinde sei. Der Pfarrer hatte ihm auf sein dringendes Bitten
die Arbeit übertragen und nun bastelte Dscherott schon seit drei
Tagen an der lsecke herum. Dft verließ er auch die Arbeits-
stelle, um, wie er sagte, Draht zu kaufen, den er zum Binden
der lseckenpfähle benötige, und wofür er sich jedesmal von dem
guten Pfarrer 30 Pfennig hatte geben lassen. Jetzt trat der
Pfarrer näher an ihn heran und beschaute diesmal seine Arbeit
gründlicher. Ein Fuselgeruch schien von Lhristian Dscherott aus-
zuströmen.
„Gscherott, Ihr vertrinkt doch nicht etwa den Draht?" frug
der Pfarrer mißtrauisch, „ich meine, schon einmal gehört zu haben,
daß Ihr ein Saufbruder wäret und, statt zu arbeiten, oft im
Wirtshause läget."
„Aber Uerr Pfarrer", antwortete Lhristian und kroch mit
Geschwindigkeit an der lseckc entlang und zeigte auf viele Stellen,
wo er die lsecke gebunden haben wollte. Dem Pfarrer aber kam
es vor, als ob dies meist alte Reparaturen seien, denn der Drahi
war schon rostig.
„Ja, perr Pfarrer," verteidigte sich Dscherott mit der größten
Zungenfertigkeit, „das macht die Feuchtigkeit, die der trockene
Draht anzieht. Und nnt dem Trinken, kjerr Pfarrer, da ist's auch
so schlimm nicht. Da kann ich d'rauf schwören, daß ich höchstens
'mal trinke, wenn ich allein oder in Gesellschaft bin; sonst trinke
ich doch das ganze Jahr keinen Tropfen. — Das ist keine Lüge,
kferr Pfarrer, so wahr ich Gscherott heiße."
„So — so," sagte der gute Pfarrer, durch den Redeschwall
Gscherotts ganz überwältigt, „Lhristian, ich will Luch ja kein
Unrecht tun, und es freut mich, daß es mit dem Trinken so schlimm
nicht ist, wie es mir hinterbracht wurde." —
Der Pfarrer nahm seinen Spaziergang wieder auf und dachte
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In Verlegenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1910 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 134.1911, Nr. 3416, S. 24
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg