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C> $ce Geheimnis. ^
(Lin Märchen.)
7/^ s war einmal eine Jungfrau, namens Thusnelda; die be-
Q--, wohnte ein kleines schniuckes Häuschen am Eingang eines
^ Dorfes und war auch sonst mit irdischen Glücksgütern
reich gesegnet. Sie war über die Maßen neugierig, und man sah
sie säst den ganzen Tag ani Fenster oder vor der Tür, denn sie
hätte es nicht ertragen, einen Vorübergehenden nicht gesehen und
angeredet zu haben. So wußte sie denn auch alles, was im Dorfe
passierte. Sie wußte genau, wieviel der Drittelbauer für seine
fette Kuh bekommen hatte, weshalb die Verlobung der Walpurga
Rothahn mit dem leichtsinnigen Weber Johann noch in letzter
Stunde zurückgegangen sei — ja sie wußte sogar, daß der Lorenz,
des Dukatenbauern Ältester, eine Liebschaft mit der Aathi aus
dcni Armenhause habe, und dazu gehörte doch gewiß viel Scharf-
sinn, denn den Beteiligten selber war es noch unbekannt.
Da das Pauschen der neugierigen Jungfrau an der verkehrs-
reichen Landstraße lag, so kam sie oft den ganzen Tag nicht von
ihrem Posten fort. Darunter litt nun natürlich der pausstand,
und auch ihrem eigenen Gedeihen war es nicht vorteilhaft. Sie
magerte ab und wurde spindeldürr.
Da dachte die Jungfrau bei sich: Ich will mir einen Mann
nehmen. Der kann dann auf die Vorübergehenden achten, während
ich das paus besorge und das Essen koche.
Lange wollte es ihr nicht gelingen, ihren Plan auszuführen,
denn ihre Reize lockten niemanden.
Einmal kam aber doch ein Mann an ihrem päuschen vorüber,
der ihr sehr gefiel, ohne daß sie gleich hätte sagen können, ives-
halb. Sic trat deshalb eilig aus ihrer Haustür, ging auf den
Fremden zu und sprach: „Mit Verlaub, perr, habt Ihr einen
Augenblick Zeit, so will ich Euch einen Arug Bier bringen. Es
ist heiß heute inid der Weg ist staubig."
Dankend nahm der Fremde das Anerbieten an. Er setzte sich
auf die Bank, die vor dem päuschen stand, und trank begierig
den Trank, den ihm Thusnelda holdselig lächelnd bot.
Gleich fing sie auch an, von ihrer Neugier getrieben, den
Fremden auszufragen. Da hörte sie denn, daß er aus der Paupt-
üadt komme und Zeitungsreporter sei. Das unbekannte Wort
flößte ihr großen Respekt ein, und als sie nun gar erfuhr, daß
ein Reporter die Neuigkeiten für eine Zeitung zu sammeln habe,
wußte sie, daß sie den rechten Mann gefunden hatte.
2>e entfaltete nun alle ihre Aünste. Erzählte ihm von ihren
Eltern selig, deren einziges Kind sie gewesen sei, und deren reiche
Hinterlassenschaft ihr mehr Leid wie Lust bereite, wenn sie niemand
habe, mit dem sie alles gemeinsam genießen könne.
Dem Fremden mochte es behagen, paus und vermögen so auf
dem Präsentierteller angeboten zu bekommen. Er mochte denken,
daß es immerhin besser sei, behaglich im eigenen peim zu sitzen,
als tagaus, tagein in den Straßen der Stadt nach Neuigkeiten zu
suchen, die nicht einmal gut bezahlt wurden, oder irgendeine Be-
rühmtheit zu interviewen, wobei man in Gefahr kam, den pals
zu brechen, wenn man die Treppe hinunterflog. Er willigte ein,
Jungfrau Thusnelda zu ehelichen, wenngleich ihre Gestalt und
ihre reifen Jahre wenig Verlockendes hatten.
So sah man von nun an die beiden vor ihrem päuschen
stehen und nach Neuigkeiten ausspähen. Bald aber kamen sie
überein, sich abzuwechseln, und so kam es denn, daß bei Sonnen-
schein und gutem Wetter die Frau vor dem Pause stand, und bei
Sturm und Regen der Mann. —
So vergingen ein paar Jahre. Da ging eines Abends eine
große schwarzgekleidete Frau an dem PLuschen vorüber. Ihr
Antlitz war von einem dichten schwarzen Schleier verhüllt, so daß
man ihre Züge nicht erkennen konnte. Da es Abend war und
es sonst nichts zu tun gab, standen beide Eheleute vor der Tür.
Die vermummte Frenrde wollte schweigend vorübergehen. Doch
das hätte Frau Thusnelda niemals geschehen lassen. Sie gab
ihrem Aianne eine» Wink mit den Augen, er möge die Frenide
ausfragen. So trat denn dieser auf die Frau zu, und indem er
eine so tiefe Verbeugung machte wie ehemals vor einer berühmten
Diva oder einem berüchtigten Raubmörder vor dem Interview,
sprach er: „Mit Verlaub, werte Dame, woher kommt Ihr, und
wohin wollt Ihr? Soll ich Euch den weg zeigen?"
Die Frenide blieb stehen und sprach mit tiefer geheimnisvoller
Stimme: „Ich komme aus dem Lande Unbekannt und will in die
Stadt — fragt mich nicht!" — „Und wie ist Euer Name, edle Frau?"
- „Meinen Namen möchte ich Euch nicht nennen, denn ich darf
ihn nur flüsternd aussprechen, und versteht Ihr ihn nicht, hat er
Unheil für Euch im Gefolge."
Nun aber war die Neugier von Frau Thusnelda und ihrem
Gatten in höchstem Maße erregt. Sie beschworen die Unbekannte,
ihnen doch zu sagen, wer sie wäre, sie wollten auch gewiß gut
aufpassen. Da sprach die Frau: „Nun wohl denn, Ihr wollt
nicht anders, so tragt denn die Folgen als Strafe Eurer Neu-
gier. Ich bin die Fee Geheimnis." In deni Augenblick aber,
als die Fee ihren Namen aussprach, erfolgte ein so betäubender
Donnerschlag, daß die beiden Neugierigen das Wort nicht ver-
standen. Und plötzlich fühlten sie, daß sie zusammenschrumpften
und zu kleinen zierlichen polzfigürchen wurden; auch das päuschen
schrumpfte zusammen, so daß es zu den beiden Figürchen paßte,
C> $ce Geheimnis. ^
(Lin Märchen.)
7/^ s war einmal eine Jungfrau, namens Thusnelda; die be-
Q--, wohnte ein kleines schniuckes Häuschen am Eingang eines
^ Dorfes und war auch sonst mit irdischen Glücksgütern
reich gesegnet. Sie war über die Maßen neugierig, und man sah
sie säst den ganzen Tag ani Fenster oder vor der Tür, denn sie
hätte es nicht ertragen, einen Vorübergehenden nicht gesehen und
angeredet zu haben. So wußte sie denn auch alles, was im Dorfe
passierte. Sie wußte genau, wieviel der Drittelbauer für seine
fette Kuh bekommen hatte, weshalb die Verlobung der Walpurga
Rothahn mit dem leichtsinnigen Weber Johann noch in letzter
Stunde zurückgegangen sei — ja sie wußte sogar, daß der Lorenz,
des Dukatenbauern Ältester, eine Liebschaft mit der Aathi aus
dcni Armenhause habe, und dazu gehörte doch gewiß viel Scharf-
sinn, denn den Beteiligten selber war es noch unbekannt.
Da das Pauschen der neugierigen Jungfrau an der verkehrs-
reichen Landstraße lag, so kam sie oft den ganzen Tag nicht von
ihrem Posten fort. Darunter litt nun natürlich der pausstand,
und auch ihrem eigenen Gedeihen war es nicht vorteilhaft. Sie
magerte ab und wurde spindeldürr.
Da dachte die Jungfrau bei sich: Ich will mir einen Mann
nehmen. Der kann dann auf die Vorübergehenden achten, während
ich das paus besorge und das Essen koche.
Lange wollte es ihr nicht gelingen, ihren Plan auszuführen,
denn ihre Reize lockten niemanden.
Einmal kam aber doch ein Mann an ihrem päuschen vorüber,
der ihr sehr gefiel, ohne daß sie gleich hätte sagen können, ives-
halb. Sic trat deshalb eilig aus ihrer Haustür, ging auf den
Fremden zu und sprach: „Mit Verlaub, perr, habt Ihr einen
Augenblick Zeit, so will ich Euch einen Arug Bier bringen. Es
ist heiß heute inid der Weg ist staubig."
Dankend nahm der Fremde das Anerbieten an. Er setzte sich
auf die Bank, die vor dem päuschen stand, und trank begierig
den Trank, den ihm Thusnelda holdselig lächelnd bot.
Gleich fing sie auch an, von ihrer Neugier getrieben, den
Fremden auszufragen. Da hörte sie denn, daß er aus der Paupt-
üadt komme und Zeitungsreporter sei. Das unbekannte Wort
flößte ihr großen Respekt ein, und als sie nun gar erfuhr, daß
ein Reporter die Neuigkeiten für eine Zeitung zu sammeln habe,
wußte sie, daß sie den rechten Mann gefunden hatte.
2>e entfaltete nun alle ihre Aünste. Erzählte ihm von ihren
Eltern selig, deren einziges Kind sie gewesen sei, und deren reiche
Hinterlassenschaft ihr mehr Leid wie Lust bereite, wenn sie niemand
habe, mit dem sie alles gemeinsam genießen könne.
Dem Fremden mochte es behagen, paus und vermögen so auf
dem Präsentierteller angeboten zu bekommen. Er mochte denken,
daß es immerhin besser sei, behaglich im eigenen peim zu sitzen,
als tagaus, tagein in den Straßen der Stadt nach Neuigkeiten zu
suchen, die nicht einmal gut bezahlt wurden, oder irgendeine Be-
rühmtheit zu interviewen, wobei man in Gefahr kam, den pals
zu brechen, wenn man die Treppe hinunterflog. Er willigte ein,
Jungfrau Thusnelda zu ehelichen, wenngleich ihre Gestalt und
ihre reifen Jahre wenig Verlockendes hatten.
So sah man von nun an die beiden vor ihrem päuschen
stehen und nach Neuigkeiten ausspähen. Bald aber kamen sie
überein, sich abzuwechseln, und so kam es denn, daß bei Sonnen-
schein und gutem Wetter die Frau vor dem Pause stand, und bei
Sturm und Regen der Mann. —
So vergingen ein paar Jahre. Da ging eines Abends eine
große schwarzgekleidete Frau an dem PLuschen vorüber. Ihr
Antlitz war von einem dichten schwarzen Schleier verhüllt, so daß
man ihre Züge nicht erkennen konnte. Da es Abend war und
es sonst nichts zu tun gab, standen beide Eheleute vor der Tür.
Die vermummte Frenrde wollte schweigend vorübergehen. Doch
das hätte Frau Thusnelda niemals geschehen lassen. Sie gab
ihrem Aianne eine» Wink mit den Augen, er möge die Frenide
ausfragen. So trat denn dieser auf die Frau zu, und indem er
eine so tiefe Verbeugung machte wie ehemals vor einer berühmten
Diva oder einem berüchtigten Raubmörder vor dem Interview,
sprach er: „Mit Verlaub, werte Dame, woher kommt Ihr, und
wohin wollt Ihr? Soll ich Euch den weg zeigen?"
Die Frenide blieb stehen und sprach mit tiefer geheimnisvoller
Stimme: „Ich komme aus dem Lande Unbekannt und will in die
Stadt — fragt mich nicht!" — „Und wie ist Euer Name, edle Frau?"
- „Meinen Namen möchte ich Euch nicht nennen, denn ich darf
ihn nur flüsternd aussprechen, und versteht Ihr ihn nicht, hat er
Unheil für Euch im Gefolge."
Nun aber war die Neugier von Frau Thusnelda und ihrem
Gatten in höchstem Maße erregt. Sie beschworen die Unbekannte,
ihnen doch zu sagen, wer sie wäre, sie wollten auch gewiß gut
aufpassen. Da sprach die Frau: „Nun wohl denn, Ihr wollt
nicht anders, so tragt denn die Folgen als Strafe Eurer Neu-
gier. Ich bin die Fee Geheimnis." In deni Augenblick aber,
als die Fee ihren Namen aussprach, erfolgte ein so betäubender
Donnerschlag, daß die beiden Neugierigen das Wort nicht ver-
standen. Und plötzlich fühlten sie, daß sie zusammenschrumpften
und zu kleinen zierlichen polzfigürchen wurden; auch das päuschen
schrumpfte zusammen, so daß es zu den beiden Figürchen paßte,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fee Geheimnis"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1911
Entstehungsdatum (normiert)
1906 - 1916
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 134.1911, Nr. 3427, S. 157
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg