Schicksal.
I ii der Sommerfrische.
^ it dreiundzwanzig Jahren hatte er
geheiratet — seine Frau war da-
mals noch nicht siebzehn. Es eilte ihm
sehr, sie heimzuführen, weil sie in seltener
weise zu ihm paßte. Er hatte nämlich
das Pech, für einen kferrn besonders klein
zu sein und so wie sie hätte keine zweite
mehr für ihn gefunden werden können:
Klein, zierlich, hübsch — kurz, wie für ihn
geschaffen. Sie waren dann auch sehr
glücklich, bis ein Ereignis eintrat, das ihn
auf eine weile aus allen bfimmeln warf.
Lines Tages, nach Rückkunft von der
Hochzeitsreise, hatte die Gattin sich nicht
vom Lager erheben können. Eine Kinder-
krankheit, die sie noch nicht durchgemacht,
hatte sie erwischt — die Masern.
Nun, es ging fa alles gut vorüber
— ja, einmal war das Frauchen jetzt schon
aufgestanden; das heißt, sie hatte es in
Abwesenheit anderer für sich probiert.
Aber sie war sofort wieder ins Bett zu
rückgehuscht. . . .
von diesem Augenblick an ergriff sie
ein seltsamer Zustand. Eie war ganz
melancholisch und vergoß häufig Tränen.
Am ausgeprägtesten aber zeigten sich diese
Symptome dann, wenn ihr Gatte kam,
der die ganze Zeit über in großer Zorge
um sie geschwebt hatte. Sie betrachtete
ihn dann unter Seufzen mit Blicken, welche
eine ganze Skala von Empfindungen aus-
drückten : Sorge, Mitleid und so ein ge-
wisses Flehen um Vergebung, als hätte
sie ihm eine Schuld abzubitten. Kurz,
ihr ganzes Wesen war derart verändert,
daß er ernstlich erschrak. - Der Arzt tröstete ihn und meinte, daß solche Gemütsdepres-
sionen nach überstandenen Krankheiten nichts Seltenes seien. Aber der liebende Gatte gab
sich damit nicht zufrieden. Er wollte die llrsache der Veränderung in dem Wesen seiner
kleinen Frau von ihr selbst aufgeklärt wissen. Eines Tages also begab er sich zu ihr,
setzte sich auf den Bettrand und bat sie herzlich, ihn doch darüber zu beruhigen, was
dieses sonderbare Benehmen ihm gegenüber zu bedeuten habe.
Eine Flut von Tränen und ihr fast gänzliches verschwinden unter der Decke war die
Antwort. Aber er ließ nicht locker. Immer wieder von ncucni begann er zu bitten, bis
sie ihm endlich mit einer Umarmung in das Bhr flüsterte: „Es ist ein entsetzliches Ver-
hängnis, das ich Dir mitzuteilen habe. Ls trifft Dich gerade da, wo Du am empfind-
lichsten bist..."
Er war sehr bleich geworden. Ihm schwebten entsetzliche Dinge vor — und sein:
„weiter, weiter l" klang tonlos und voll dunkler Ahnungen.
Da verkroch sie sich noch mehr und ein Schluchzen entrang sich ihrer Brust, als sie
seufzte: „Ich bin o verzeih' mir's doch! — während der Krankheit um ein er-
schreckendes Stück — gewachsenl" Tief beschämt sprang sie aus dem Bett -
und mit schmerzlichen Blicken sah sie zu ihm hinunter und er zu ihr hinausl
Backfisch: „Ich möchte gerne ein bißchen Mitarbeiten
Kuhstall abstauben?"
dürste ich vielleicht den
€(':
^chtvestenseelen.
I inen Straub von roten Nelken
Bracht’ ich jüngst der Liebsten mein —
Und den Nacken zierlich bog sie
Und mit tiefen Zügen (og (ie
All das Duften in [ich ein.
Und [ie schloß die lieben Augen
Wie versunken, wie entrückt.
Alles, alles unterdessen,
Selbst der Liebste war vergessen,
Der die Blüten ihr gepflückt.
0 wie hold war dieser Stunde
Süße andachtsvolle Buhl
wenn vertraute Schwesterseelen
heimlich sich ihr glück erzählen.
Hort der Dichter schweigend zu.
Th. Müller.
Reinhard Uolkcr.
Wirkung.
„Ich hörte, daß Sie Ihre Fräulein Tochter, die sich so sehr der Malerei befleißigt, an einem Kochkurs
teilnehmen lassen, um ein wirtschaftliches Gegengewicht zu schassen — wie steht es denn nun mit dem Erfolg?"
— „Na, ivie man's nimmt: Jetzt bemalt sie alle ihre Kochlöffel."
187
I ii der Sommerfrische.
^ it dreiundzwanzig Jahren hatte er
geheiratet — seine Frau war da-
mals noch nicht siebzehn. Es eilte ihm
sehr, sie heimzuführen, weil sie in seltener
weise zu ihm paßte. Er hatte nämlich
das Pech, für einen kferrn besonders klein
zu sein und so wie sie hätte keine zweite
mehr für ihn gefunden werden können:
Klein, zierlich, hübsch — kurz, wie für ihn
geschaffen. Sie waren dann auch sehr
glücklich, bis ein Ereignis eintrat, das ihn
auf eine weile aus allen bfimmeln warf.
Lines Tages, nach Rückkunft von der
Hochzeitsreise, hatte die Gattin sich nicht
vom Lager erheben können. Eine Kinder-
krankheit, die sie noch nicht durchgemacht,
hatte sie erwischt — die Masern.
Nun, es ging fa alles gut vorüber
— ja, einmal war das Frauchen jetzt schon
aufgestanden; das heißt, sie hatte es in
Abwesenheit anderer für sich probiert.
Aber sie war sofort wieder ins Bett zu
rückgehuscht. . . .
von diesem Augenblick an ergriff sie
ein seltsamer Zustand. Eie war ganz
melancholisch und vergoß häufig Tränen.
Am ausgeprägtesten aber zeigten sich diese
Symptome dann, wenn ihr Gatte kam,
der die ganze Zeit über in großer Zorge
um sie geschwebt hatte. Sie betrachtete
ihn dann unter Seufzen mit Blicken, welche
eine ganze Skala von Empfindungen aus-
drückten : Sorge, Mitleid und so ein ge-
wisses Flehen um Vergebung, als hätte
sie ihm eine Schuld abzubitten. Kurz,
ihr ganzes Wesen war derart verändert,
daß er ernstlich erschrak. - Der Arzt tröstete ihn und meinte, daß solche Gemütsdepres-
sionen nach überstandenen Krankheiten nichts Seltenes seien. Aber der liebende Gatte gab
sich damit nicht zufrieden. Er wollte die llrsache der Veränderung in dem Wesen seiner
kleinen Frau von ihr selbst aufgeklärt wissen. Eines Tages also begab er sich zu ihr,
setzte sich auf den Bettrand und bat sie herzlich, ihn doch darüber zu beruhigen, was
dieses sonderbare Benehmen ihm gegenüber zu bedeuten habe.
Eine Flut von Tränen und ihr fast gänzliches verschwinden unter der Decke war die
Antwort. Aber er ließ nicht locker. Immer wieder von ncucni begann er zu bitten, bis
sie ihm endlich mit einer Umarmung in das Bhr flüsterte: „Es ist ein entsetzliches Ver-
hängnis, das ich Dir mitzuteilen habe. Ls trifft Dich gerade da, wo Du am empfind-
lichsten bist..."
Er war sehr bleich geworden. Ihm schwebten entsetzliche Dinge vor — und sein:
„weiter, weiter l" klang tonlos und voll dunkler Ahnungen.
Da verkroch sie sich noch mehr und ein Schluchzen entrang sich ihrer Brust, als sie
seufzte: „Ich bin o verzeih' mir's doch! — während der Krankheit um ein er-
schreckendes Stück — gewachsenl" Tief beschämt sprang sie aus dem Bett -
und mit schmerzlichen Blicken sah sie zu ihm hinunter und er zu ihr hinausl
Backfisch: „Ich möchte gerne ein bißchen Mitarbeiten
Kuhstall abstauben?"
dürste ich vielleicht den
€(':
^chtvestenseelen.
I inen Straub von roten Nelken
Bracht’ ich jüngst der Liebsten mein —
Und den Nacken zierlich bog sie
Und mit tiefen Zügen (og (ie
All das Duften in [ich ein.
Und [ie schloß die lieben Augen
Wie versunken, wie entrückt.
Alles, alles unterdessen,
Selbst der Liebste war vergessen,
Der die Blüten ihr gepflückt.
0 wie hold war dieser Stunde
Süße andachtsvolle Buhl
wenn vertraute Schwesterseelen
heimlich sich ihr glück erzählen.
Hort der Dichter schweigend zu.
Th. Müller.
Reinhard Uolkcr.
Wirkung.
„Ich hörte, daß Sie Ihre Fräulein Tochter, die sich so sehr der Malerei befleißigt, an einem Kochkurs
teilnehmen lassen, um ein wirtschaftliches Gegengewicht zu schassen — wie steht es denn nun mit dem Erfolg?"
— „Na, ivie man's nimmt: Jetzt bemalt sie alle ihre Kochlöffel."
187
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In der Sommerfrische"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1918
Entstehungsdatum (normiert)
1913 - 1923
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 150.1919, Nr. 3850, S. 187
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg