D i e gute Idee.
-II räutciu Lilli — genannt die „göttliche üttCi" — toar, seitdem
Hc fern von ihrem Gebnrtsstädtchen lebte, eine Klavierberühmtheit
geworden. Jetzt ist sic vorübergehend heimgekehrt und will vor
ihrer Wiedcrabrcise in dankbarer Gesinnung ihren engeren Lands-
leuten ein Freikonzert geben.
Artur Zeisig, einer ihrer ehemaligen glühendsten Jugeudverehrer,
ist durch die Aussicht auf diesen Genuß in höchste Begeisterung
geraten. Er verliert unterm Ankleiden für den Festabend mindestens
sechsmal sämtliche Hemdknöpfchen, legt die Halsbinde mit der
Schleife nach hinten an, sprengt erst den rechten, dann den linken
Stiefelstrupfen — kurz, es passiert so viel, was mit dem Verlust
kostbarer Zeit bezahlt werden muß, daß er schließlich sehr spät in
den Konzertsaal kommt.
Alles ist schon gepfropft voll. Der hohe Genuß und der freie
Eintritt haben eben ihre Wirkung getan.
Erhitzt, unglücklich, verzweifelt steht der arme Zeisig hinter
einer dichten, unübersehbaren Menschenmauer. Er weiß, hier kriegt
er auch nicht einmal die Nasenspitze der glühend Angebeteten zu
schauen.
Das hält er nicht aus. Sein Hirn arbeitet unter Hochdruck.
Seine Augen irren suchend umher.
Ha — da — ein Lichtpunkt — eine Idee!
Er sieht an der Rückwand einen Stuhl, den sich der Saaldicner
hingesetzt hat, um nicht immer stehen zu müssen.
Blitzschnell faßt Artur den Sessel und schwingt ihn über den
Kopf. „Bitte!" schreit er mit Stentorstimme. „Bitte!" . . .
Der Menfchenknäuel zerteilt sich gehorsam. Denn jeder meint,
weiß Gott, wer da kommt . . . und Zeisig Pflanzt sich, eben als die
„göttliche Lilli" das Podium betritt, unmittelbar vor sic hin,
glückstrahlend trotz der Entrüstung hinter ihm. Th. Minnr.
Ceitwärts — wie wohl jeder Kundige
O Weiß, der abftieg von dem Hügel —
Zweigt ein Fußweg in ein Wäldchen
Von der Burg Akropolis.
Dort an einem Juniabend,
Der den Himmel purpurn färbte,
Saß ein munteres Liebespaar.
Plötzlich warf der Ichlanke Thoas
Jenen Blumenkranz zur Erde,
Den ihm Daphne juft geflochten
Lind aufs lodcige Haupt gedrückt.
Ihre braune Wange glühte
Lind der Zorn ftieg ihr ins Auge,
Als he fah, was er dem Kranz tat.
Aber Thoas rannte fpringend
In den Wald und war verfchwunden.
Kuckuck,
„Ah! Beim Gürtel Aphroditens!"
Rief die Maid und stemmte zornig
Ihre Arme in die Hüften.
„So was ist nicht dagewefen.
Stürmt der undankbare Junge,
Dem ich Küste gab und Blüten,
Jäh davon . . . eheu, Du irrst Dich,
Wenn Du meinst, ich fei fo töricht,
Daß ich nicht die Arglift merke.
Dreimal fchlug im Wald der Kuckuck.
Aber diefen „Kuckuck" kenn' ich.
Niemand sonst ist es als Chloe,
Jenes Vogelhändlers Tochter,
Der nachahmt der Tiere Stimmen
Lind der liebbegierigen Närrin
Seine pfiffige Kunst gelernt hat.
Na, Euch geb' ich Euren Kuckuck!"
Ihre Blumen von steh schüttelnd,
Daß Ile wie ein Regen sprühten,
Rannte fie mit heißen Sohlen
Nach dem Wäldchen. Aber plötzlich
Sprang bockfüßig, keck und meckernd
Aus dem Lorbeerbulch ein Faun vor.
Griff den Fang mit sehnigen Armen
Lind trug jauchzend übers Gras fie.
Einen Augenblick war Daphne
Starr vor Schreck. Dann überkam fie
Eine Wut, die dreifach kochte:
All den Zorn auf Thoas, Chloe
Lind den Faun vergalt fie diesem.
So zerkratzte fie den Bart ihm.
So die Nafe, fo die Augen,
Daß er jäh den Raub ließ fahren
Lind kopfüber, fchaumaufwirbelnd
In den Bach sprang, wo die Nymphen,
Ihren Spott zum Mitleid mengend,
2*
15
-II räutciu Lilli — genannt die „göttliche üttCi" — toar, seitdem
Hc fern von ihrem Gebnrtsstädtchen lebte, eine Klavierberühmtheit
geworden. Jetzt ist sic vorübergehend heimgekehrt und will vor
ihrer Wiedcrabrcise in dankbarer Gesinnung ihren engeren Lands-
leuten ein Freikonzert geben.
Artur Zeisig, einer ihrer ehemaligen glühendsten Jugeudverehrer,
ist durch die Aussicht auf diesen Genuß in höchste Begeisterung
geraten. Er verliert unterm Ankleiden für den Festabend mindestens
sechsmal sämtliche Hemdknöpfchen, legt die Halsbinde mit der
Schleife nach hinten an, sprengt erst den rechten, dann den linken
Stiefelstrupfen — kurz, es passiert so viel, was mit dem Verlust
kostbarer Zeit bezahlt werden muß, daß er schließlich sehr spät in
den Konzertsaal kommt.
Alles ist schon gepfropft voll. Der hohe Genuß und der freie
Eintritt haben eben ihre Wirkung getan.
Erhitzt, unglücklich, verzweifelt steht der arme Zeisig hinter
einer dichten, unübersehbaren Menschenmauer. Er weiß, hier kriegt
er auch nicht einmal die Nasenspitze der glühend Angebeteten zu
schauen.
Das hält er nicht aus. Sein Hirn arbeitet unter Hochdruck.
Seine Augen irren suchend umher.
Ha — da — ein Lichtpunkt — eine Idee!
Er sieht an der Rückwand einen Stuhl, den sich der Saaldicner
hingesetzt hat, um nicht immer stehen zu müssen.
Blitzschnell faßt Artur den Sessel und schwingt ihn über den
Kopf. „Bitte!" schreit er mit Stentorstimme. „Bitte!" . . .
Der Menfchenknäuel zerteilt sich gehorsam. Denn jeder meint,
weiß Gott, wer da kommt . . . und Zeisig Pflanzt sich, eben als die
„göttliche Lilli" das Podium betritt, unmittelbar vor sic hin,
glückstrahlend trotz der Entrüstung hinter ihm. Th. Minnr.
Ceitwärts — wie wohl jeder Kundige
O Weiß, der abftieg von dem Hügel —
Zweigt ein Fußweg in ein Wäldchen
Von der Burg Akropolis.
Dort an einem Juniabend,
Der den Himmel purpurn färbte,
Saß ein munteres Liebespaar.
Plötzlich warf der Ichlanke Thoas
Jenen Blumenkranz zur Erde,
Den ihm Daphne juft geflochten
Lind aufs lodcige Haupt gedrückt.
Ihre braune Wange glühte
Lind der Zorn ftieg ihr ins Auge,
Als he fah, was er dem Kranz tat.
Aber Thoas rannte fpringend
In den Wald und war verfchwunden.
Kuckuck,
„Ah! Beim Gürtel Aphroditens!"
Rief die Maid und stemmte zornig
Ihre Arme in die Hüften.
„So was ist nicht dagewefen.
Stürmt der undankbare Junge,
Dem ich Küste gab und Blüten,
Jäh davon . . . eheu, Du irrst Dich,
Wenn Du meinst, ich fei fo töricht,
Daß ich nicht die Arglift merke.
Dreimal fchlug im Wald der Kuckuck.
Aber diefen „Kuckuck" kenn' ich.
Niemand sonst ist es als Chloe,
Jenes Vogelhändlers Tochter,
Der nachahmt der Tiere Stimmen
Lind der liebbegierigen Närrin
Seine pfiffige Kunst gelernt hat.
Na, Euch geb' ich Euren Kuckuck!"
Ihre Blumen von steh schüttelnd,
Daß Ile wie ein Regen sprühten,
Rannte fie mit heißen Sohlen
Nach dem Wäldchen. Aber plötzlich
Sprang bockfüßig, keck und meckernd
Aus dem Lorbeerbulch ein Faun vor.
Griff den Fang mit sehnigen Armen
Lind trug jauchzend übers Gras fie.
Einen Augenblick war Daphne
Starr vor Schreck. Dann überkam fie
Eine Wut, die dreifach kochte:
All den Zorn auf Thoas, Chloe
Lind den Faun vergalt fie diesem.
So zerkratzte fie den Bart ihm.
So die Nafe, fo die Augen,
Daß er jäh den Raub ließ fahren
Lind kopfüber, fchaumaufwirbelnd
In den Bach sprang, wo die Nymphen,
Ihren Spott zum Mitleid mengend,
2*
15
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kuckuck"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1919
Entstehungsdatum (normiert)
1914 - 1924
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 151.1919, Nr. 3859, S. 15
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg