eilt Graukopf — zu seinem Freund, dent Schlaukopf — „alles erlebt l
's ist zum Bartausreißen I" — Der Freund aber schüttelte bloß den
weißen — mageren Kopf und sprach: — „Wenn's nur danach
der Emir, der so jäh gebeut — nicht noch selber bereut!"
Da standen die Gurken- und Dattelverkäufer — die Getreide-
Häuser — die Rosenmetsäufer — die Wasserträger, die Schnell-
länfer — die Haremsdienerinnen und Eunuchen — mit Brummen
und Fluchen — mit Zetern und Wetter» — bei Bekannten mtd
Vettern — ratschteit und klatschten die Znng' sich halb aus — und
konnten doch alle nicht heraus.
Jetzt hörte nian des Emirs Stimme laut: — „Ihr Sicherheits-
wächter, schaut — daß Ihr den Dieb erwischt, den Sohlenliebhaber!
Ich sage Euch aber dattiit Ihr gewiß dabei geht — und er
uns keine Nase dreht — zerstreut- Euch ringsum — und wendet
allen die Säcke uniI"
„Beil dem weisen Entir!" — rief einer dort und hier. — Aber
bald war es schier — als wären alle Versammelte — nichts
als Diebe. Denn der stammelte — der schimpfte, der grollte —
die trutzte, die schttiollte — die schluchzte, der schwor — ini lärmen-
den Lhor: — „Ich werde mich
bis aufs Äußerste wehren. -
Ich lasse mir iticht die
Taschen umkehren!"
Als man's dem Emir hinter-
brachte — schaute er grimmig ttnd
lachte: — „Sachte! Sachte! -
Ivie ich mir’s dachte I — Kaum,
daß man was machte — was den
Spießen und Zöpfen nicht paßt
— ist man sofort verhaßt. —
Heda I Fris ch a n g e s a ß t! —
Wer muckst und sich sträubt —
wird sestgenommen und ausge-
stänpt."
Jetzt griffen die Häscher
zu. — Da gab's ein Getn -
ein Drängen und Witzeln
ein Lachen und Kitzeln. - Denn
fast jeder hatte was in der Tasche
— das geeignet war, daß es über-
rasche. — So zog man eine Flasche— mit ausgezeichnetem Samos
wein — dein alten Sahib zu feiner Pein — heraus, der immer
so sah darein — als ob er sonst nichts als Wasser tränke —
und nie an was anderes denke. Dabei saß er oft in der Keller-
schenke — die, unter einem Kamelstall gebaut — wenig Licht
geschaut — aber desto mehr leuchtende Naseti der Zecher beim
Rebenbecher.
Dem Hnngerkünstler, dent dürren Mesrur - der allerorten
schwur er faste ununterbrochen drei, vier Wochen brachte
matt aus den weiten Säcken seinen Hantsterverstecken krumm
und kraus — einen ganzen Delikatessenladen heraus: - lvürstchen,
Pasteten und Schnitten — Bananen und (Quitten — Feigen,
Mandeln und Honigkuchen. — Der Reiz, zu versuchen — war so
groß für den Häscher — daß der gierige Näscher — eine Hand-
voll in den Mund schob - und Mesrur darob — vor Wut schnob
— und ein Geschrei erhob — wie wenn er am Messer stecke —
weil's dent andern so schmecke.
So bangte jeder, wenn’s ihn erwischte — und mau ihm ivas
herausfischte — und freute sich doch über die Maßen — sobald
mit Erblassen eilt anderer, der sich wand und zierte — befrie-
digen mußte die Neubegierde.
Bloß die Schuhsohlen — die der Wicht gestohlen — der sich
vielleicht längst empfohlen —■ konnte man nicht hervorholen.
Da sagte wieder der weißbärtige Schlaukopf zu seinen!
Freund, dent mürrischen Graukopf: — „Paß auf! Zum Schluß —
gibt es einen Gennß." — Dann rief er: „Ich muß — der
Gleichheit für jeden — ein Wort hier reden. — Nicht, als
ob ich dächte — daß der tiefgerechte— und weise Emir, der die
Sache befahl — am Ende gar selber die Sohlen stahl. — Aber
er wird es sicher nicht schief aussasseu — ivenn ich bitte: Auch er
soll sich durchsuchen lassen!"
Linen Augenblick war — alles stumm und starr. — Denn
das Begehren klang sonderbar. — Manche kicherten — und meinten,
das sei unverschämt. — Andere versicherten — sie hätten sich auch
beqncmt — und der Arni der Gerechtigkeit - dürfe zu keiner Zeit
— vor irgend einen! sinken gelähmt.
Der- Emir war baff. — Er stand ganz schlaff -— und schnappte
nach Lust — und dachte: „Der Schuft!"
Aber das Volk engte - den Kreis ttnd umdrängte — ihn
immer dichter. — Alle Gesichter — schienen erpichter wie strenge
Richter — die zu ergründen
trachteten — und gierig schmach-
teten was in eines Lniirs
Taschen wäre — ivenn man sie
unvermutet leere.
(Obwohl 's gar nicht heiß —
trat ihm der Schweiß — dntzend-
tropfenweis — auf die fettige
Stirne. - Denn die lose Dirne
seiner Gattin Dienstniagd
Suleimah die er gerne sah
— hatte ihm zwischen sechs und
sieben — einen Schclmenzettel
geschrieben — einen schalkhaften
Liebesbrief. ivenn der
aufkam, ging's bitter schief. —
Ja, er sagte sich unverhohlen —
daß man zwar nicht j ette Sohlen
— die der Dieb gestohlen —
dann fände beim Durchsuchen
seines Leibes — daß aber die
Sohlen seines Weibes — die sich nicht sanft anspürten —
heut' ihm noch gewiß um die Dhren schwirrten.
So stand er bald heiß, bald kalt — und zwang sich nur mit
Gewalt — daß er erhoben den Arm - und befohlen deni Häscher-
schwarm: — „Was zögert Ihr noch? — So durchsucht mich
doch!"
Sie kamen schüchtern auf sein Gebot. Da in der höchsten
Not hat des Schuhhändlers Frau — die scharfsichtig und
schlau — den Braten gerochen - - mit falschem Jubel den Kreis
durchbrochen. — „Hier!" rief sie. „Hier! — 5eht her zu mir!
Wohl bin ich verlegen - daß unsertwegen — der edle Emir,
dem Allahs Segen — den Pfad und des Mantels Saum vergolde
— sich selber durchsuchen lassen wollte. — Aber gerade fand
ich die Sohlen. — Sie waren nicht gestohlen — sondern
nur unter die Decke versteckt — wo ich sie jetzt in der Ecke
entdeckt." . . .
Da trollte sich alles schimpfend und lachend und verdrieß-
liche iNienen machend — über den entschlüpften Genuß. — Aber
zum Schluß — standen in einer Nebengasse — drei von der Masse
— an einem Bach, der vorbeifloß — von denen jeder für sich die
Stille genoß. — Der Emir zerschnipfelte heimlich das Schreiben
200
's ist zum Bartausreißen I" — Der Freund aber schüttelte bloß den
weißen — mageren Kopf und sprach: — „Wenn's nur danach
der Emir, der so jäh gebeut — nicht noch selber bereut!"
Da standen die Gurken- und Dattelverkäufer — die Getreide-
Häuser — die Rosenmetsäufer — die Wasserträger, die Schnell-
länfer — die Haremsdienerinnen und Eunuchen — mit Brummen
und Fluchen — mit Zetern und Wetter» — bei Bekannten mtd
Vettern — ratschteit und klatschten die Znng' sich halb aus — und
konnten doch alle nicht heraus.
Jetzt hörte nian des Emirs Stimme laut: — „Ihr Sicherheits-
wächter, schaut — daß Ihr den Dieb erwischt, den Sohlenliebhaber!
Ich sage Euch aber dattiit Ihr gewiß dabei geht — und er
uns keine Nase dreht — zerstreut- Euch ringsum — und wendet
allen die Säcke uniI"
„Beil dem weisen Entir!" — rief einer dort und hier. — Aber
bald war es schier — als wären alle Versammelte — nichts
als Diebe. Denn der stammelte — der schimpfte, der grollte —
die trutzte, die schttiollte — die schluchzte, der schwor — ini lärmen-
den Lhor: — „Ich werde mich
bis aufs Äußerste wehren. -
Ich lasse mir iticht die
Taschen umkehren!"
Als man's dem Emir hinter-
brachte — schaute er grimmig ttnd
lachte: — „Sachte! Sachte! -
Ivie ich mir’s dachte I — Kaum,
daß man was machte — was den
Spießen und Zöpfen nicht paßt
— ist man sofort verhaßt. —
Heda I Fris ch a n g e s a ß t! —
Wer muckst und sich sträubt —
wird sestgenommen und ausge-
stänpt."
Jetzt griffen die Häscher
zu. — Da gab's ein Getn -
ein Drängen und Witzeln
ein Lachen und Kitzeln. - Denn
fast jeder hatte was in der Tasche
— das geeignet war, daß es über-
rasche. — So zog man eine Flasche— mit ausgezeichnetem Samos
wein — dein alten Sahib zu feiner Pein — heraus, der immer
so sah darein — als ob er sonst nichts als Wasser tränke —
und nie an was anderes denke. Dabei saß er oft in der Keller-
schenke — die, unter einem Kamelstall gebaut — wenig Licht
geschaut — aber desto mehr leuchtende Naseti der Zecher beim
Rebenbecher.
Dem Hnngerkünstler, dent dürren Mesrur - der allerorten
schwur er faste ununterbrochen drei, vier Wochen brachte
matt aus den weiten Säcken seinen Hantsterverstecken krumm
und kraus — einen ganzen Delikatessenladen heraus: - lvürstchen,
Pasteten und Schnitten — Bananen und (Quitten — Feigen,
Mandeln und Honigkuchen. — Der Reiz, zu versuchen — war so
groß für den Häscher — daß der gierige Näscher — eine Hand-
voll in den Mund schob - und Mesrur darob — vor Wut schnob
— und ein Geschrei erhob — wie wenn er am Messer stecke —
weil's dent andern so schmecke.
So bangte jeder, wenn’s ihn erwischte — und mau ihm ivas
herausfischte — und freute sich doch über die Maßen — sobald
mit Erblassen eilt anderer, der sich wand und zierte — befrie-
digen mußte die Neubegierde.
Bloß die Schuhsohlen — die der Wicht gestohlen — der sich
vielleicht längst empfohlen —■ konnte man nicht hervorholen.
Da sagte wieder der weißbärtige Schlaukopf zu seinen!
Freund, dent mürrischen Graukopf: — „Paß auf! Zum Schluß —
gibt es einen Gennß." — Dann rief er: „Ich muß — der
Gleichheit für jeden — ein Wort hier reden. — Nicht, als
ob ich dächte — daß der tiefgerechte— und weise Emir, der die
Sache befahl — am Ende gar selber die Sohlen stahl. — Aber
er wird es sicher nicht schief aussasseu — ivenn ich bitte: Auch er
soll sich durchsuchen lassen!"
Linen Augenblick war — alles stumm und starr. — Denn
das Begehren klang sonderbar. — Manche kicherten — und meinten,
das sei unverschämt. — Andere versicherten — sie hätten sich auch
beqncmt — und der Arni der Gerechtigkeit - dürfe zu keiner Zeit
— vor irgend einen! sinken gelähmt.
Der- Emir war baff. — Er stand ganz schlaff -— und schnappte
nach Lust — und dachte: „Der Schuft!"
Aber das Volk engte - den Kreis ttnd umdrängte — ihn
immer dichter. — Alle Gesichter — schienen erpichter wie strenge
Richter — die zu ergründen
trachteten — und gierig schmach-
teten was in eines Lniirs
Taschen wäre — ivenn man sie
unvermutet leere.
(Obwohl 's gar nicht heiß —
trat ihm der Schweiß — dntzend-
tropfenweis — auf die fettige
Stirne. - Denn die lose Dirne
seiner Gattin Dienstniagd
Suleimah die er gerne sah
— hatte ihm zwischen sechs und
sieben — einen Schclmenzettel
geschrieben — einen schalkhaften
Liebesbrief. ivenn der
aufkam, ging's bitter schief. —
Ja, er sagte sich unverhohlen —
daß man zwar nicht j ette Sohlen
— die der Dieb gestohlen —
dann fände beim Durchsuchen
seines Leibes — daß aber die
Sohlen seines Weibes — die sich nicht sanft anspürten —
heut' ihm noch gewiß um die Dhren schwirrten.
So stand er bald heiß, bald kalt — und zwang sich nur mit
Gewalt — daß er erhoben den Arm - und befohlen deni Häscher-
schwarm: — „Was zögert Ihr noch? — So durchsucht mich
doch!"
Sie kamen schüchtern auf sein Gebot. Da in der höchsten
Not hat des Schuhhändlers Frau — die scharfsichtig und
schlau — den Braten gerochen - - mit falschem Jubel den Kreis
durchbrochen. — „Hier!" rief sie. „Hier! — 5eht her zu mir!
Wohl bin ich verlegen - daß unsertwegen — der edle Emir,
dem Allahs Segen — den Pfad und des Mantels Saum vergolde
— sich selber durchsuchen lassen wollte. — Aber gerade fand
ich die Sohlen. — Sie waren nicht gestohlen — sondern
nur unter die Decke versteckt — wo ich sie jetzt in der Ecke
entdeckt." . . .
Da trollte sich alles schimpfend und lachend und verdrieß-
liche iNienen machend — über den entschlüpften Genuß. — Aber
zum Schluß — standen in einer Nebengasse — drei von der Masse
— an einem Bach, der vorbeifloß — von denen jeder für sich die
Stille genoß. — Der Emir zerschnipfelte heimlich das Schreiben
200
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Schuhsohlen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1919
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 151.1919, Nr. 3874, S. 200
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg