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„vielleicht hat er doch einmal ein Einsehen, wenn
man ihn recht gut behandelt. Tun wir halt ein
übriges und geben ihm ein Stück von dom schönen
Kaffeekuchen, den meine Frau zu ihrem Geburts-
tag gebacken hat!"

Der Gehilfe brummte etwas, nahm den Kaffee-
kuchen mürrisch in Empfang, klaubte die schönsten
Weinbeerln selber heraus und schob das Gebäck
deni Arrestanten durch das Eßguckerl hinein.

Der Krawattl-Beni betrachtete den duften-
den Kuchen mit offenbarem Mißfallen. Der Be-
stechungsversuch, den er darin erblickte, war auch
wirklich zu plump und auffallend. Das konnte er sich nicht bieten
lassen, Aufgeregt ging er in seiner Zelle hin und her und pfiff
dazu den Radetzkpmarsch.

Nach einiger Zeit war sein Entschluß gefaßt, wie er diese
Angehörigkeit in wirksamster Form zurückweisen wollte.

Er nahm den Kuchen, fischte noch die letzten zurückgebliebenen
Rosinen heraus und versenkte dann das schöne Gebäck in seinen
Wasserkrug.

Nachdem es dort die für seinen Plan genügende Zeit gelegen
hatte, holte er es mit beiden Händen wieder hervor, preßte das
Wasser heraus, knetete eine Weile und ging dann an sein werk.

Wie das Mittagessen gebracht wurde — zwei besonders schöne
Knödel in einer duftenden braunen Sauce — stand der Gehilfe,
der dazu die Zellentüre öffnete, platt vor Staunen eine Weile still.

Der Krawattl-Beni hatte aus dem feuchten Kuchenteig lauter
gleichmäßig runde Knollen geformt. Dann hatte er sich von seinem
ganzen Sträslingsanzug sämtliche Knöpfe abgedreht. Je einen dieser
Knöpfe hatte er auf einen Kuchenknollen befestigt und diese Ge-
schosse so gegen die Zellendecke gefeuert.

Jetzt hing der ganze Plafond voll von Kuchenpatzen, je mit
einem Knopf geschmückt — und der Krawattl-Beni stand grinsend,
bloß im Hemd, das auch keine Knöpfe mehr hatte, mitten in seiner
Zelle und weidete sich an der Wut und Verlegenheit seines Gpfers.

Insgeheim freute er sich schon darauf, daß die Frau Verwalter
einen guten Teil ihres Geburtstages damit zubringen niußte, ihm

sämtliche Knöpfe wie-
der anzunähen, weil
er ja doch nach den
Gesängnisvorschriften
ordentlich bekleidet sein
sollte.

Der Gehilfe lief
zum Herrn Verwal-
ter. Der Herr Ver-
walter lief zur Frau
Verwalter. Diese war
starr vor Zorn und
Verblüffung und wußte
sich endlich keinen an-
dern Ausweg niehr,
als zum Herrn Land-
richter zu gehen.

Der neue Herr
Landrichter besaß nicht
nur Tatkraft, sondern
auch Humor. Er hörte
die Erzählung mit Ruhe
an, besann sich ein paar
Minuten, schmunzelte

darauf, drückte der Frau Verwalter freundlich die
Hand und ließ dann ihren Mann und den Gehilfen
kommen, denen er eine geheime Instruktion gab.

Kurz nachher öffnete sich das kleine Schiebe-
tür! an Benis Zelle.

„Beni!" sagte der Aufseher. „Gib Dein Hemd
heraus!" — „Mein Hemd?!" fragte der Arrestant
mißtrauisch. „Zu was denn?" — „Zum Knöpf-
an nähen!"

Zum Knöpfannähen! Das leuchtete ihm ein.
Gleich darauf war der Befehl vollzogen.

Der Aufseher reichte ihm ein kleines Päckchen
beim Türl hinein und ging. — wie der Bcni das Päckchen näher
betrachtete, war er paff — zum ersten Male paff in seiner langen
und ausgedehnten Gefängnispraxis. Was er da in der Hand hielt,
war eine Schwimmhose — eine schöne, frisch gewaschene, weiß
und rot gestreifte Schwimmhose. Er konnte trotz längerem Nach-
denken zu keinem anderen Ergebnis gelangen, als sie anzuziehen und
so die Rückkunft seines Hemdes und der übrigen Kleidung abzuwarten.

Aber das Hemd kam nicht und auch die Kleider kamen nicht.

Er klopfte — er wütete — er schrie — er spektakelte in allen
Tonarten. Nichts rührte sich. Das Haus schien wie ausgestorben.
Nur aus der Ferne hörte er das fröhliche Geplauder der von der
Frau Verwalter zu ihrem Geburtstag eingeladenen Koffeeschwestern.

Es wurde Dämmerung. Es wurde Nacht. Der kalte Nebel
des Spätherbstes umlagerte die abgelegene Zelle und ließ die Tem-
peratur dort sehr erheblich sinken.

Beni versuchte es noch einmal mit dem Rufen, dem Schreien,
dem Spektakeln — dann kroch er frierend und schnatternd auf die
Pritsche und zog die Decke hoch über den Kopf hinauf. Aber er
schnatterte trotzdem weiter. Die Schwimmhose war doch etwas zu
luftig und die Kälte ließ ihn nicht zum Einschlafen kommen.

Am andern Morgen, als er ziemlich blau gefroren und sehr
sanft geworden war, öffnete sich die Zellentüre und der Herr Ver-
walter selbst gab ihm seinen mit lauter frischen Knöpfen versehenen
Anzug samt Hemd herein.

„Schieb die Schwimmhose beim Türl heraus, Beni!" sagte er
freundlich, ohne eine
Miene zu verziehen.

Zwei Minuten spä-
ter kam die Schwimm-
hose heraus und der.

Beni griff mit beiden
Händen nach der
warmen dampfenden
Morgensupxe, die
ihm die Frau Ver-
walter — sie
war eine gute
und mitlei-
dige Seele —
heute ganzbe-
sonders kräf-
tig gekocht hatte.

Seitdem war Ruh' über
allen Wipfeln. Wenn der Beni
wieder cingesperrt wurde, ver-
hielt er sich ganz manierlich
und Knöpfe warf er auch nicht mehr
an die Decke. Die Schwimmhose hatte
besser gewirkt wie die Zwangsjacke.

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Kur"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stubenrauch, Hans
Entstehungsdatum
um 1919
Entstehungsdatum (normiert)
1914 - 1924
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 151.1919, Nr. 3878, S. 249

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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