Hy prro^e .
Der Lyriker. Die jungen Mädchen haben sein letztes Buch
„Glückes genug..." unterm Kopfkissen liegen, Hauchzart sind
seine Strophen, gebaut aus Lerchentrillern, Schmetterlingsstügel-
staub und jungjunger Herzensseligkeit. — Nichts Irdisches ist mehr
daran. — Die Welt des allzu Schweren, Gegenständlichen, plump
Sinnlichen ist aufgelöst in blaue, ätherischste Stimmung - - Empfin-
dung — Wohllaut — die Welt ist Seele geworden . . . „Lieder an
Ilsebill". — Wer mag diese wunderzarte, märchenfeine Lrauenseele
sein, der die Liebe des Dichters gilt-halb Rautendelein, halb
Heilige. . . ?
Die Backsische sitzen vor himmelblauen Briefbogen und schreiben:
Meister I —- Wie er wohl aussieht? — Schlank, blaß, ein wenig
leidend, und seine Augen werden wie ein Bergsee sein: märchentief,
und über die marmorbleiche Stirn wird eine dunkle Locke fallen,
in der schlanke Linger verträumt spielen und einen Reim auf Mensch
suchen . . .
Der Dichter liest den Brief: Meister! — Er gähnt und reibt
den schmerzenden Kopf, llff! Ist das ein Kater I Gestern hat er
drei Maß Märzenbier getrunken und hernach das Schnaxsgelage
in der Herzog-Barl! — Er wischt mit dem Brief die Tabakasche
vom Lrühstückstisch und genehmigt sich einen Kümmel I — Herr-
gott 1 Sein Zinken wird bei diesem ewigen Schnapsen von Tag zu
Tag röter. Er zieht die Zipfelmütze über die blankpolierte Glatze,
denn er ist so empfindlich gegen Zugluft, schlüpft in die Filzpan-
toffeln und schreibt ein paar Strophen seines „Lenzrittes" (Als
Reiter möcht' ich jagen — über stürmende, wehende Haid' — —)
Zum Teufel auch l Heut' will- das Morgenbörsenblatt schon
gar nicht kommen! Und er hat doch gestern diese glänzende Sache
mit den „Mexikanos-Aktien" gemacht. - Übrigens ob der Waggon
Zucker schon über der Grenze ist. . .? Er will doch gleich Selig-
sohn anrufen. Er braucht Geld. — Seine Alma aus der „Herzog-
Bar" will den Zobel haben, sie droht sonst, ihr alles Verhältnis
mit dem Baron wieder aufzunehmen. — Das Mistvieh I — Geld!
Geld > — Na, vielleicht kommt die dritte Auflage der „Rautendelein-
Lieder" in den nächsten Tagen heraus. — Aber da hat er für die
ersten dreitausend schon den Vorschuß weg... — Beschummelte
Welt I Zum Speien I I — Vielleicht ist bei „Glückes genug . . ."
noch was 'rauszuschinden I — Wenn nicht, wird er die Lyrik auf-
geben und sich auf Sacharinschiebung verlegen.
*
Der soziale Dichter. Er ist für die Enterbten, für die
Gxfer der Gesellschaft und stammend loht sein Zorn über Besitz
und.Ausbeutung. Seine Ballade vom „Sträfling Nummer y" geht
durch alle radikalsozialistischen Zeitschriften, aufwühlend und er-
schütternd ist das Schicksal des Bettlers und Edelmenschen Konrad
gestaltet, wie herrlich hebt sich seine Gestalt des vagabundierenden,
durch eine korrupte Gesellschaft zum Einbrecher gewordenen roten
Hannes von seinen satten, spießbürgerlichen Zeitgenossen ab, und
mit welcher Liebe ist die feine Seele der alten Lumpensammlerin
Grete gemalt. - Der „Arbeitsmann" dagegen ist ein einziges
hohes Lied auf den Mann mit der schwieligen Laust.
Einem Labrikarbeiter gefiel es so gut, daß er dem Dichter
mit schwerer Hand und schweren Worten in einem Brief Dank und
Anerkennung schrieb. Der Brief kam in das erlesen ausgestattete
Haus des Dichters im vornehmen Villenviertel und der Dichter las
ihn zwischen zwei Einladungen zu einem Shimmy-Abend und einer
Autotour an die Riviera. Er hielt den Brief in spitzen Lingern
und als er die ersten Zeilen und die Unterschrift gelesen, knüllte
er ihn unwillig — angeekelt zusammen. — Dann freilich glättete
er das Papier, lächelte listig und murmelte: Na, nich' fo übel!
Efef-Reklame für meinen Verleger! Labrikarbeiterbrief! — Mrigi-
nelle Empfehlung I
Lreilich reinigte er sich gleich die Linger mit Rosenessenz, als
er den Brief weggelegt und hüllte sich schauernd, unangenehm be-
rührt, in seinen seidenen Morgenrock. Er klingelte dem Diener zum
Ankleiden. —
Hierauf telephonierte der Dichter dem Bezirkspolizeiinspektor:
er möchte doch gleich einen Kriminalbeamten schicken. Nach Aus-
sage seines Dieners bestehe dringender Verdacht, daß die Waschfrau
Anna Maier gestern einen Schurz voll Kohlen mitgenommen habe.
— Es sei eine Schweinerei mit diesem —- ähäm — Volk, das man
da im Hause haben müsse .
Ach ja, man muß sich auch um solchen Kram kümmern! Die
kostbarsten Minuten gehen dabei verloren.
Und der Dichter setzte sich nicht ohne Unmut an sein Manuskript:
„Die Enterbten". — Ein erschütterndes Drama aus proletarischen
Tiefen. — — —
. . . Und Jean, daß ich nicht vergesse — rief der Dichter dem
Diener zu — sorgen Sie, daß das Schild möglichst bald ans Garten-
tor kommt: Betteln strengstens verboten!
Und lassen Sie drnntermalen: vor dem Hunde wird gewarnt!!
Aber mit zwei Ausrufzeichen !!
*
Der Humorist. Wenn die Leute nur seinen Namen lesen,
lachen sie schon. Herrgott, wie heiter, wie goldig froh ist diesem
Dichter doch die Welt! ‘— Selbst dem Zuwidersten weiß er noch
eine lustige, heiter-versöhnende Seite abzugewinnen. Überlegen,
gütig lächelnd, sieht er das Leben. Sein Buch „Der lachende Meise"
hat vielen tausend Menschen heitere Stunden geschenkt und seine
Wochenschrift „Der fidele Luftballon" wird geradezu ausgerauft.
Muß das ein Urviech sein! sagt die Milchfrau. — Man müßte
sich glänzend mit ihm unterhalten können, meint die lebenslustige,
junge Lrau Major. Der an unserm' Stammtisch, das wäre eine
Sache! mutmaßt der Doktor. — ;—
Des Dichters Lrau weiß es besser. Gestern hat der kleine Lritz
Hiebe gekriegt, weil er nicht auf den Zehen gegangen ist, gerade
als der Vater seine „Lidelen Bubengeschichten" schrieb, und dieser
schreckliche Zornausbruch gestern, als das Haar nicht gleich aus
der Leder herausging — eben als der Humorist an einer schalkhaften
Plauderei über die „Erziehung zur Gelassenheit" arbeitete. Eine
schlechte Zigarre kann ihn einen halben Tag lang so Niederdrücken
und mißgestimmt machen, daß er mit Müh' und Not die Einleitung
zu einer Humoreske findet. And dazu hat er abends noch Gesell-
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Der Lyriker. Die jungen Mädchen haben sein letztes Buch
„Glückes genug..." unterm Kopfkissen liegen, Hauchzart sind
seine Strophen, gebaut aus Lerchentrillern, Schmetterlingsstügel-
staub und jungjunger Herzensseligkeit. — Nichts Irdisches ist mehr
daran. — Die Welt des allzu Schweren, Gegenständlichen, plump
Sinnlichen ist aufgelöst in blaue, ätherischste Stimmung - - Empfin-
dung — Wohllaut — die Welt ist Seele geworden . . . „Lieder an
Ilsebill". — Wer mag diese wunderzarte, märchenfeine Lrauenseele
sein, der die Liebe des Dichters gilt-halb Rautendelein, halb
Heilige. . . ?
Die Backsische sitzen vor himmelblauen Briefbogen und schreiben:
Meister I —- Wie er wohl aussieht? — Schlank, blaß, ein wenig
leidend, und seine Augen werden wie ein Bergsee sein: märchentief,
und über die marmorbleiche Stirn wird eine dunkle Locke fallen,
in der schlanke Linger verträumt spielen und einen Reim auf Mensch
suchen . . .
Der Dichter liest den Brief: Meister! — Er gähnt und reibt
den schmerzenden Kopf, llff! Ist das ein Kater I Gestern hat er
drei Maß Märzenbier getrunken und hernach das Schnaxsgelage
in der Herzog-Barl! — Er wischt mit dem Brief die Tabakasche
vom Lrühstückstisch und genehmigt sich einen Kümmel I — Herr-
gott 1 Sein Zinken wird bei diesem ewigen Schnapsen von Tag zu
Tag röter. Er zieht die Zipfelmütze über die blankpolierte Glatze,
denn er ist so empfindlich gegen Zugluft, schlüpft in die Filzpan-
toffeln und schreibt ein paar Strophen seines „Lenzrittes" (Als
Reiter möcht' ich jagen — über stürmende, wehende Haid' — —)
Zum Teufel auch l Heut' will- das Morgenbörsenblatt schon
gar nicht kommen! Und er hat doch gestern diese glänzende Sache
mit den „Mexikanos-Aktien" gemacht. - Übrigens ob der Waggon
Zucker schon über der Grenze ist. . .? Er will doch gleich Selig-
sohn anrufen. Er braucht Geld. — Seine Alma aus der „Herzog-
Bar" will den Zobel haben, sie droht sonst, ihr alles Verhältnis
mit dem Baron wieder aufzunehmen. — Das Mistvieh I — Geld!
Geld > — Na, vielleicht kommt die dritte Auflage der „Rautendelein-
Lieder" in den nächsten Tagen heraus. — Aber da hat er für die
ersten dreitausend schon den Vorschuß weg... — Beschummelte
Welt I Zum Speien I I — Vielleicht ist bei „Glückes genug . . ."
noch was 'rauszuschinden I — Wenn nicht, wird er die Lyrik auf-
geben und sich auf Sacharinschiebung verlegen.
*
Der soziale Dichter. Er ist für die Enterbten, für die
Gxfer der Gesellschaft und stammend loht sein Zorn über Besitz
und.Ausbeutung. Seine Ballade vom „Sträfling Nummer y" geht
durch alle radikalsozialistischen Zeitschriften, aufwühlend und er-
schütternd ist das Schicksal des Bettlers und Edelmenschen Konrad
gestaltet, wie herrlich hebt sich seine Gestalt des vagabundierenden,
durch eine korrupte Gesellschaft zum Einbrecher gewordenen roten
Hannes von seinen satten, spießbürgerlichen Zeitgenossen ab, und
mit welcher Liebe ist die feine Seele der alten Lumpensammlerin
Grete gemalt. - Der „Arbeitsmann" dagegen ist ein einziges
hohes Lied auf den Mann mit der schwieligen Laust.
Einem Labrikarbeiter gefiel es so gut, daß er dem Dichter
mit schwerer Hand und schweren Worten in einem Brief Dank und
Anerkennung schrieb. Der Brief kam in das erlesen ausgestattete
Haus des Dichters im vornehmen Villenviertel und der Dichter las
ihn zwischen zwei Einladungen zu einem Shimmy-Abend und einer
Autotour an die Riviera. Er hielt den Brief in spitzen Lingern
und als er die ersten Zeilen und die Unterschrift gelesen, knüllte
er ihn unwillig — angeekelt zusammen. — Dann freilich glättete
er das Papier, lächelte listig und murmelte: Na, nich' fo übel!
Efef-Reklame für meinen Verleger! Labrikarbeiterbrief! — Mrigi-
nelle Empfehlung I
Lreilich reinigte er sich gleich die Linger mit Rosenessenz, als
er den Brief weggelegt und hüllte sich schauernd, unangenehm be-
rührt, in seinen seidenen Morgenrock. Er klingelte dem Diener zum
Ankleiden. —
Hierauf telephonierte der Dichter dem Bezirkspolizeiinspektor:
er möchte doch gleich einen Kriminalbeamten schicken. Nach Aus-
sage seines Dieners bestehe dringender Verdacht, daß die Waschfrau
Anna Maier gestern einen Schurz voll Kohlen mitgenommen habe.
— Es sei eine Schweinerei mit diesem —- ähäm — Volk, das man
da im Hause haben müsse .
Ach ja, man muß sich auch um solchen Kram kümmern! Die
kostbarsten Minuten gehen dabei verloren.
Und der Dichter setzte sich nicht ohne Unmut an sein Manuskript:
„Die Enterbten". — Ein erschütterndes Drama aus proletarischen
Tiefen. — — —
. . . Und Jean, daß ich nicht vergesse — rief der Dichter dem
Diener zu — sorgen Sie, daß das Schild möglichst bald ans Garten-
tor kommt: Betteln strengstens verboten!
Und lassen Sie drnntermalen: vor dem Hunde wird gewarnt!!
Aber mit zwei Ausrufzeichen !!
*
Der Humorist. Wenn die Leute nur seinen Namen lesen,
lachen sie schon. Herrgott, wie heiter, wie goldig froh ist diesem
Dichter doch die Welt! ‘— Selbst dem Zuwidersten weiß er noch
eine lustige, heiter-versöhnende Seite abzugewinnen. Überlegen,
gütig lächelnd, sieht er das Leben. Sein Buch „Der lachende Meise"
hat vielen tausend Menschen heitere Stunden geschenkt und seine
Wochenschrift „Der fidele Luftballon" wird geradezu ausgerauft.
Muß das ein Urviech sein! sagt die Milchfrau. — Man müßte
sich glänzend mit ihm unterhalten können, meint die lebenslustige,
junge Lrau Major. Der an unserm' Stammtisch, das wäre eine
Sache! mutmaßt der Doktor. — ;—
Des Dichters Lrau weiß es besser. Gestern hat der kleine Lritz
Hiebe gekriegt, weil er nicht auf den Zehen gegangen ist, gerade
als der Vater seine „Lidelen Bubengeschichten" schrieb, und dieser
schreckliche Zornausbruch gestern, als das Haar nicht gleich aus
der Leder herausging — eben als der Humorist an einer schalkhaften
Plauderei über die „Erziehung zur Gelassenheit" arbeitete. Eine
schlechte Zigarre kann ihn einen halben Tag lang so Niederdrücken
und mißgestimmt machen, daß er mit Müh' und Not die Einleitung
zu einer Humoreske findet. And dazu hat er abends noch Gesell-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hypnose"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1921
Entstehungsdatum (normiert)
1916 - 1926
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 155.1921, Nr. 3984, S. 186
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg