Die gewonnene Wette.
(Eine unheimlich moralische Riiiergeschichie.)
Ritterfräulein Henriette
Schlüpfte wie gewohnt zu Lette,
Um zu schlummern süß und
keusch —
plötzlich hört sie ein Geräusch.
Zitternd greift sie nach der Kerze,
Weißer als die Kerze werd se,
Leuchtet unters Lett sodann-
Großer Gott! Da liegt ein
Mann!
Schreien will die arme Seele,
Doch der Schrecken lähmt die
Kehle.
Er beruhigend zu ihr spricht:
»Litte, fürchten Sie sich nicht!
Äestes Fräulein Henriette,
's handelt sich um eine Wette.
Ein Korb Sekt noch heut ist mein.
Wenn Sie lieb sind und nicht
schrei'n.
Ich bin selbst ein Ritter edel,'
Achte fremdes Gut und Mädel
Rur bei einer Diecherei
Lin ich gar zu gern dabei.
Darum ging ich ein die Wette,
Daß ich die Eourage hätte,
Ihnen eine Locke sacht
Abzuschneiden in der Nacht.
Darf ich? Für die Hälfte
Flaschen?
Dürft' ich auch 'nen Kuß er-
haschen.
Sei der ganze Korb voll Dein,
Und mein Herz noch obendrein!!'"
Henriettchen, wohlerzogen,
Trotzdem sie ihm rasch gewogen,
Hauchte, einer Ohnmacht nah':
»Litte, — sprechen Sie
Mama!"
O. 3.
Eine notwendige Versfor in.
Adolar, der Dichter, fühlte sich von der Muse gepackt. Deshalb
packte er seinerseits seinen Bleistift und dichtete forsch darauf los:
„Die Sonne sinkt
Am Himmelszelt;
Noch einmal trinkt
Ihr Licht die Welt,
Dann dämmcrt's sacht.
Mit süßem Schall
Erfüllt die Nacht
Die Nachtigall."
Hierauf ruhte sich Adolar ein bißchen ans. Dabei fiel sein
Blick auf eine Überschrift in der Abendzeitung: Neue Papierpreis-
erhöhung. Er las und erschrak. „Donnerwetter, das sind Preise!
Da darf man wahrhaftig jetzt kein Gedicht mehr machen, in dem
jeder Vers nur zwei Füße hat. Das Iväre ja eine sinnlose Papier
Verschwendung, das wäre ja unverantwortlich. Ich ivcrde nur noch
in Alexandrinern dichten." Und schleunigst änderte Adolar sein
Gedicht um:
„Der stolz erhab'ne Riesenball der Sonne sinkt
In roten Gluten nieder nun am Himmelszelt;
Zum letzten Male, eh' er westwärts scheidet, trinkt
Sein nährend Licht die friedlich schlummermüde Welt.
Dann kommt die Dämmerung mit ihrem Schleier sacht,
Und bald mit ihrem wonncrcichen süßen Schall
Erfüllt die heimlich traute linde Sommernacht
Die licderkund'ge, schnsnchtstrunk'ne Nachtigall." —on.
O diese Kinder!
Pcpcrl (der dem Herrn Lehrer zivci Hühner als Gescheut
bringt): „Eine schöne Empsehlung vom Vater und hier schickt er
zwei Hühner." — Lehrer: „Aber Pepcrl, tvird das nicht zuviel
sein?" — Pepcrl: „Ja, das hat die Mutter auch gesagt, aber
der Vater hat gesagt, der alte Freßsack kann nie genug haben."
Der Mohr von Leipzig.
Es ivar im Jahre 1867, als man den 65er so gerne trank,
da saßen unterschiedliche ehrsame Kürschnermeister in ihrer Herberge
zu Leipzig und genossen die liebe Gottcsgabe mit großer Eni
schicdcnheit. Sic hatten ans der Ostermesse mit Türken und Juden,
ja sogar mit Mohren gute Geschäfte gemacht und feierten min
den Abschied ihrer schwäbischen Genossen, welche mit dem Nacht
zug nach Hanse fahren wollten. Einer der letzteren, der wegen seines
Durstes rühmlichst bekannte Meister Nikodemus Bärenklau aus der
Hinteren Schcllcngasse in Nesenstadt, konnte sich aber nicht rechtzeitig
von der Flasche trennen und so kam cs, daß ihm der Zug vor der
Nase abdampstc. Also kehrte er an den noch gut besetzten Stamm-
tisch zurück und bat den Wirt, ihm sein Zimmer ivieder bereit zu
halten. Der Wirt bedauerte lebhaft, einem so geschätzten Gast nicht
dienen zu können: das Zimmer sei, tvic cs tvährend der Messe zu
geht, sogleich wieder besetzt worden und zwar von einem Mohren
und ein anderes Zimmer sei auch nicht mehr frei. Davon wollte
aber Bärenklau durchaus nichts hören; er wohne schon 25 Jahre
im gleichen Zimmer und gehe unter keinen Umständen in ein anderer
Gasthaus. Vor allen Dingen bitte er um eine neue Flasche. De
Wirt beeilte sich, diese zu holen und als er sie dem geehrten Gaste
vorsctzte, sagte er mit fröhlichem Grinsen, er habe soeben mit den
Mohren gesprochen; in dessen Zimmer sei ja noch ein Sofa, auf
diesem könne er gut schlafen, wenn er den Mohren nicht fürchte.
Bärenklau sagte, er fürchte den Mohren nicht, man solle ihn nui
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(Eine unheimlich moralische Riiiergeschichie.)
Ritterfräulein Henriette
Schlüpfte wie gewohnt zu Lette,
Um zu schlummern süß und
keusch —
plötzlich hört sie ein Geräusch.
Zitternd greift sie nach der Kerze,
Weißer als die Kerze werd se,
Leuchtet unters Lett sodann-
Großer Gott! Da liegt ein
Mann!
Schreien will die arme Seele,
Doch der Schrecken lähmt die
Kehle.
Er beruhigend zu ihr spricht:
»Litte, fürchten Sie sich nicht!
Äestes Fräulein Henriette,
's handelt sich um eine Wette.
Ein Korb Sekt noch heut ist mein.
Wenn Sie lieb sind und nicht
schrei'n.
Ich bin selbst ein Ritter edel,'
Achte fremdes Gut und Mädel
Rur bei einer Diecherei
Lin ich gar zu gern dabei.
Darum ging ich ein die Wette,
Daß ich die Eourage hätte,
Ihnen eine Locke sacht
Abzuschneiden in der Nacht.
Darf ich? Für die Hälfte
Flaschen?
Dürft' ich auch 'nen Kuß er-
haschen.
Sei der ganze Korb voll Dein,
Und mein Herz noch obendrein!!'"
Henriettchen, wohlerzogen,
Trotzdem sie ihm rasch gewogen,
Hauchte, einer Ohnmacht nah':
»Litte, — sprechen Sie
Mama!"
O. 3.
Eine notwendige Versfor in.
Adolar, der Dichter, fühlte sich von der Muse gepackt. Deshalb
packte er seinerseits seinen Bleistift und dichtete forsch darauf los:
„Die Sonne sinkt
Am Himmelszelt;
Noch einmal trinkt
Ihr Licht die Welt,
Dann dämmcrt's sacht.
Mit süßem Schall
Erfüllt die Nacht
Die Nachtigall."
Hierauf ruhte sich Adolar ein bißchen ans. Dabei fiel sein
Blick auf eine Überschrift in der Abendzeitung: Neue Papierpreis-
erhöhung. Er las und erschrak. „Donnerwetter, das sind Preise!
Da darf man wahrhaftig jetzt kein Gedicht mehr machen, in dem
jeder Vers nur zwei Füße hat. Das Iväre ja eine sinnlose Papier
Verschwendung, das wäre ja unverantwortlich. Ich ivcrde nur noch
in Alexandrinern dichten." Und schleunigst änderte Adolar sein
Gedicht um:
„Der stolz erhab'ne Riesenball der Sonne sinkt
In roten Gluten nieder nun am Himmelszelt;
Zum letzten Male, eh' er westwärts scheidet, trinkt
Sein nährend Licht die friedlich schlummermüde Welt.
Dann kommt die Dämmerung mit ihrem Schleier sacht,
Und bald mit ihrem wonncrcichen süßen Schall
Erfüllt die heimlich traute linde Sommernacht
Die licderkund'ge, schnsnchtstrunk'ne Nachtigall." —on.
O diese Kinder!
Pcpcrl (der dem Herrn Lehrer zivci Hühner als Gescheut
bringt): „Eine schöne Empsehlung vom Vater und hier schickt er
zwei Hühner." — Lehrer: „Aber Pepcrl, tvird das nicht zuviel
sein?" — Pepcrl: „Ja, das hat die Mutter auch gesagt, aber
der Vater hat gesagt, der alte Freßsack kann nie genug haben."
Der Mohr von Leipzig.
Es ivar im Jahre 1867, als man den 65er so gerne trank,
da saßen unterschiedliche ehrsame Kürschnermeister in ihrer Herberge
zu Leipzig und genossen die liebe Gottcsgabe mit großer Eni
schicdcnheit. Sic hatten ans der Ostermesse mit Türken und Juden,
ja sogar mit Mohren gute Geschäfte gemacht und feierten min
den Abschied ihrer schwäbischen Genossen, welche mit dem Nacht
zug nach Hanse fahren wollten. Einer der letzteren, der wegen seines
Durstes rühmlichst bekannte Meister Nikodemus Bärenklau aus der
Hinteren Schcllcngasse in Nesenstadt, konnte sich aber nicht rechtzeitig
von der Flasche trennen und so kam cs, daß ihm der Zug vor der
Nase abdampstc. Also kehrte er an den noch gut besetzten Stamm-
tisch zurück und bat den Wirt, ihm sein Zimmer ivieder bereit zu
halten. Der Wirt bedauerte lebhaft, einem so geschätzten Gast nicht
dienen zu können: das Zimmer sei, tvic cs tvährend der Messe zu
geht, sogleich wieder besetzt worden und zwar von einem Mohren
und ein anderes Zimmer sei auch nicht mehr frei. Davon wollte
aber Bärenklau durchaus nichts hören; er wohne schon 25 Jahre
im gleichen Zimmer und gehe unter keinen Umständen in ein anderer
Gasthaus. Vor allen Dingen bitte er um eine neue Flasche. De
Wirt beeilte sich, diese zu holen und als er sie dem geehrten Gaste
vorsctzte, sagte er mit fröhlichem Grinsen, er habe soeben mit den
Mohren gesprochen; in dessen Zimmer sei ja noch ein Sofa, auf
diesem könne er gut schlafen, wenn er den Mohren nicht fürchte.
Bärenklau sagte, er fürchte den Mohren nicht, man solle ihn nui
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die gewonnene Wette. (Eine unheimlich moralische Rittergeschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 158.1923, Nr. 4044, S. 34
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg