Erzähl'
Das Abendessen war vorüber. Das junge Ehepaar lehnte
behaglich in den beiden Ecken des molligen Sofas und rauchte
Zigaretten.
Mar sah mit Mißbehagen, daß seine Frau ihre unternehmen-
den Augen machte.
Richtig, da kam's auch schon.
„Marl !" sagte sie. streifte die Asche ab und schaute schwärmerisch
in die Sofaecke. „Geh. erzähl' mir jetzt was!"
„Za!" antwortete er schnell und krampfhaft. „Da haben wir
heut' im Büro. . ."
„Nein! Nein! Nein!" wehrte sie. „Don Deinem Büro möchte
ich nichts wissen. Von Deiner Vergangenheit möchte ich was wisse».
Ich weiß ja noch gar nichts von Deiner Vergangenheit. .."
Lr verdrehte die Augen, gab feinem schlechten Gewissen einen
energischen Fußtritt und sagte so glaubhaft als möglich: „Zch habe
aber gar keine Vergangenheit."
Sie lachte übermütig. Dann wurde sic ernsthaft.
„Hältst Du mich noch immer für solch ein Rind?!" sagte sic
mit erheblichem schmollen. „Glaubst Du noch immer, lügen zu
müssen? Vast Du zu einer erfahrenen jungen Frau, die bereits
zwei Monate verheiratet ist, noch immer nicht das nötige Vertrauen,
um ihr eine Leichte ablegen zu können?"
Ihre Augen blitzten.
„Und überhaupt" — rief sie zornig - „meinst Du denn, ich
hätte je einen Menschen geheiratet, der vorher gar nichts erlebt
hat?! Vältst Du mich für eine solch dumme, einfältige, überbc-
schcidene Gans?!"
„Nein! Nein! Nein! Gewiß nicht!"
beeilte er sich, zu versichern. „Aber wirk-
lich, ich. . ."
„Das müssen ja sehr nette Geschichten
sein!" begann sie jetzt spitzig und miß-
trauisch. „Das müssen ja wahrhaftig
schöne Dinge sein, die über alles gewöhn-
liche Maß hinausgehen. die man einer
guten, klugen, bereits zwei Monate ver-
heirateten, erfahrenen, jungen Frau nicht
erzählen kann. Na ja. man hat mich nicht
umsonst vor Dir gewarnt. . ."
„Iver hat Dich vor mir gewarnt?!"
rief er empört. „Höchstens wieder die
Tante Eveline, die alte, giftige, nei-
mir was!
dische, intri-
gante Klatsch-
base."
„Nein!"
sagte sie und
beschloß insge-
heim, nächstens
Tante Eveline.
die also offen-
bar etwas wis-
sen mußte, ge-
nau auszufra-
gen. „Nein, sie
war cs zufäl-
lig nicht, son-
dern anders-
wer. Man sagte
mir" — log
sic daraus los
— „etwas von
einer kleinen dicken Dame in der (eimsiederstraßc. . ."
„Empörend!" rief er. „Klein und dick — Du weißt, das
war niemals mein Geschmack."
„Aha!" erklärte sic und erhob sich. „Also groß und schlank?!"
„Nicht wahr, also groß und schlank?!" wiederholte sic und
ging mit ausgcstrccktcn Bänden aus ihn los. „Also jetzt sei so
gut und sang' sofort zu erzählen an. sonst kratz' ich Dir in zwei
Minuten die Augen aus. . ."
Mas wollte er tun?
fo begann er denn. Es war eine Mischung von l'> Prozent
Mahrheit und mindestens 85 Prozent Schwindel, die er ihr vor-
trug — sehr romantisch, sehr harmlos, aber doch offenbar sehr
interessant. . .
Denn sic lehnte mit geschlossenen Augen in ihrer Sofaccke, hatte
sich eine neue Zigarette angczündct. blies den Rauch langsam durch
die Nase und träumte vor sich hin.
lVenn ihm hin und wieder der Faden ausging, drängte sic
sofort: „lvcitcr! lvriter!"
Er fabulierte darauflos. was das Zeug hielt.
Schließlich gab er dem Ganzen einen melodramatischen stimmungs-
vollen Abschluß. Sic weinte leise.
„Du bist ein schlechter Mensch!" sagte
sic elegisch. „Za. wir armen Frauen.
Dann erhob sic sich, sah aus die
Uhr, gähnte und rief, indem sic die
Arme ausstrecktc, vergnügt: „Das war
ein herrlicher Abend! Hörst Du. Maxi,
morgen mußt D» niir wieder was er-
zählen — von Deiner Vergangenheit, ver-
stehst Du?!"
„Za, gewiß!" sagte er gedehnt und
blickte mit sehr gemischten Gefühlen vor
sich hin.
Am nächsten Morgen aber war sein
erster Gang zur Theaterkasse, wo er zwei
Karte» für den Abend nahm.
180
Das Abendessen war vorüber. Das junge Ehepaar lehnte
behaglich in den beiden Ecken des molligen Sofas und rauchte
Zigaretten.
Mar sah mit Mißbehagen, daß seine Frau ihre unternehmen-
den Augen machte.
Richtig, da kam's auch schon.
„Marl !" sagte sie. streifte die Asche ab und schaute schwärmerisch
in die Sofaecke. „Geh. erzähl' mir jetzt was!"
„Za!" antwortete er schnell und krampfhaft. „Da haben wir
heut' im Büro. . ."
„Nein! Nein! Nein!" wehrte sie. „Don Deinem Büro möchte
ich nichts wissen. Von Deiner Vergangenheit möchte ich was wisse».
Ich weiß ja noch gar nichts von Deiner Vergangenheit. .."
Lr verdrehte die Augen, gab feinem schlechten Gewissen einen
energischen Fußtritt und sagte so glaubhaft als möglich: „Zch habe
aber gar keine Vergangenheit."
Sie lachte übermütig. Dann wurde sic ernsthaft.
„Hältst Du mich noch immer für solch ein Rind?!" sagte sic
mit erheblichem schmollen. „Glaubst Du noch immer, lügen zu
müssen? Vast Du zu einer erfahrenen jungen Frau, die bereits
zwei Monate verheiratet ist, noch immer nicht das nötige Vertrauen,
um ihr eine Leichte ablegen zu können?"
Ihre Augen blitzten.
„Und überhaupt" — rief sie zornig - „meinst Du denn, ich
hätte je einen Menschen geheiratet, der vorher gar nichts erlebt
hat?! Vältst Du mich für eine solch dumme, einfältige, überbc-
schcidene Gans?!"
„Nein! Nein! Nein! Gewiß nicht!"
beeilte er sich, zu versichern. „Aber wirk-
lich, ich. . ."
„Das müssen ja sehr nette Geschichten
sein!" begann sie jetzt spitzig und miß-
trauisch. „Das müssen ja wahrhaftig
schöne Dinge sein, die über alles gewöhn-
liche Maß hinausgehen. die man einer
guten, klugen, bereits zwei Monate ver-
heirateten, erfahrenen, jungen Frau nicht
erzählen kann. Na ja. man hat mich nicht
umsonst vor Dir gewarnt. . ."
„Iver hat Dich vor mir gewarnt?!"
rief er empört. „Höchstens wieder die
Tante Eveline, die alte, giftige, nei-
mir was!
dische, intri-
gante Klatsch-
base."
„Nein!"
sagte sie und
beschloß insge-
heim, nächstens
Tante Eveline.
die also offen-
bar etwas wis-
sen mußte, ge-
nau auszufra-
gen. „Nein, sie
war cs zufäl-
lig nicht, son-
dern anders-
wer. Man sagte
mir" — log
sic daraus los
— „etwas von
einer kleinen dicken Dame in der (eimsiederstraßc. . ."
„Empörend!" rief er. „Klein und dick — Du weißt, das
war niemals mein Geschmack."
„Aha!" erklärte sic und erhob sich. „Also groß und schlank?!"
„Nicht wahr, also groß und schlank?!" wiederholte sic und
ging mit ausgcstrccktcn Bänden aus ihn los. „Also jetzt sei so
gut und sang' sofort zu erzählen an. sonst kratz' ich Dir in zwei
Minuten die Augen aus. . ."
Mas wollte er tun?
fo begann er denn. Es war eine Mischung von l'> Prozent
Mahrheit und mindestens 85 Prozent Schwindel, die er ihr vor-
trug — sehr romantisch, sehr harmlos, aber doch offenbar sehr
interessant. . .
Denn sic lehnte mit geschlossenen Augen in ihrer Sofaccke, hatte
sich eine neue Zigarette angczündct. blies den Rauch langsam durch
die Nase und träumte vor sich hin.
lVenn ihm hin und wieder der Faden ausging, drängte sic
sofort: „lvcitcr! lvriter!"
Er fabulierte darauflos. was das Zeug hielt.
Schließlich gab er dem Ganzen einen melodramatischen stimmungs-
vollen Abschluß. Sic weinte leise.
„Du bist ein schlechter Mensch!" sagte
sic elegisch. „Za. wir armen Frauen.
Dann erhob sic sich, sah aus die
Uhr, gähnte und rief, indem sic die
Arme ausstrecktc, vergnügt: „Das war
ein herrlicher Abend! Hörst Du. Maxi,
morgen mußt D» niir wieder was er-
zählen — von Deiner Vergangenheit, ver-
stehst Du?!"
„Za, gewiß!" sagte er gedehnt und
blickte mit sehr gemischten Gefühlen vor
sich hin.
Am nächsten Morgen aber war sein
erster Gang zur Theaterkasse, wo er zwei
Karte» für den Abend nahm.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Erzähl mir was!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 158.1923, Nr. 4056, S. 130
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg