Tugend. Liner nahm einen
Stein und warf ihn hinauf
ins Geäst. Lin paar Kirschen
fielen herunter, um die balg-
ten sich die Buben. Aber was
sind fünf Kirschen für zwan-
zig Buben? Liner wollte
hinaufsteigen — doch das
war zu gewagt. Da hatte der
Riedschmieds - Luxper eine
gute Idee. Lr faßte das
Kreuz mit beiden Bänden,
holte fest aus und hieb da-
mit in das Geäst hinein, daß
die Kirschen nur so nicder-
prasselten. Dann ließ er das
Kreuz zwischen den Zweigen
hängen und beteiligte sich
am Auflesen der Kirschen,
die er. gleich seinen Käme
raden mit Len Kernen ver-
schluckte; denn so find -sie
ausgiebiger. Als die erste
Portion aufgelesen war,
wurde das rationelle Ver-
fahren wiederholt.
plötzlich ertönte der Ruf: „Alleweil kummc fe!"
Flink nahm der Riedschmicds-Lupper sein Kreuz und im Nu
hatte sich die Korde formiert zu einem wohlgefälligen Ganzen. Die
anderen schlossen allmählich auf und wieder im geschlossenen Zuge
ging cs. betend und singend -nach Vorgau hinein. Dort war sofort
Amt. Darnach wurde den Teilnehmern der Wallfahrt eine kleine
Frühstückspause bewilligt, nach welcher man wieder im wohlgeord-
neten Zuge der Dcimat zustrebte.
Als das Ganze sich wieder zu ordnen begann, waren des hoch-
würdigen Deren Blicke zufällig auf das Kreuz gefallen, das der
Riedschmieds-Luppcr vorantrug. Und mit Lntsetzcn hatte er wahr-
genommen. daß das schwarze Kreuz das Bild des Deilands nicht
mehr trug. Schon wollte er ausbegehren. Da besann er sich eines
Besseren, von den Anwesenden, die vorgauer Geistlichkeit und
Gemeinde inbegriffen, hatte niemand das Fehlen des Deilands am
Kreuze entdeckt, bind das war dem Pfarrer recht; denn das alte
schöne Sieb von den pinzgauern klang ihm im Mhr und er fürchtete,
eine ähnliche Nationalhymne für die Lrlentaler entstehen zu hören.
Ls gelang ihm aber, seine Schäflein mit dem verunglückten Kreuze
unbemerkt aus Vorgaus Bann hinaus zu dirigieren.
Als der Zug in der brennenden Sonnenhitze die steile Land-
straße emporkroch, ging der Pfarrer an die Spitze und redete
scharf auf die Buben ein. Die bekamen rote Köpfe, besonders
der Riedschmieds-Luppcr. Denn der Derr Pfarrer hatte ihnen ge-
sagt. daß der Dciland ver-
loren war. selbst hatten sic
es nicht bemerkt. Sic ließe,»
die Vorwürfe ihrer greulichen
Unachtsamkeit über sich er-
gehen und befolgten des kfoch-
würden Befehl, fleißig die
Straße abzusuchen, damit
man den verlorenen Deiland
wiedersinde. Aber man fand
ihn nicht. An den wirklichen
verbleib der Statuette dachte
keiner. —
Am Nachmittag ging
der Pater Fidelis vom Klo-
ster Vorgau gen Lrlental.
Wie er an den reich behan-
genen Kirschbäumen des
Bürgermeisters vorbeikam,
schaute er sic freundlich an.
Denn der Pater war ein
Naturfreund, Maler und
Dichter und konnte sich an
einem schönen Stückchen
Schöpfung recht von Kerzen
freuen. Farben und Stim-
mung ivirktc» auf ihn. wie
aus alle Künstlerseelcn. Und
wie er in die sattgrüncn
Kronen blicki, aus der hun-
dert und aberhundert blut-
rote Kirschen leuchteten und
drüber das klare Bla» des
Dimmcls, da hatte er plötz-
lich ein seltsam Gesicht. Ls
war ihm, als sähe er von Zeit
zu Zeit durch die Lücken, die
der Wind stoßweise ins Gezweig wehte, von einem Zweig herab
die Gestalt des Dcilands hange». Zuerst erschrak er, dann über-
zeugte er sich von der Wahrheit des Gesehene» und stand wie vor
einen, Wunder. Und da er ein Dichter war, grübelte er und grü-
belte. bis er nach Lrlental kam und seinem Amtsbruder Mitteilung
von feinem Lrlcbnis machte.
Mb es wohl einer alten, schönen Volkssitte entspreche, in den
fruchtgesegneten Baum des Dcilands Bild zu bringen?
Mdcr wäre cs gar ein Wunder, ei» himmlischer Fingerzeig, und
Vorgau entwickle sich am Ende zu einem weitbesuchten, gesegneten
Wallfahrtsorte?
Diese und andere Erwägungen setzte er seinem weltlichen Amts-
bruder auseinander.
Aber der war keineswegs so erschüttert wie er. Pfarrer Ameier
stieß vielmehr bei der Eröffnung der Beobachtung des Paters nur
einen kleinen, kurzen pfiff aus. was in der Sprache der hochwürdigcn
kcrrcn gleich bedeutend ist mit einem etwas kräftigeren Epitheton
der Zäger. Und er sagte auf die Erwägung bezüglich der schönen
Volkssitte nur: „Za, da müssens Zhnc» halt amal erkundigen, ob
so was hicrzuland üblich is. —"
Überhaupt fand Pater Fidelis den lferrn Pfarrer wenig um-
gänglich. Um so mehr fand er, »ach Vorgau zurückgckehrt, Teilnahme
bei seinen Lonventualen.
Als der Pater am nächsten Tag den Herrgott im Kirschbaum
suchen wollte, fand er ihn nicht mehr. Nie-
mand wußte was davon und auch „eine schöne
Volkssitte" war unbekannt. So blieb dem Pater
der Herrgott im Kirschbaum ein Rätsel, über
das er oft nachsann.
Zn Lrlental gab's freilich zwei Personen,
die cs ihm hätten lösen können, den Pfarrer
Amcier und den Riedschmicds-Lupper. Aber
der erstere redete überhaupt nicht viel und was
den letzteren anlangt, so hatte er an seinen
prügeln genug. — Matwtn, weiß.
Stein und warf ihn hinauf
ins Geäst. Lin paar Kirschen
fielen herunter, um die balg-
ten sich die Buben. Aber was
sind fünf Kirschen für zwan-
zig Buben? Liner wollte
hinaufsteigen — doch das
war zu gewagt. Da hatte der
Riedschmieds - Luxper eine
gute Idee. Lr faßte das
Kreuz mit beiden Bänden,
holte fest aus und hieb da-
mit in das Geäst hinein, daß
die Kirschen nur so nicder-
prasselten. Dann ließ er das
Kreuz zwischen den Zweigen
hängen und beteiligte sich
am Auflesen der Kirschen,
die er. gleich seinen Käme
raden mit Len Kernen ver-
schluckte; denn so find -sie
ausgiebiger. Als die erste
Portion aufgelesen war,
wurde das rationelle Ver-
fahren wiederholt.
plötzlich ertönte der Ruf: „Alleweil kummc fe!"
Flink nahm der Riedschmicds-Lupper sein Kreuz und im Nu
hatte sich die Korde formiert zu einem wohlgefälligen Ganzen. Die
anderen schlossen allmählich auf und wieder im geschlossenen Zuge
ging cs. betend und singend -nach Vorgau hinein. Dort war sofort
Amt. Darnach wurde den Teilnehmern der Wallfahrt eine kleine
Frühstückspause bewilligt, nach welcher man wieder im wohlgeord-
neten Zuge der Dcimat zustrebte.
Als das Ganze sich wieder zu ordnen begann, waren des hoch-
würdigen Deren Blicke zufällig auf das Kreuz gefallen, das der
Riedschmieds-Luppcr vorantrug. Und mit Lntsetzcn hatte er wahr-
genommen. daß das schwarze Kreuz das Bild des Deilands nicht
mehr trug. Schon wollte er ausbegehren. Da besann er sich eines
Besseren, von den Anwesenden, die vorgauer Geistlichkeit und
Gemeinde inbegriffen, hatte niemand das Fehlen des Deilands am
Kreuze entdeckt, bind das war dem Pfarrer recht; denn das alte
schöne Sieb von den pinzgauern klang ihm im Mhr und er fürchtete,
eine ähnliche Nationalhymne für die Lrlentaler entstehen zu hören.
Ls gelang ihm aber, seine Schäflein mit dem verunglückten Kreuze
unbemerkt aus Vorgaus Bann hinaus zu dirigieren.
Als der Zug in der brennenden Sonnenhitze die steile Land-
straße emporkroch, ging der Pfarrer an die Spitze und redete
scharf auf die Buben ein. Die bekamen rote Köpfe, besonders
der Riedschmieds-Luppcr. Denn der Derr Pfarrer hatte ihnen ge-
sagt. daß der Dciland ver-
loren war. selbst hatten sic
es nicht bemerkt. Sic ließe,»
die Vorwürfe ihrer greulichen
Unachtsamkeit über sich er-
gehen und befolgten des kfoch-
würden Befehl, fleißig die
Straße abzusuchen, damit
man den verlorenen Deiland
wiedersinde. Aber man fand
ihn nicht. An den wirklichen
verbleib der Statuette dachte
keiner. —
Am Nachmittag ging
der Pater Fidelis vom Klo-
ster Vorgau gen Lrlental.
Wie er an den reich behan-
genen Kirschbäumen des
Bürgermeisters vorbeikam,
schaute er sic freundlich an.
Denn der Pater war ein
Naturfreund, Maler und
Dichter und konnte sich an
einem schönen Stückchen
Schöpfung recht von Kerzen
freuen. Farben und Stim-
mung ivirktc» auf ihn. wie
aus alle Künstlerseelcn. Und
wie er in die sattgrüncn
Kronen blicki, aus der hun-
dert und aberhundert blut-
rote Kirschen leuchteten und
drüber das klare Bla» des
Dimmcls, da hatte er plötz-
lich ein seltsam Gesicht. Ls
war ihm, als sähe er von Zeit
zu Zeit durch die Lücken, die
der Wind stoßweise ins Gezweig wehte, von einem Zweig herab
die Gestalt des Dcilands hange». Zuerst erschrak er, dann über-
zeugte er sich von der Wahrheit des Gesehene» und stand wie vor
einen, Wunder. Und da er ein Dichter war, grübelte er und grü-
belte. bis er nach Lrlental kam und seinem Amtsbruder Mitteilung
von feinem Lrlcbnis machte.
Mb es wohl einer alten, schönen Volkssitte entspreche, in den
fruchtgesegneten Baum des Dcilands Bild zu bringen?
Mdcr wäre cs gar ein Wunder, ei» himmlischer Fingerzeig, und
Vorgau entwickle sich am Ende zu einem weitbesuchten, gesegneten
Wallfahrtsorte?
Diese und andere Erwägungen setzte er seinem weltlichen Amts-
bruder auseinander.
Aber der war keineswegs so erschüttert wie er. Pfarrer Ameier
stieß vielmehr bei der Eröffnung der Beobachtung des Paters nur
einen kleinen, kurzen pfiff aus. was in der Sprache der hochwürdigcn
kcrrcn gleich bedeutend ist mit einem etwas kräftigeren Epitheton
der Zäger. Und er sagte auf die Erwägung bezüglich der schönen
Volkssitte nur: „Za, da müssens Zhnc» halt amal erkundigen, ob
so was hicrzuland üblich is. —"
Überhaupt fand Pater Fidelis den lferrn Pfarrer wenig um-
gänglich. Um so mehr fand er, »ach Vorgau zurückgckehrt, Teilnahme
bei seinen Lonventualen.
Als der Pater am nächsten Tag den Herrgott im Kirschbaum
suchen wollte, fand er ihn nicht mehr. Nie-
mand wußte was davon und auch „eine schöne
Volkssitte" war unbekannt. So blieb dem Pater
der Herrgott im Kirschbaum ein Rätsel, über
das er oft nachsann.
Zn Lrlental gab's freilich zwei Personen,
die cs ihm hätten lösen können, den Pfarrer
Amcier und den Riedschmicds-Lupper. Aber
der erstere redete überhaupt nicht viel und was
den letzteren anlangt, so hatte er an seinen
prügeln genug. — Matwtn, weiß.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Herrgott im Kirchbaum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1923
Entstehungsdatum (normiert)
1918 - 1928
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 158.1923, Nr. 4059, S. 156
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg