//Ein garftig Lied! Pfui! Ein politifch Jjed!//
Wenn der Hahn kräht auf dem Afif
Packt ihn der Fuchs oder es bleibt, wie es ift.
Wenn der Fuchs auf Anhand geht
Schweigt der Hahn oder lacht und kräht.
So fpiel’n die beiden Tag und ffHig
Bald wird es anders - oder es bleibt/ wies war.
Von Hans Relmann
Durch Allahs unerquicklichen Rat-
schluß stürzte ich am 12. Cftobcr vori-
gen Jahres von einem Treppengeländer,
auf welchem ich mich balancierenderweise
aufgehalten hatte. Anstatt das Genick zu brechen,
schlug ich mir eine beträchtliche Schramme ins Schienbein. Die
Haut war lädiert. Ich zog meine Brieftasche und entnahm ihr
ein für alle Unglücksfällc bereitgehaltenes Zinkpflaster. Dieses
Zinkpflaster mockte wohl Myriaden von still für sich dahin-
brütenden Bakterien geborgen haben, denn drei Tage später
mußte ich mich schmerzenden Fußes zum Arzt begeben.
Der Arzt betrachtete die Bescherung und wendete eine Phrase
an: er legte den Finger an die offene Wunde. Außerdem legte
er die Stirn in Falten. Ich tat das gleiche. In Ermangelung
medizinischer Kenntnisse. Ich begann, mich Patient zu fühlen.
„Patient" ist ein lateinisches Wort und hängt nickt ohne Be-
rechtigung init dem Berbuin „leiden" zusammen. Nachdem mein
kaputtes Schienbein mit Protargol-Salbe bestricken worden
war, trollte ich mich humpelnd. Die Salbe sollte hautbildend
wirken. Leider tat sie cs wirklich. In zwei Tagen war der ganze
Segen nach innen geeitert, und ich erreichte den Kulminations-
punkt des Fiebers. Ein bcrbeibcorderter Arzt stellte Grippe fest
und verschrieb mir pyramidon plus Kainillentec. Tante Anna
aber, bei der ich (in allen Ehren) lag, war schlauer und ließ
mich in die Klinik eines ihr befreundeten Chirurgen transpor-
tieren. Noch in der nämlichen Nacht wurde ich operiert. Der
Cbirurg hatte eine Phlegmone festgestellt. Es bildet ein Abszeß
sich in der Stille, sich die Phlegmone in dem Strom der Welt.
Sagt schon Schiller. Und so geschah es. Auch der Abszeß
wurde geschnitten. Er bevölkerte die rechte Kniekehle und war
gewissermaßen als Dependance der Phlegmone anzusehen.
Die ganze Geschichte trug sich zu in Hannover und war
äußerst schmerzhaft. Bon Mitte Oktober bis Ende Dezember
lag ich in der.Klinik und wurde mit dem Begriff „Tamponieren"
vertraut gemacht. Schwestern pflegten mich in rührender Weise,
der Kabarcttdirektor Alfred Tenno aus Bremen brachte mir
Kuchen und Zigaretten, Korfiz Holm und Kurt Wolff schickten
mir Bücher zuin Lesen, Paul Steegcmann dcdizierkc mir einen
echten Dollar, und ich fühlte mich kindhaft gut und unschuldig
werden. Die schlaflosen Nächte läuterten mich. Als schlacken-
loses Engclchen binkte ick am Sylvesterabcnd zum Bahnhof und
dampfte gen Hamburg. Der Chirurg aus Hannover gab mir
(Forts. S. 128)
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Wenn der Hahn kräht auf dem Afif
Packt ihn der Fuchs oder es bleibt, wie es ift.
Wenn der Fuchs auf Anhand geht
Schweigt der Hahn oder lacht und kräht.
So fpiel’n die beiden Tag und ffHig
Bald wird es anders - oder es bleibt/ wies war.
Von Hans Relmann
Durch Allahs unerquicklichen Rat-
schluß stürzte ich am 12. Cftobcr vori-
gen Jahres von einem Treppengeländer,
auf welchem ich mich balancierenderweise
aufgehalten hatte. Anstatt das Genick zu brechen,
schlug ich mir eine beträchtliche Schramme ins Schienbein. Die
Haut war lädiert. Ich zog meine Brieftasche und entnahm ihr
ein für alle Unglücksfällc bereitgehaltenes Zinkpflaster. Dieses
Zinkpflaster mockte wohl Myriaden von still für sich dahin-
brütenden Bakterien geborgen haben, denn drei Tage später
mußte ich mich schmerzenden Fußes zum Arzt begeben.
Der Arzt betrachtete die Bescherung und wendete eine Phrase
an: er legte den Finger an die offene Wunde. Außerdem legte
er die Stirn in Falten. Ich tat das gleiche. In Ermangelung
medizinischer Kenntnisse. Ich begann, mich Patient zu fühlen.
„Patient" ist ein lateinisches Wort und hängt nickt ohne Be-
rechtigung init dem Berbuin „leiden" zusammen. Nachdem mein
kaputtes Schienbein mit Protargol-Salbe bestricken worden
war, trollte ich mich humpelnd. Die Salbe sollte hautbildend
wirken. Leider tat sie cs wirklich. In zwei Tagen war der ganze
Segen nach innen geeitert, und ich erreichte den Kulminations-
punkt des Fiebers. Ein bcrbeibcorderter Arzt stellte Grippe fest
und verschrieb mir pyramidon plus Kainillentec. Tante Anna
aber, bei der ich (in allen Ehren) lag, war schlauer und ließ
mich in die Klinik eines ihr befreundeten Chirurgen transpor-
tieren. Noch in der nämlichen Nacht wurde ich operiert. Der
Cbirurg hatte eine Phlegmone festgestellt. Es bildet ein Abszeß
sich in der Stille, sich die Phlegmone in dem Strom der Welt.
Sagt schon Schiller. Und so geschah es. Auch der Abszeß
wurde geschnitten. Er bevölkerte die rechte Kniekehle und war
gewissermaßen als Dependance der Phlegmone anzusehen.
Die ganze Geschichte trug sich zu in Hannover und war
äußerst schmerzhaft. Bon Mitte Oktober bis Ende Dezember
lag ich in der.Klinik und wurde mit dem Begriff „Tamponieren"
vertraut gemacht. Schwestern pflegten mich in rührender Weise,
der Kabarcttdirektor Alfred Tenno aus Bremen brachte mir
Kuchen und Zigaretten, Korfiz Holm und Kurt Wolff schickten
mir Bücher zuin Lesen, Paul Steegcmann dcdizierkc mir einen
echten Dollar, und ich fühlte mich kindhaft gut und unschuldig
werden. Die schlaflosen Nächte läuterten mich. Als schlacken-
loses Engclchen binkte ick am Sylvesterabcnd zum Bahnhof und
dampfte gen Hamburg. Der Chirurg aus Hannover gab mir
(Forts. S. 128)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!" "Patient"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1924
Entstehungsdatum (normiert)
1919 - 1929
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 160.1924, Nr. 4105, S. 126
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg