Denkwürdigkeiten eines humoristischen Schriftstellers
Ich leide an einer angeborenen Schwermut und fühlte deshalb
den Beruf in mir, Mitarbeiter eines Blattes für Humor und Witz
zu werden. Daß dies nur durch gehäufte Einsendung neuer durch-
schlagenderWitze und pointenftarkerHumoresken mit noch
unabgedroschenen Motiven geschehen könne, war mir nach
einigem Nachdenken klar. Infolge dieser Erkenntnis saß
ich mehrere Wochen lang mit ernst grübelndem Philo-
sophengesicht an meinem Schreibtisch, legte eine wiffen-
schaftliche Grundlage für meine künftige Arbeit durch
genaues Studium der Unterscheidungen von Wort-
witz und Situationskomik, durch historische
Feststellung der Scherzmotive von den alt-
griechischen Komödien bis Ludwig
Thoma und Carl Zuckmauer und
begann dann geistreich kombi-
nierte Humoresken zu schreiben.
Nach drei Monaten war ich
bereits in der Lage, auf eine
größere Sammlung abgelehnter
Manuskripte hinzublicken. Und
nach einem halben Jahre bestand der Ertrag meiner Feder bereit
in sechs gerichtlichen Klagen anderer Witzblätter wegen Plagiats
und dreiundzwanzig entsprechenden Redaktionsbriefen. Ich fühlte
mich vollständig als humoristischer Schriftsteller. Und nun beschloß
ich mein Schrifttum zu verwerten. Denn mein künstlerischer Name
war gerichtsbekannt und mein Ruf bei den Redaktionen der denk-
bar witzigste.
Ich nahm also die von mir verfaßten und von den Redaktionen
nnt einem, wie ich wohl verstand, aufrichtigen Bedauern als gerade
für ihr Blakt ungeeignet zurückgereichten Humoresken — siebenund-
zwanzig an der Zahl — zwecks Ineinanderarbeitens zu einem humori-
stischen Roman zu Hand. Humoristische Romane sind modern, aktuell
und beliebt. Und an diesen drei Eigenschaften hängt ja der ganze
literarische Erfolg eines Dichters. Mein humoristischer Roman, der
infolge seiner verschiedenartigen Bestandteile ein wenig unübersicht-
lich ausfiel - aber das war ja gerade das Humoristische an ihm! —
lag nacheinander drei Verlagen vor und dann machte ich
eine Ruhepause. Der letzte Begutachter verstand augen-
scheinlich keinen Spaß. Aber ich setzte eö dann doch durch,
daß er im Schiedsgerichtsverfahren eine Buße an die
Armen zahlen mußte.
Meine Frau sehnte sich sehr danach, mich anerkannt zu
sehen. Der Hinweis darauf, daß Gegenwartserfolg
stets ein Beweis für den Durchschnitischarakter
eines Dichters sei, und Große, die der Zeit vor-
aus schritten, erst nach ihrem Tode Verständ-
nis fänden, hatte einen Weinkrampf zur
Folge. Wenn einer von uns beiden
gestorben sei, würde sie doch keine lite-
rarische Teestunde mehr besuchen, aus
der sie als Gattin eines gedruckten
Dichters Achtung finden könne. Ich
war mir klar bewußt, daß ich schon
im Intereffe meines ehelichen Lebens ein Übriges tun müffe. Ich
setzte mich also in stiller Nachtstunde an meinen Schreibtisch, auf
dem eine Elfenbeinstatuette der zehnten Muse steht, nahm reichlich
vom Alkohol der Geistesarbeiter, stark gezuckert und ohne Milch,
und schrieb die Denkwürdigkeiten meines literarischen Lebens. Mit
diesem Witz hatte ich endlich einen durchschlagenden Erfolg. Denn
die Arbeit wurde zu meinem Verwundern angenommen und so
konnte ich den Glauben an mich und an die Urteilskraft meiner
Mitmenschen wiedergewinnen. Auf diesen Erfolg hin ließ ich mich
in den „Kürschner" als humoristischen Schriftsteller aufnehmen.
Aber ich schreibe als solcher grundsätzlich nichts mehr. Denn das
gerade finde ich am witzigsten und es sichert mir die Dankbarkeit
der Mit- und Lstachwelt. Edmund Tchop«»
KONIGSGABEN
Vor dem Herrn der Welten hang ein Seelchen stand.
Lächelnd vvogs der Alte in der Riesenhand.
Sprach das graue Seelchen: „Vater, es ist Zeit.
Meine Erdenmutter wob mein Erdenkleid!“
Seine Flammenaugen strahlten milde Glut:
„Frierst du, kleine Seele ohne Fleisch und Blut?
Wenn ein Menschlein erdwärts seine Schritte lenkt,
Von des Königs Throne gehts nicht unbeschenkt! “
Seine Hände tauchten in den goldnen Krug,
Daß die kleine Seele schweren Segen trug.
„Bunte Erdenwunder soll dein Auge sehn.
Süße Lieder sollen deine Stirn umwelin.
An dich sollst du reißen deiner Brüder Schar,
An dem Quell der Freude trinken immerdar.
Denn dich ruft die Mutter, da der Herr der Welt
Seiner Schüpferstunde Feierabend hält.“ -
Doch so schwer die reiche Königsgabe wog.
Daß sie fast die kleine Seele niederzog.
„Vater,“ rief das Seeldien, „sieh, es ist zu schwer,
Vater, deine goldnen Lasten schmerzen sehr!“
„Zu den goldnen Lasten trage heilgen Fluch!“
Seine Hände tauchten in den dunklen Krug.
„Uferlose Liebe walle durch dein Herz,
Ewig sollst du fühlen uferlosen Schmerz.
An dich sollst du reißen deiner Brüder Schar,
Dennoch bleibst du Seele, einsam Jahr um Jahr.
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Ich leide an einer angeborenen Schwermut und fühlte deshalb
den Beruf in mir, Mitarbeiter eines Blattes für Humor und Witz
zu werden. Daß dies nur durch gehäufte Einsendung neuer durch-
schlagenderWitze und pointenftarkerHumoresken mit noch
unabgedroschenen Motiven geschehen könne, war mir nach
einigem Nachdenken klar. Infolge dieser Erkenntnis saß
ich mehrere Wochen lang mit ernst grübelndem Philo-
sophengesicht an meinem Schreibtisch, legte eine wiffen-
schaftliche Grundlage für meine künftige Arbeit durch
genaues Studium der Unterscheidungen von Wort-
witz und Situationskomik, durch historische
Feststellung der Scherzmotive von den alt-
griechischen Komödien bis Ludwig
Thoma und Carl Zuckmauer und
begann dann geistreich kombi-
nierte Humoresken zu schreiben.
Nach drei Monaten war ich
bereits in der Lage, auf eine
größere Sammlung abgelehnter
Manuskripte hinzublicken. Und
nach einem halben Jahre bestand der Ertrag meiner Feder bereit
in sechs gerichtlichen Klagen anderer Witzblätter wegen Plagiats
und dreiundzwanzig entsprechenden Redaktionsbriefen. Ich fühlte
mich vollständig als humoristischer Schriftsteller. Und nun beschloß
ich mein Schrifttum zu verwerten. Denn mein künstlerischer Name
war gerichtsbekannt und mein Ruf bei den Redaktionen der denk-
bar witzigste.
Ich nahm also die von mir verfaßten und von den Redaktionen
nnt einem, wie ich wohl verstand, aufrichtigen Bedauern als gerade
für ihr Blakt ungeeignet zurückgereichten Humoresken — siebenund-
zwanzig an der Zahl — zwecks Ineinanderarbeitens zu einem humori-
stischen Roman zu Hand. Humoristische Romane sind modern, aktuell
und beliebt. Und an diesen drei Eigenschaften hängt ja der ganze
literarische Erfolg eines Dichters. Mein humoristischer Roman, der
infolge seiner verschiedenartigen Bestandteile ein wenig unübersicht-
lich ausfiel - aber das war ja gerade das Humoristische an ihm! —
lag nacheinander drei Verlagen vor und dann machte ich
eine Ruhepause. Der letzte Begutachter verstand augen-
scheinlich keinen Spaß. Aber ich setzte eö dann doch durch,
daß er im Schiedsgerichtsverfahren eine Buße an die
Armen zahlen mußte.
Meine Frau sehnte sich sehr danach, mich anerkannt zu
sehen. Der Hinweis darauf, daß Gegenwartserfolg
stets ein Beweis für den Durchschnitischarakter
eines Dichters sei, und Große, die der Zeit vor-
aus schritten, erst nach ihrem Tode Verständ-
nis fänden, hatte einen Weinkrampf zur
Folge. Wenn einer von uns beiden
gestorben sei, würde sie doch keine lite-
rarische Teestunde mehr besuchen, aus
der sie als Gattin eines gedruckten
Dichters Achtung finden könne. Ich
war mir klar bewußt, daß ich schon
im Intereffe meines ehelichen Lebens ein Übriges tun müffe. Ich
setzte mich also in stiller Nachtstunde an meinen Schreibtisch, auf
dem eine Elfenbeinstatuette der zehnten Muse steht, nahm reichlich
vom Alkohol der Geistesarbeiter, stark gezuckert und ohne Milch,
und schrieb die Denkwürdigkeiten meines literarischen Lebens. Mit
diesem Witz hatte ich endlich einen durchschlagenden Erfolg. Denn
die Arbeit wurde zu meinem Verwundern angenommen und so
konnte ich den Glauben an mich und an die Urteilskraft meiner
Mitmenschen wiedergewinnen. Auf diesen Erfolg hin ließ ich mich
in den „Kürschner" als humoristischen Schriftsteller aufnehmen.
Aber ich schreibe als solcher grundsätzlich nichts mehr. Denn das
gerade finde ich am witzigsten und es sichert mir die Dankbarkeit
der Mit- und Lstachwelt. Edmund Tchop«»
KONIGSGABEN
Vor dem Herrn der Welten hang ein Seelchen stand.
Lächelnd vvogs der Alte in der Riesenhand.
Sprach das graue Seelchen: „Vater, es ist Zeit.
Meine Erdenmutter wob mein Erdenkleid!“
Seine Flammenaugen strahlten milde Glut:
„Frierst du, kleine Seele ohne Fleisch und Blut?
Wenn ein Menschlein erdwärts seine Schritte lenkt,
Von des Königs Throne gehts nicht unbeschenkt! “
Seine Hände tauchten in den goldnen Krug,
Daß die kleine Seele schweren Segen trug.
„Bunte Erdenwunder soll dein Auge sehn.
Süße Lieder sollen deine Stirn umwelin.
An dich sollst du reißen deiner Brüder Schar,
An dem Quell der Freude trinken immerdar.
Denn dich ruft die Mutter, da der Herr der Welt
Seiner Schüpferstunde Feierabend hält.“ -
Doch so schwer die reiche Königsgabe wog.
Daß sie fast die kleine Seele niederzog.
„Vater,“ rief das Seeldien, „sieh, es ist zu schwer,
Vater, deine goldnen Lasten schmerzen sehr!“
„Zu den goldnen Lasten trage heilgen Fluch!“
Seine Hände tauchten in den dunklen Krug.
„Uferlose Liebe walle durch dein Herz,
Ewig sollst du fühlen uferlosen Schmerz.
An dich sollst du reißen deiner Brüder Schar,
Dennoch bleibst du Seele, einsam Jahr um Jahr.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Denkwürdigkeiten eines humoristischen Schriftstellers"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 166.1927, Nr. 4250, S. 30
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg