Die Wanderung
Am kühlfrischen Morgen ging ich
Der steigenden Sonne entgegen,
Es sang in allen Wipfeln,
Es glänzte auf allen Wegen,
Ich schritt voll fröhlicher Lieder
Über blumige, sonnige Matten,
Sah nicht, wie mich ständig verfolgte
Im Rücken mein eigener Schatten,
Und als ich nach langem Wandern
Zuletzt nach der Sonne spähte,
Da stand sie versinkend im Westen,
Die Abendluft kühl mich umwehte.
Mein Weg, er naht seinem Ende,
Ich fühle die Glieder ermatten
Und düster seh' ich jetzt wandern
Vor mir meinen eigenen Schatten,
Lothar,»
Die alte Liebe
Heut streifte im Tagesgetriebe
Mein Ohr mit verwehendem Klang
Ein Lied, das dereinst die Liebe,
Die alte Liebe, mir sang.
Es hemmte das Lied mir im Schreiten
Den Fuh, wie ich ging und stand - -
Der Heimat blühende Weiten
Dehnten vor mir sich ins Land,
Es sangen und klangen die Winde,
Der Brunnen rauschte vorm Tor,
Und unter der blühenden Linde
Sangst du dein Lied mir ins Ohr,
O Liebe, du alte Liebe,
In meiner Erinnerung
So bleich und so welk geworden,
Wie bist du nun wieder so jung!
Johanna Weiekirch
Der Lehrer
Hier Hab ich einst gelehrt,
die Kinder sind nun groh geworden,
froh oder still in sich gekehrt,
mir rauscht der Tag an leisern Borden,
Ich schau in manchen Blick,
und mancher gibt mir beide Hände
und geht dann ernst und rasch zurück
in seines Hauses morgenblanke Wände,
Einst war ich mit ihm jung,
nun steig ich abwärts meine Stufen,
er holt vom Brunnen frischen Trunk
und will nach seinem Kinde rufen.
Und läht dann unbewuht
denn leeren Eimer niederrollen
und horcht in banger Brust
dem Widerklang aus tiefem Stollen.
Ludwig Bäte
Splitter
Es ist immer bester, alles
ganz zu sein; selbst ein halber
Narr ist kläglicher als ein
ganzer. o,E,W,
Viele Männer fühlen sich
als Herren der Schöpfung,
wenn sie mal ein Donner-
wetter loslaffen können, r,.
Mit Vernunftgründcn ist
schon ebensoviel Unheil an-
gerichtet worden wie mit
Phrasen und Lügen. H, s*-
Die Menschen sind teils
wie Spiegelglas, teils wie
Glasspiegel. Man durch-
schaut die einen, in den an-
deren findet man sich wieder.
K,
Nur wer selbst nicht be-
scheiden ist, glaubt nicht an
die Bescheidenheit anderer.
Wer keine Gegner bat,
ist kein Mann, wer keine
Freunde hat, kein Mensch.
Wer vieles weiß, sagt,
man lernt nie aus; wer gar
nichts weiß, sagt, man kann
nicht alles wisten.
Die Menschen glauben
manches, nicht weil es wahr
ist, sondern kalten manches
für wahr, weil sie es glau-
den.
In der Verlegenheit geht
der Kluge in sich und gerät
der Dumme außer sich.
Du sagst: «Kein Mann
hat je das Weib durch-
schaut! Hast du noch keine
Flimmerdiva oder Bühnen-
heldin in moderner — Ball-
toilette gesehen?" Km
Pietät. „Aber Anna, warum haben Sie sich so teure Trauerkleider
gekauft, die Sie doch nur ein Jahr lang tragen? — „Ja, gnii’
Frau, für meinen guten Vater ist mir eben nichts 7.u teuer!“
Schäferstunden nennen
wir oft solche, in denen wir
das Schaf gewesen. Spi-gl-r
Flirt ist Zweikampf mit
stumpfen Waffen. K,
Es ist trotz allem gegenteiligen Anschein nicht schwer, die Frau
zu prüfen. Erzähl ihr etwas, was sie nicht versteht; wenn sie be-
ginnt zu lachen, laß sie laufen; wenn sie wieso und wozu fragt, ver-
such sie zu gewinnen.— Die
meisten lachen. S», r.
Jemand Geld borgen heißt oft, sich seine Feindschaft erkaufen.
Aus de» Versen, die einer aus unglücklicher Liebe macht, merkt
man oft, daß das Mädchen
recht hatte.
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Am kühlfrischen Morgen ging ich
Der steigenden Sonne entgegen,
Es sang in allen Wipfeln,
Es glänzte auf allen Wegen,
Ich schritt voll fröhlicher Lieder
Über blumige, sonnige Matten,
Sah nicht, wie mich ständig verfolgte
Im Rücken mein eigener Schatten,
Und als ich nach langem Wandern
Zuletzt nach der Sonne spähte,
Da stand sie versinkend im Westen,
Die Abendluft kühl mich umwehte.
Mein Weg, er naht seinem Ende,
Ich fühle die Glieder ermatten
Und düster seh' ich jetzt wandern
Vor mir meinen eigenen Schatten,
Lothar,»
Die alte Liebe
Heut streifte im Tagesgetriebe
Mein Ohr mit verwehendem Klang
Ein Lied, das dereinst die Liebe,
Die alte Liebe, mir sang.
Es hemmte das Lied mir im Schreiten
Den Fuh, wie ich ging und stand - -
Der Heimat blühende Weiten
Dehnten vor mir sich ins Land,
Es sangen und klangen die Winde,
Der Brunnen rauschte vorm Tor,
Und unter der blühenden Linde
Sangst du dein Lied mir ins Ohr,
O Liebe, du alte Liebe,
In meiner Erinnerung
So bleich und so welk geworden,
Wie bist du nun wieder so jung!
Johanna Weiekirch
Der Lehrer
Hier Hab ich einst gelehrt,
die Kinder sind nun groh geworden,
froh oder still in sich gekehrt,
mir rauscht der Tag an leisern Borden,
Ich schau in manchen Blick,
und mancher gibt mir beide Hände
und geht dann ernst und rasch zurück
in seines Hauses morgenblanke Wände,
Einst war ich mit ihm jung,
nun steig ich abwärts meine Stufen,
er holt vom Brunnen frischen Trunk
und will nach seinem Kinde rufen.
Und läht dann unbewuht
denn leeren Eimer niederrollen
und horcht in banger Brust
dem Widerklang aus tiefem Stollen.
Ludwig Bäte
Splitter
Es ist immer bester, alles
ganz zu sein; selbst ein halber
Narr ist kläglicher als ein
ganzer. o,E,W,
Viele Männer fühlen sich
als Herren der Schöpfung,
wenn sie mal ein Donner-
wetter loslaffen können, r,.
Mit Vernunftgründcn ist
schon ebensoviel Unheil an-
gerichtet worden wie mit
Phrasen und Lügen. H, s*-
Die Menschen sind teils
wie Spiegelglas, teils wie
Glasspiegel. Man durch-
schaut die einen, in den an-
deren findet man sich wieder.
K,
Nur wer selbst nicht be-
scheiden ist, glaubt nicht an
die Bescheidenheit anderer.
Wer keine Gegner bat,
ist kein Mann, wer keine
Freunde hat, kein Mensch.
Wer vieles weiß, sagt,
man lernt nie aus; wer gar
nichts weiß, sagt, man kann
nicht alles wisten.
Die Menschen glauben
manches, nicht weil es wahr
ist, sondern kalten manches
für wahr, weil sie es glau-
den.
In der Verlegenheit geht
der Kluge in sich und gerät
der Dumme außer sich.
Du sagst: «Kein Mann
hat je das Weib durch-
schaut! Hast du noch keine
Flimmerdiva oder Bühnen-
heldin in moderner — Ball-
toilette gesehen?" Km
Pietät. „Aber Anna, warum haben Sie sich so teure Trauerkleider
gekauft, die Sie doch nur ein Jahr lang tragen? — „Ja, gnii’
Frau, für meinen guten Vater ist mir eben nichts 7.u teuer!“
Schäferstunden nennen
wir oft solche, in denen wir
das Schaf gewesen. Spi-gl-r
Flirt ist Zweikampf mit
stumpfen Waffen. K,
Es ist trotz allem gegenteiligen Anschein nicht schwer, die Frau
zu prüfen. Erzähl ihr etwas, was sie nicht versteht; wenn sie be-
ginnt zu lachen, laß sie laufen; wenn sie wieso und wozu fragt, ver-
such sie zu gewinnen.— Die
meisten lachen. S», r.
Jemand Geld borgen heißt oft, sich seine Feindschaft erkaufen.
Aus de» Versen, die einer aus unglücklicher Liebe macht, merkt
man oft, daß das Mädchen
recht hatte.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Pietät"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 166.1927, Nr. 4265, S. 210
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg