„Tante Jumbo"
Eigentlich hieß sie Lämmermeier. Anastasia Lämmermeier. Es war ein
schöner Name, aber sie bildete sich nichts darauf ein. Sie hätte ihn ganz
gerne gegen den ihres Mannes eingctauscht. Sie hatte aber keinen! Und
das war ihr größter Kummer! Sie suchte daher den Mangel an natür-
lichen Reizen durch einen Überfluß an künstlicher Nachhilfe zu ersetzen,
wobei es ihr aus eine mehr oder minder grobe Geschmacklosigkeit nicht
ankam. -
Da erschien eines Tages ein fahrender Maler in dem stillen Dorfe. Ein
junger, übermütiger Geselle, der stchMeisterFarbenklecks nannte und seinen
Hellen Spaß hatte an Tante Anastasias eitler Unvernunft.
„Gnädiges Fräulein!" rief er einmal aus, „Sie müffen sich von mir
malen lassen! Auf Ihr Bild bekomme ich den ersten Preis. Ich habe ein
goldgesticktes Jäckchen und ei» herrliches, rotes Käppi! Damit werde ich
Sie malen! Als Lieblingsfrau des Maharadschahs!"
Das alte Fräulein schwamm in eitel Lust und Wonne. Den I. Preis
müßte ihr Bild bekommen! Meister Farbenklecks müßte es doch verstehen!
Jedenfalls besser verstehen, als ihr Nachbar, der rote Lindenmüller, der ihr
erst kürzlich ganz trocken in 's Gesicht gesagt batte: „Mei' liabe Stasi, in
dein'm Alter, da wird ma' nit mehr schöner, hihi! " Der alte Grobian, der!
So kam der große Augenblick, an dem Anastasia als Lieblingsfrau des
Maharadschahs vor dem Maler stand. Es war ein erhebender Anblick. Nur
schade, daß eben der rote Lindenmüller vorüberging und ihr höhnisch zurief:
„Ha, Stasi! Wo hab'n s' denn di' heut auslass'n!" Der Mann verstand
es halt nicht besser! —
Das Bild war fertig und war sehr schön. Meister Farbenklecks wanderre
weiter und ließ 5 Sachen zurück. Ein goldgesticktes Jäckchen, ein herrliches,
rotes Käppi und ein — gebrochenes Herz.
Seit jener Zeit konnte man an hohen Feststagen Tante Anastasia nie
anders sehen, als in dem Kostüme der Lieblingsfrau. Mochten die Leute
darüber reden, was sie wollten. Tante Anastasia wußte ja doch, daß sie —
schön war. — —
Im
Der Klötzlbauer ging Nachts vom Wirtshaus heim. Eine Wagendeichsel
versperrte ihm den Weg. „Wart, den unverschämten Flegeln will ich zeigen,
wie man die Wagen hinzustellen hat."
Inzwischen war wieder das Fest der Kirchweihe herangerückt. Unter den
vielen Buden auf der Wiese hinter dem Gemeindehause übte ein Wander-
zirkus mit wirklichen Raubtieren die größte Anziehungskraft auf die schau-
lustige Menge aus.
Die Raubtiere waren Jim, der Elefant und Jumbo, das Äffchen. Wahre
Wunder der Dressur, wenn man den grellen Plakaten glauben durfte, die
es in Riesenlettern verkündeten.
Es geschah aber, just zur Stunde der Eröffnungsvorstellung, daß sich
Jumbo, das Äffchen, plötzlich hinlegte, alle viere von sich streckte und mause-
tot war. Darüber herrschte große Äufregung unter den Zirkusleuten.
„Führen Sie einstweilen Jim allein vor!" befahl der Direktor dem
Wärter. Äber — oh Schreck! — auch Jim war nicht mehr in seinem
Käfig. Er war entflohen.
Indessen saß Tante Anastasia im goldgestickten Jäckchen und mit dem
herrlichen, roten Käppi auf der Bank vor ihrem Hauötore und las andäch-
tig in ihrem Erbauungsbuche.
Da geschah das Fürchterliche. Jim, der durchgegangene Elefant stand
plötzlich vor ihr. Das goldgestickte Jäckchen, das herrliche, rote Käppi und
das ganze zappelnde Persönchen mochte ihn wohl täuschen. Er langte mit
seinem Rüffel nach Tante Anastasia und setzte sie mit einem kräftigen Rucke
auf seinen breiten Rücken, wie er es mit seinem Freunde so oft getan hatte,
mit Jumbo, dem Äffchen. Dann trabte er gemächlich, mit vergnügtem Rüs-
selschwenken in den Zirkus zurück.
Gleich durch das Haupttor schritt er in die Runde und begann mit ge-
messener Würde die gewohnten Kreise zu ziehen.
Aus seinem Rücken lag Tante Anastasia im goldgestickten Jäckchen, mit
dem herrlichen, roten Käppi.
Da war es wieder der rote Lindenmüller, der, über alle Köpfe hinweg,
brüllte: „Da schaut 's Herl Da schaut 's her! Das is ja die Tante Jum-
bo!" Dabei hielt er sich den Bauch vor Lachen und die andern stimmten
johlend ein. -
Ja, und seither ist ihr der Name geblieben. Tante Jumbo! -
Tanre Jumbo aber hatte nur mehr den einen Gedanken: „So hätte mich
Meister Farbenklecks sehen sollen! Das wäre ein Gemälde geworden!"
Und in stillen Nächten träumt sie von ibrem kühnen Ritte auf Jim,
dem Elefanten. H°»« Bu«,»
Dusel
Sagt's, ging heim, holte eineSäge und sägte schnurstracks die Deichsel ab.
Am andern Morgen verwunderte er sich, wer ihm an seinem eigenen
Wagen die Deichsel abgesägt batte.
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Eigentlich hieß sie Lämmermeier. Anastasia Lämmermeier. Es war ein
schöner Name, aber sie bildete sich nichts darauf ein. Sie hätte ihn ganz
gerne gegen den ihres Mannes eingctauscht. Sie hatte aber keinen! Und
das war ihr größter Kummer! Sie suchte daher den Mangel an natür-
lichen Reizen durch einen Überfluß an künstlicher Nachhilfe zu ersetzen,
wobei es ihr aus eine mehr oder minder grobe Geschmacklosigkeit nicht
ankam. -
Da erschien eines Tages ein fahrender Maler in dem stillen Dorfe. Ein
junger, übermütiger Geselle, der stchMeisterFarbenklecks nannte und seinen
Hellen Spaß hatte an Tante Anastasias eitler Unvernunft.
„Gnädiges Fräulein!" rief er einmal aus, „Sie müffen sich von mir
malen lassen! Auf Ihr Bild bekomme ich den ersten Preis. Ich habe ein
goldgesticktes Jäckchen und ei» herrliches, rotes Käppi! Damit werde ich
Sie malen! Als Lieblingsfrau des Maharadschahs!"
Das alte Fräulein schwamm in eitel Lust und Wonne. Den I. Preis
müßte ihr Bild bekommen! Meister Farbenklecks müßte es doch verstehen!
Jedenfalls besser verstehen, als ihr Nachbar, der rote Lindenmüller, der ihr
erst kürzlich ganz trocken in 's Gesicht gesagt batte: „Mei' liabe Stasi, in
dein'm Alter, da wird ma' nit mehr schöner, hihi! " Der alte Grobian, der!
So kam der große Augenblick, an dem Anastasia als Lieblingsfrau des
Maharadschahs vor dem Maler stand. Es war ein erhebender Anblick. Nur
schade, daß eben der rote Lindenmüller vorüberging und ihr höhnisch zurief:
„Ha, Stasi! Wo hab'n s' denn di' heut auslass'n!" Der Mann verstand
es halt nicht besser! —
Das Bild war fertig und war sehr schön. Meister Farbenklecks wanderre
weiter und ließ 5 Sachen zurück. Ein goldgesticktes Jäckchen, ein herrliches,
rotes Käppi und ein — gebrochenes Herz.
Seit jener Zeit konnte man an hohen Feststagen Tante Anastasia nie
anders sehen, als in dem Kostüme der Lieblingsfrau. Mochten die Leute
darüber reden, was sie wollten. Tante Anastasia wußte ja doch, daß sie —
schön war. — —
Im
Der Klötzlbauer ging Nachts vom Wirtshaus heim. Eine Wagendeichsel
versperrte ihm den Weg. „Wart, den unverschämten Flegeln will ich zeigen,
wie man die Wagen hinzustellen hat."
Inzwischen war wieder das Fest der Kirchweihe herangerückt. Unter den
vielen Buden auf der Wiese hinter dem Gemeindehause übte ein Wander-
zirkus mit wirklichen Raubtieren die größte Anziehungskraft auf die schau-
lustige Menge aus.
Die Raubtiere waren Jim, der Elefant und Jumbo, das Äffchen. Wahre
Wunder der Dressur, wenn man den grellen Plakaten glauben durfte, die
es in Riesenlettern verkündeten.
Es geschah aber, just zur Stunde der Eröffnungsvorstellung, daß sich
Jumbo, das Äffchen, plötzlich hinlegte, alle viere von sich streckte und mause-
tot war. Darüber herrschte große Äufregung unter den Zirkusleuten.
„Führen Sie einstweilen Jim allein vor!" befahl der Direktor dem
Wärter. Äber — oh Schreck! — auch Jim war nicht mehr in seinem
Käfig. Er war entflohen.
Indessen saß Tante Anastasia im goldgestickten Jäckchen und mit dem
herrlichen, roten Käppi auf der Bank vor ihrem Hauötore und las andäch-
tig in ihrem Erbauungsbuche.
Da geschah das Fürchterliche. Jim, der durchgegangene Elefant stand
plötzlich vor ihr. Das goldgestickte Jäckchen, das herrliche, rote Käppi und
das ganze zappelnde Persönchen mochte ihn wohl täuschen. Er langte mit
seinem Rüffel nach Tante Anastasia und setzte sie mit einem kräftigen Rucke
auf seinen breiten Rücken, wie er es mit seinem Freunde so oft getan hatte,
mit Jumbo, dem Äffchen. Dann trabte er gemächlich, mit vergnügtem Rüs-
selschwenken in den Zirkus zurück.
Gleich durch das Haupttor schritt er in die Runde und begann mit ge-
messener Würde die gewohnten Kreise zu ziehen.
Aus seinem Rücken lag Tante Anastasia im goldgestickten Jäckchen, mit
dem herrlichen, roten Käppi.
Da war es wieder der rote Lindenmüller, der, über alle Köpfe hinweg,
brüllte: „Da schaut 's Herl Da schaut 's her! Das is ja die Tante Jum-
bo!" Dabei hielt er sich den Bauch vor Lachen und die andern stimmten
johlend ein. -
Ja, und seither ist ihr der Name geblieben. Tante Jumbo! -
Tanre Jumbo aber hatte nur mehr den einen Gedanken: „So hätte mich
Meister Farbenklecks sehen sollen! Das wäre ein Gemälde geworden!"
Und in stillen Nächten träumt sie von ibrem kühnen Ritte auf Jim,
dem Elefanten. H°»« Bu«,»
Dusel
Sagt's, ging heim, holte eineSäge und sägte schnurstracks die Deichsel ab.
Am andern Morgen verwunderte er sich, wer ihm an seinem eigenen
Wagen die Deichsel abgesägt batte.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Tante Jumbo"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1927
Entstehungsdatum (normiert)
1922 - 1932
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 166.1927, Nr. 4270, S. 272
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg