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Moderne Frage:
Lebensweisheit
Ich habe jetzt eine pickfeine Philosophie. Sie heißt „Als ob nicht".
Ich mache jetzt alles anders. Ich reagiere nicht mehr. Ich tue das
Gegenteil von dem was man erwartet. Ich spiele die Holzhackers-
buben, wenn meine Freundin das Gebet einer Jungfrau haben will.
Darob wird sie wütend. Wütende Freundinnen sind apart. Wenn
jemand kommt, derKeld haben möchte, zum Beispiel der distinguierte
Herr mit der Gasrechnung,
dann tu ich auch als ob er nicht
käme. Ich laste ihn zwar schon
herein. Ich biete ihm sogar ei-
nen Stuhl an. Dann aber über-
laste ich ihn sich selber. Und sei-
ner Gasrechnung. Eigentlich
meiner Gasrechnung. Ich be-
nehme mich aber so stillvergnügt
als ob meine Gasrechnung nicht
meine Gasrechnung wäre. Ich
nehme mein Herbarium heraus
und ordne die Pflanzen binsicht-
lich ihrer Eignung für Gesund-
heitStee und Frühlingslyrik.
Das beruhigt. Es dauert auch
ziemlich lange. Manchmal er-
hebe ich den Blick, ob der Gas-
mann noch da ist. In der Regel
ist er noch da. Dann nehme ich die Geige beraus und spiele den holden
Abendstern. Das beruhigt. Es dauert auch ziemlich lange. Ehe die
letzte Saite durchgesägt ist, ist der GaSinann meistens fort. Mit
seiner Rechnung, die eigentlich meine Rechnung ist. Man braucht
aber nur so tun als ob nicht. Auch den Schneider behandle ich als
einen lieben Besuch. Ich bin fröhlich mit ihm. Daö beruhigt. De»
Behörden gegenüber trete ich auf als ob ich überhaupt nicht geboren
wäre. Das mögen sie gerne. Man macht sich damit sebr beliebt.
Wenn der Geldbriefträger kommt, sträube ich mich lange, das Geld
anzunehmen. Das macht unglaublich kreditwürdig, wenn es sich
herumspricht. Und es spricht sich herum. Mucius Scaevola hat sich
ja auch herumgesprochen. Klingelt das Telefon, so versetze ich mich in
die Zeiten der Hohenstaufen zurück. Das macht innerlich
frei. Hat etwa Heinrich der Löwe ausgehängt? Also!
Warum soll cs der bester gehabt haben! Überhaupt den
Gedanken in sich nähren, als lebe man nicht in dieser
Zeit. Das macht heroisch und unantastbar. Wenn Ur-
sula ine Zimmer taumelt und schlotternd stammelt:
„Herr, unsere Gläubiger verfinstern die Sonne!" Das
rührt mich nicht. Das bringt mich nicht aus dem
Wochenendhäuschen. „So werden wir im Schatten
fechten", entgegne ich ihr gelaffen. Man musi sich nur
emanzipieren, das ist es. Emanzipieren heißt sich frei
machen vom klebrigen Marzipanteig der Vorurteile.
Unannehmlichkeiten sind Vorurteile. Schulden auch.
Ebenso die Amorist,k. Amoriftik ist die Fabel von der Unentbehr-
lichkeit der Frau. Man muß auch so tun als ob man nicht verliebt
sei. Besonders bei Schmuck-, Pelz-und Frühjahrshütchenliebkosungen.
Man muß so tun als ob die schimmernden Augensterne nicht in der
Nähe wären. Man muß Weitblick haben. Das macht die Engel
wütend. Wütende Engel sind apart. S».
P 1
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•‘T
MH welcher Geschwindigkeit malen Sie?'
Nelli
Neüi ist weder ein bubigeköpftes Girl noch ein Seidenpinscher.
Nelli war mein Motorrad. Mein Idol. In den ersten Wochen
unseres Beisammenseins durfte es jede Nacht neben meinem Bett
steben. Wer im Adreßbuch nachschaut, wird finden, daß ich im 4.
Stock wohne. Und Nelli hat 320 kg Lebendgewicht. Zudem erinnert
unser Treppenhaus an das Ohr des Dioiwsos. Wer aber verliebt
ist, schaut Schweißtropfen für
Freudentränen an. Vor dem
Einschlafen streichelte ich stun-
denlang die reizenden Kotflügel-
chen.Beim Erwachen tippte ich
mit tausend Wonnen an das
süße Vergaserschwimmerchen.
Selbst im Schlummer war
Nelli mein Stern. Wenn mir
von der Wüste Sabara oder
voni Sechstagerennen träumte,
umarmte ich im Schlaf Nellis
kühlende Zylinderlamellen.
Meine Bettwäsche bekam von
alledem ein sebr sportliches Aus-
sehen. DaS entlud den Zorn
der Hausfrau. Aus Rache wollte
sie meine Hosen nicht mehr bü-
geln. .. Nelli mußte aushelfen.
Ich legte meine sämtliche» Hosen auf den Nürburgring. Nellis
reizendes Ballonreifcnprofil machte 120 km Bügelfalten in der
Stunde. Als aber die Geliebte merkte, daß sie zu Hausfrauenpflichten
berangezogen wird, stellte sie sich mit allen ihren ?8 auf die Raster
und vertrat mit energischen Fehlzündungen den niodernen Stand-
punkt. Und schikanierte mich. Sie hatte ja alle Schikanen. Nicht
eine einzige ließ sie außer Betrieb. Aber sich selber. Mit Konsequenz.
Frauen haben eine unverstandene Seele, Motorräder hingegen Ven-
tile. Die waren noch weit schwieriger zu verstehen. Alle Schrauben-
schlüstel und Psychoanalpse» versagten. Ich versuchte cs mit gütigem
Zureden. Wie höhere Töchter um ein Autogramm, so bettelte und
schmeichelte ich um Komprestion. Umsonst. Sie blieb spröd und un-
kickbar. Auf dem Weg vom Marienplatz zum Send-
linger Tor mußte ich mich fünfmal rasieren lasten. So
lange brauchten wir. Ich beschloß Nelli zu veräußern.
Ich hätte sie gern an Ahasver verkitscht, aber er mochte
sie nicht. Die Ewigkeit sei leider nicht so lang, sagte er.
Er müffc rasch vorwärts kommen. Er fahre lieber mit
dem Radlrutsch. Endlich verschleuderte ich sie an einen
Berufsoptimiften. Wir trennten uns. Ich weinte. Nelli
vergoß auch nicht einen Benzintropfen. Diese Nickel-
ftahlmegäre!
Eine Freude aber machte sie mir noch. Nach einigen
Tagen. Eine der reinsten Freuden. Auf einer Holländer-
fahrt traf ich sie gänzlich zerlegt im Straßengraben.
Davor den Optimisten, ebenfalls in alle seine Bestandteile aufgelöst.
Schadenfreude heißt das Destert aller Scheidungen. Sch.
Aus der Schule
„Was wird aus einem Mensche», der immer nur an sein leib-
liches Wohl denkt und nicht an seine Seele?" — „Er wird dicke!"
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Moderne Frage:
Lebensweisheit
Ich habe jetzt eine pickfeine Philosophie. Sie heißt „Als ob nicht".
Ich mache jetzt alles anders. Ich reagiere nicht mehr. Ich tue das
Gegenteil von dem was man erwartet. Ich spiele die Holzhackers-
buben, wenn meine Freundin das Gebet einer Jungfrau haben will.
Darob wird sie wütend. Wütende Freundinnen sind apart. Wenn
jemand kommt, derKeld haben möchte, zum Beispiel der distinguierte
Herr mit der Gasrechnung,
dann tu ich auch als ob er nicht
käme. Ich laste ihn zwar schon
herein. Ich biete ihm sogar ei-
nen Stuhl an. Dann aber über-
laste ich ihn sich selber. Und sei-
ner Gasrechnung. Eigentlich
meiner Gasrechnung. Ich be-
nehme mich aber so stillvergnügt
als ob meine Gasrechnung nicht
meine Gasrechnung wäre. Ich
nehme mein Herbarium heraus
und ordne die Pflanzen binsicht-
lich ihrer Eignung für Gesund-
heitStee und Frühlingslyrik.
Das beruhigt. Es dauert auch
ziemlich lange. Manchmal er-
hebe ich den Blick, ob der Gas-
mann noch da ist. In der Regel
ist er noch da. Dann nehme ich die Geige beraus und spiele den holden
Abendstern. Das beruhigt. Es dauert auch ziemlich lange. Ehe die
letzte Saite durchgesägt ist, ist der GaSinann meistens fort. Mit
seiner Rechnung, die eigentlich meine Rechnung ist. Man braucht
aber nur so tun als ob nicht. Auch den Schneider behandle ich als
einen lieben Besuch. Ich bin fröhlich mit ihm. Daö beruhigt. De»
Behörden gegenüber trete ich auf als ob ich überhaupt nicht geboren
wäre. Das mögen sie gerne. Man macht sich damit sebr beliebt.
Wenn der Geldbriefträger kommt, sträube ich mich lange, das Geld
anzunehmen. Das macht unglaublich kreditwürdig, wenn es sich
herumspricht. Und es spricht sich herum. Mucius Scaevola hat sich
ja auch herumgesprochen. Klingelt das Telefon, so versetze ich mich in
die Zeiten der Hohenstaufen zurück. Das macht innerlich
frei. Hat etwa Heinrich der Löwe ausgehängt? Also!
Warum soll cs der bester gehabt haben! Überhaupt den
Gedanken in sich nähren, als lebe man nicht in dieser
Zeit. Das macht heroisch und unantastbar. Wenn Ur-
sula ine Zimmer taumelt und schlotternd stammelt:
„Herr, unsere Gläubiger verfinstern die Sonne!" Das
rührt mich nicht. Das bringt mich nicht aus dem
Wochenendhäuschen. „So werden wir im Schatten
fechten", entgegne ich ihr gelaffen. Man musi sich nur
emanzipieren, das ist es. Emanzipieren heißt sich frei
machen vom klebrigen Marzipanteig der Vorurteile.
Unannehmlichkeiten sind Vorurteile. Schulden auch.
Ebenso die Amorist,k. Amoriftik ist die Fabel von der Unentbehr-
lichkeit der Frau. Man muß auch so tun als ob man nicht verliebt
sei. Besonders bei Schmuck-, Pelz-und Frühjahrshütchenliebkosungen.
Man muß so tun als ob die schimmernden Augensterne nicht in der
Nähe wären. Man muß Weitblick haben. Das macht die Engel
wütend. Wütende Engel sind apart. S».
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MH welcher Geschwindigkeit malen Sie?'
Nelli
Neüi ist weder ein bubigeköpftes Girl noch ein Seidenpinscher.
Nelli war mein Motorrad. Mein Idol. In den ersten Wochen
unseres Beisammenseins durfte es jede Nacht neben meinem Bett
steben. Wer im Adreßbuch nachschaut, wird finden, daß ich im 4.
Stock wohne. Und Nelli hat 320 kg Lebendgewicht. Zudem erinnert
unser Treppenhaus an das Ohr des Dioiwsos. Wer aber verliebt
ist, schaut Schweißtropfen für
Freudentränen an. Vor dem
Einschlafen streichelte ich stun-
denlang die reizenden Kotflügel-
chen.Beim Erwachen tippte ich
mit tausend Wonnen an das
süße Vergaserschwimmerchen.
Selbst im Schlummer war
Nelli mein Stern. Wenn mir
von der Wüste Sabara oder
voni Sechstagerennen träumte,
umarmte ich im Schlaf Nellis
kühlende Zylinderlamellen.
Meine Bettwäsche bekam von
alledem ein sebr sportliches Aus-
sehen. DaS entlud den Zorn
der Hausfrau. Aus Rache wollte
sie meine Hosen nicht mehr bü-
geln. .. Nelli mußte aushelfen.
Ich legte meine sämtliche» Hosen auf den Nürburgring. Nellis
reizendes Ballonreifcnprofil machte 120 km Bügelfalten in der
Stunde. Als aber die Geliebte merkte, daß sie zu Hausfrauenpflichten
berangezogen wird, stellte sie sich mit allen ihren ?8 auf die Raster
und vertrat mit energischen Fehlzündungen den niodernen Stand-
punkt. Und schikanierte mich. Sie hatte ja alle Schikanen. Nicht
eine einzige ließ sie außer Betrieb. Aber sich selber. Mit Konsequenz.
Frauen haben eine unverstandene Seele, Motorräder hingegen Ven-
tile. Die waren noch weit schwieriger zu verstehen. Alle Schrauben-
schlüstel und Psychoanalpse» versagten. Ich versuchte cs mit gütigem
Zureden. Wie höhere Töchter um ein Autogramm, so bettelte und
schmeichelte ich um Komprestion. Umsonst. Sie blieb spröd und un-
kickbar. Auf dem Weg vom Marienplatz zum Send-
linger Tor mußte ich mich fünfmal rasieren lasten. So
lange brauchten wir. Ich beschloß Nelli zu veräußern.
Ich hätte sie gern an Ahasver verkitscht, aber er mochte
sie nicht. Die Ewigkeit sei leider nicht so lang, sagte er.
Er müffc rasch vorwärts kommen. Er fahre lieber mit
dem Radlrutsch. Endlich verschleuderte ich sie an einen
Berufsoptimiften. Wir trennten uns. Ich weinte. Nelli
vergoß auch nicht einen Benzintropfen. Diese Nickel-
ftahlmegäre!
Eine Freude aber machte sie mir noch. Nach einigen
Tagen. Eine der reinsten Freuden. Auf einer Holländer-
fahrt traf ich sie gänzlich zerlegt im Straßengraben.
Davor den Optimisten, ebenfalls in alle seine Bestandteile aufgelöst.
Schadenfreude heißt das Destert aller Scheidungen. Sch.
Aus der Schule
„Was wird aus einem Mensche», der immer nur an sein leib-
liches Wohl denkt und nicht an seine Seele?" — „Er wird dicke!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Moderne Frage" "Ohne Titel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4303, S. 44
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg