Der Taschendieb
Skizze von Kurt Miethke
Der Beifall ebbte ab. Das Publikum
strömte aus dem Zuschauerraum in das
Foyer und in die Wandelgänge.
„Kommst du miteineZigarette rauchen?"
— fragte Gat feine Frau.
„Ich bin müde, ich bleibe bester sitzen
bis zum nächsten Akt."
Gat biß sich auf die Lippen.
„Gut, ich rauche eine Zigarette und
komme gleich zurück, die Pause dauert nicht
lange."
Im Foyer steckte sich Gat eine Zigarette
an, dann schob er das flache goldene Etui
in feine rechte Rocktasche und blieb vor
einem Plakat stehen, auf dem der Spiel-
plan der nächsten Zeit verzeichnet war. Gat 's
Blicke irrten über die Buchstaben, aber
er las ohne Bewußtheit.
Plötzlich fühlte er, wie sich eine Hand
in feine rechte Rocktasche schob. Blitz-
schnell griff Gat zu und bekam ein Hand-
gelenk zu fasten, das er eisern umklam-
mert hielt. Er drehte sich um und starrte
dem Taschendieb ins Gesicht. Der wand
sich vor Schmerz unter dem harten Griff.
Gat sah ihn sich aufmerksam an. Der
Dieb war feuerrot geworden und ver-
suchte eine Entschuldigung zu stammeln.
Gat sah ihm scharf in die Augen und
sagte: „Folgen Sie mir!"
Der junge Mann machte ein er-
schrockenes Gesicht: „Um Gotteswillen,
ich bitte Sie, verrate»?Sie mich nicht, ich
bin bereit, jede Genugtuung zu geben,nur
verraten Sie mich nicht/
gen Sie! Dort werden eben zwei Stühle
frei. Wir werden dort Platz nehmen."
Er hatte das Handgelenk des jungen
Mannes losgelaffen, ein dunkelroter
Ring war auf der weißen Hand sichtbar
geworden. Der Dieb sab sich wie suchend
im Foyer lim. — „Ee hat keinen Zweck,"
sagte Gat, „wenn Sie auSreißen wol-
len, übergebe ich Sie der Polizei."
Als sie saßen, zog er das goldene Etui
aus der Tasche, klappte es auf und hielt es dem jungen Mann hi».
„Rauchen Sie?" Der Gefragte errötete, nahm aber mit einer
kleinen Verbeugung eine Zigarette. Gat reichte ihm Feuer: „Die
Beweggründe zu Ihrer Tat interestieren mich nicht. Ich laste Sie
laufen unter einer Bedingung."
Der Dieb warf ihm einen gespannten Blick zu.
„Sie müffen noch während der Pause einen Diebstahl für mich
ausführen." Als er das Erstaunen in den Augen des anderen sah:
„Seien Sie unbesorgt, ich will Sie zu
keinem Kapitalverbrechen verleiten, Sie
sollen lediglichfürmicheinen Zettelstehlen."
„Einen Zettel ?" fragte der junge Mann
verblüfft.
Gar zog ein Biller aus seiner Tasche
und betrachtete die Nummer: „Auf dem
Parkettplatz Nummer 63 sitzt eine Dame,
sie bat ein Handtäschchen aus Silberbrokat,
vermutlich bat sie es auf den Klappsitz
Nummer 62 gelegt. In dem Täschchen be-
finden sich lediglich Toilettengegenstände,
also Puderdose, Schminkstift usw., ferner
ein seidenes Taschentuch und ein Zettel: Ich
wünsche, daß Sie mir diesen Zettel an
diesen Platz bringen, danach könne» Sie
tun und lasten, was Sie wollen. Aber
bilden Sie sich nur nicht ein, daß Sie mir
entwischen können. Ich werde mich an die
Saaltür stellen und aufpaste». Wie Sie
es fertig bringen, ist mir gleichgültig.
Nur läge mir daran, daß Sie etwas
geschickter zu Werke gingen, als eben
bei mir. Die Dame braucht nichts zu
bemerken."
Der jungeMann nickte und erhob sich.
Auch Gat stand auf. Sie schritten bis
zu der Tür, über der „Parkett links"
stand.
„Dort die Dame im blauen seidenen
Kleid ist es, nun gehen Sie."
Der junge Mann machte es sehr ge-
schickt. Er zwängte sich durch die Stubl-
reihe, stolperte etwas, riß den Klappsitz
Nummer 62 herunter, wobei das Täsch-
chen zu Boden fiel und der Inhalt zer-
streut wurde. Er las hastig die Gegen-
stände auf und iiberreichte sie mit einer
Entschuldigung der Dame. Den Zettel
batte er im Ärmel verschwinden lasten.
Gat beobachtete alles von der Tür
aus. Sein Herz klopfte gewaltig. In
wenigen Minuten sollte sich sein Ver-
dacht bestätigen oder zunichte werde».
Als er mit seiner Frau vorhin aus
dem Auto gestiegen war, batte er ge-
sehen, wie ihr von einem Vorüber-
gehenden ein Zettel zugesteckt worden
war. Zweifellos eine Nachricht von ihm, dem Unbekannten, dem sein
ganzer Haß galt. Aus vielen Anzeichen batte Gat darauf schließen
können, daß seine Frau ihn betrog. Dieser Zettel sollte Ge-
wißheit bringen.
Eine Hand berübrte Gat 's Schulter, er wandte sich um. Der
junge Mann stand hinter ihm und überreichte ibm den Zettel: „Hier
ist er." I,n selben Augenblick war der Taschendieb verschwunden,
Gat süblte wie etwas Brennendes den Zettel in seiner Hand. Er
Lebensr e gel
Simm nur die Menschen wie sie sind.
Samt Fehlern und Gebrechen!
Die Schlimmsten sind nicht gar zu
Vollkommen nicht die Besten, /schlimm.
Sie umzukrempeln lasse sein.
Fs hat nichts zu bedeuten:
Du änderst nichts, du machst dich nur
Mißliebig bei den Leuten.
Denn jeder meint, so wie er ist.
Sei er der Schöpfung Krone
Und wer ihn tadelt, wer ihn schmält.
Hat Unrecht zweifelsohne.
Bist du gescheit, so niitse aus
Des lieben Nächsten Schwäche,
Du sibt dann am gedeckten lisch
Und jener zahlt die Zeche, kj. stempimger
„Schwei-
. y / I \
DerBequeme. „Meine Frau habe ich durch einen
Heiratsvermittlergekriegt!" - „Siehtdirähn-
lich! Sogar zumPoussieren warst du zu faul!"
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Skizze von Kurt Miethke
Der Beifall ebbte ab. Das Publikum
strömte aus dem Zuschauerraum in das
Foyer und in die Wandelgänge.
„Kommst du miteineZigarette rauchen?"
— fragte Gat feine Frau.
„Ich bin müde, ich bleibe bester sitzen
bis zum nächsten Akt."
Gat biß sich auf die Lippen.
„Gut, ich rauche eine Zigarette und
komme gleich zurück, die Pause dauert nicht
lange."
Im Foyer steckte sich Gat eine Zigarette
an, dann schob er das flache goldene Etui
in feine rechte Rocktasche und blieb vor
einem Plakat stehen, auf dem der Spiel-
plan der nächsten Zeit verzeichnet war. Gat 's
Blicke irrten über die Buchstaben, aber
er las ohne Bewußtheit.
Plötzlich fühlte er, wie sich eine Hand
in feine rechte Rocktasche schob. Blitz-
schnell griff Gat zu und bekam ein Hand-
gelenk zu fasten, das er eisern umklam-
mert hielt. Er drehte sich um und starrte
dem Taschendieb ins Gesicht. Der wand
sich vor Schmerz unter dem harten Griff.
Gat sah ihn sich aufmerksam an. Der
Dieb war feuerrot geworden und ver-
suchte eine Entschuldigung zu stammeln.
Gat sah ihm scharf in die Augen und
sagte: „Folgen Sie mir!"
Der junge Mann machte ein er-
schrockenes Gesicht: „Um Gotteswillen,
ich bitte Sie, verrate»?Sie mich nicht, ich
bin bereit, jede Genugtuung zu geben,nur
verraten Sie mich nicht/
gen Sie! Dort werden eben zwei Stühle
frei. Wir werden dort Platz nehmen."
Er hatte das Handgelenk des jungen
Mannes losgelaffen, ein dunkelroter
Ring war auf der weißen Hand sichtbar
geworden. Der Dieb sab sich wie suchend
im Foyer lim. — „Ee hat keinen Zweck,"
sagte Gat, „wenn Sie auSreißen wol-
len, übergebe ich Sie der Polizei."
Als sie saßen, zog er das goldene Etui
aus der Tasche, klappte es auf und hielt es dem jungen Mann hi».
„Rauchen Sie?" Der Gefragte errötete, nahm aber mit einer
kleinen Verbeugung eine Zigarette. Gat reichte ihm Feuer: „Die
Beweggründe zu Ihrer Tat interestieren mich nicht. Ich laste Sie
laufen unter einer Bedingung."
Der Dieb warf ihm einen gespannten Blick zu.
„Sie müffen noch während der Pause einen Diebstahl für mich
ausführen." Als er das Erstaunen in den Augen des anderen sah:
„Seien Sie unbesorgt, ich will Sie zu
keinem Kapitalverbrechen verleiten, Sie
sollen lediglichfürmicheinen Zettelstehlen."
„Einen Zettel ?" fragte der junge Mann
verblüfft.
Gar zog ein Biller aus seiner Tasche
und betrachtete die Nummer: „Auf dem
Parkettplatz Nummer 63 sitzt eine Dame,
sie bat ein Handtäschchen aus Silberbrokat,
vermutlich bat sie es auf den Klappsitz
Nummer 62 gelegt. In dem Täschchen be-
finden sich lediglich Toilettengegenstände,
also Puderdose, Schminkstift usw., ferner
ein seidenes Taschentuch und ein Zettel: Ich
wünsche, daß Sie mir diesen Zettel an
diesen Platz bringen, danach könne» Sie
tun und lasten, was Sie wollen. Aber
bilden Sie sich nur nicht ein, daß Sie mir
entwischen können. Ich werde mich an die
Saaltür stellen und aufpaste». Wie Sie
es fertig bringen, ist mir gleichgültig.
Nur läge mir daran, daß Sie etwas
geschickter zu Werke gingen, als eben
bei mir. Die Dame braucht nichts zu
bemerken."
Der jungeMann nickte und erhob sich.
Auch Gat stand auf. Sie schritten bis
zu der Tür, über der „Parkett links"
stand.
„Dort die Dame im blauen seidenen
Kleid ist es, nun gehen Sie."
Der junge Mann machte es sehr ge-
schickt. Er zwängte sich durch die Stubl-
reihe, stolperte etwas, riß den Klappsitz
Nummer 62 herunter, wobei das Täsch-
chen zu Boden fiel und der Inhalt zer-
streut wurde. Er las hastig die Gegen-
stände auf und iiberreichte sie mit einer
Entschuldigung der Dame. Den Zettel
batte er im Ärmel verschwinden lasten.
Gat beobachtete alles von der Tür
aus. Sein Herz klopfte gewaltig. In
wenigen Minuten sollte sich sein Ver-
dacht bestätigen oder zunichte werde».
Als er mit seiner Frau vorhin aus
dem Auto gestiegen war, batte er ge-
sehen, wie ihr von einem Vorüber-
gehenden ein Zettel zugesteckt worden
war. Zweifellos eine Nachricht von ihm, dem Unbekannten, dem sein
ganzer Haß galt. Aus vielen Anzeichen batte Gat darauf schließen
können, daß seine Frau ihn betrog. Dieser Zettel sollte Ge-
wißheit bringen.
Eine Hand berübrte Gat 's Schulter, er wandte sich um. Der
junge Mann stand hinter ihm und überreichte ibm den Zettel: „Hier
ist er." I,n selben Augenblick war der Taschendieb verschwunden,
Gat süblte wie etwas Brennendes den Zettel in seiner Hand. Er
Lebensr e gel
Simm nur die Menschen wie sie sind.
Samt Fehlern und Gebrechen!
Die Schlimmsten sind nicht gar zu
Vollkommen nicht die Besten, /schlimm.
Sie umzukrempeln lasse sein.
Fs hat nichts zu bedeuten:
Du änderst nichts, du machst dich nur
Mißliebig bei den Leuten.
Denn jeder meint, so wie er ist.
Sei er der Schöpfung Krone
Und wer ihn tadelt, wer ihn schmält.
Hat Unrecht zweifelsohne.
Bist du gescheit, so niitse aus
Des lieben Nächsten Schwäche,
Du sibt dann am gedeckten lisch
Und jener zahlt die Zeche, kj. stempimger
„Schwei-
. y / I \
DerBequeme. „Meine Frau habe ich durch einen
Heiratsvermittlergekriegt!" - „Siehtdirähn-
lich! Sogar zumPoussieren warst du zu faul!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Bequeme"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4304, S. 52
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg