DIE AUERHAHNHÜTTE
von Lilli o. Weedi
Skipeter brach aus dem Hochwald. Es dämmerte stark. Als er seine
Schmalspur über die Bergmähder zog, sab er in der Ferne ein Paar. Es
war beladen, und der männliche Teil sackte mitunter bäuchlings, Kopf nach
vorne in den Schnee.
„Das ist die kleine Frau Doris mit dem Tenor. Sitzt nicht ihr Mann
unten im Grenzwirtshaus am Joch, um einige Gletschertouren zu machen?
Frau Doris aber geht, wie mir scheint, auf die Auerhahnhütte. Die Balz
werd ich denen versalzen. Und die Kumpane müffen helfen."
Skipeter stieß mit den Stöcken ab und fuhr Scbuß ins Tal.
„Sie wiffen das Schlüffelversteck?" - „Ja," sagte Frau Doris stolz,
„ich sah einmal einem zu, wie er den Schlüffel vom
Nagel unter der ersten Schindel holte. Immerhin:
Wir tun etwas Verbotenes!"
Der Tenor lächelte süß und doppelsinnig.
Eine Stunde später saß die kleine Frau Doris
in der Hütte neben Alfredo Rosst, dem Tenor. Vor
ihnen rauchte Tee und der eiserne Ofen spie wacker
Hitze aus.
Frau Doris freute sich kindisch über den gelun-
genen Streich. „Wir wollten einmal ganz ganz allein
sein. Nun sind wirs!" Noch war es bei ihr Spiel
mit den letzten Möglichkeiten. Da wurde plötzlich
die schwere Türe aufgeworfen. Frau Doris, roter
Mund erstarrte mitten im Kuß.
Vier schwerbepackte wuchtige Gestalten lösten sich
aus dem Dunkel. Sie hatten schwarze Gesichter und
große Bärte und blickten feindselig auf das Paar.
„Was tut Ihr hier?" knurrte einer von ibnen.
„Übernachten," stammelte der Tenor, wäbrend
sich Frau Doris ängstlich an feine Kamelhaarwefte
schmiegte. „Verrat 's uns eppa?" schrie ein anderer
laut. Die vier Gestalten zogen wie nach Verein-
barung lange Meffer und fuchtelten grimmig. „Wieso verraten?" sagte
der Tenor bebend. „Da brennt 's Euch aber", fuhr der längste der Schwärzer
fort, „i denk mir die Sach' a so: dös kloane Weibel" - Frau Doris traf
ein düsterer Blick — , „bleibt hier bei mir, weil ich die Deckung Hab zwegen
dem Schandarm und Ihr spurt nachher, wenn der Mond geht, den andern
drei voran über die Schart'n," und wies durch das Fenster auf einen über-
fteilen Riesenhang, der zu den Sternen zu führen schien.
Dem Tenor grauste es. „Diesen Hang hinauf?"
Die Kerle grinsten höhnisch. Sie warfen das schwere Zeug ab, begannen
zu rauchen und Schnaps zu trinken. Die Meffer behielten sie i» der Hand.
Frau Doris weinte leise an der Wollbrust des Tenors und wagte kaum
einen Blick zu tun auf die schwarzen Gesichter und schwarzen Bärte. Das
Kerzenlicht umflatterte düster und unheimlich die Gruppe. Der Tenor
bustete, so würgte ihm der Rauch die Stimmbänder.
„Auf geht 's," sagte jetzt einer. Der Tenor mußte
seine Windjacke anziehen, wurde in die Bindung
gestoßen und der zentnerschwere Rucksack des Schmugg.
lerhäuptlings wurde ihm auf die weichen Schultern
geschnallt.
„Ich bin doch - Kavalier," keuchte er mit einem
verzweifelten Blick auf die hilflose Frau Doris,
die ihn ei» wenig verächtlich ansah.
„Ich auch. Ihrer - Frau Gemahlin geschieht
nichts!" sagte der Häuptling spöttisch, stieß den
Tenor vom Start, daß er gleich längelang über den
Zaun stürzte. Der Häuptling verriegelte die Türe von innen und stellte
sich breitbeinig vor Frau Doris hin. „Gehört Euch diese Jagdhütte?"
„Nein," flüsterte Frau Doris mit bösem Gewiffen. „Also auch - ein-
gebrochen; darauf steht Gefängnis!"
Frau Doris schluchzte laut. „Ihr seid auf der Hochzeitsreise?" - „Nein."
„Am Ende gar nicht verheiratet?" Frau Doris sank in sich zusammen-
„Ah! Jetzt kenn' ich Sie. Seit zwei Wochen wohnen Sie im Sportshotel
draußen. Ihr Mann sitzt heut am Joch im Grenzwirtshaus. Da führ ich
Sie jetzt hinunter!" - „Mein Gott," erbleichte Frau Doris. Indeffen
wagte sie keinen Widerspruch und packte zusammen. Er schob sie vor sich
her in die glitzernde Nacht. Die vier andern hatte längst der Mondschatlen
verschluckt. Zitternd klappte Frau Doris den Stram-
mer zu. Über raubfrostbesteckten Schnee glitten federnd
die Hölzer.
„Sie können ganz nett skilaufen," sagte der
Häuptling gnädig zu Frau Doris. Sie fürchtete
sich nun nicht mehr so sehr vor ibrem Begleiter, aber
die Angst darauf, was ihrer unten harre» würde,
steigerte sich von hundert zu hundert Meter, die sie
hinter sich brachten. Es war um Mitternacht.
An der Brücke machte ihr Führer halt. Während
Frau Doris ihn aufholte, gewahrte sie, daß er ein
schwarzes Etwas vom Kinn riß und sich im Waffer
Gesicht und Hände wusch.
Skipeter, blond und hell, stand vor ihr.
„O Gott," sagte Frau Doris, „wir haben uns
irgendwo gesehen. Sie sind am großen Hügel fünfzig
Meter gesprungen?"
„Ja, ich bin Skipeter," sagte der gewesene Häupt-
ling streng, „und diesen Streich habe ich mit meinen
Freunden veranstaltet, um Sie, kleine Frau, auf
den Weg der Tugend zurückzubringen. Ist es das
erste Mal, daß Sie vorhatte», ihn zu verlaffen?"
„Ja, und ich tue es gewiß nie mehr," schwor Frau Doris. — „Das ver-
sprechen Sie mir?" — Frau Doris nickte freudig, „dann wollen wir
schweigen, die Kumpane und ich."
Frau Doris stolperte kopfhängend neben Skipeter, der die beiden Bret-
terpaare nunmehr auf der bartgefrorenen Straße hinten nach zog.
„Hängen Sie sich ein, der Weg hat Löcher," befahl er.
Wie nun Frau Doris neben Sklpeter durch die mondlichte Winternacht
schritt, begann sie leise und zögernd von sich zu erzählen und schloß: „Herr
Skipeter — ich weiß nicht wie Sie sonst heißen — können Sie es wirklich
einer Frau verargen, ihren Mann — sagen wir zu strafen, ihren Mann,
der ein trockener Gelehrter ist, dem beispielsweise der silberbeglänzte Berg-
bach hier nichts anderes bedeutet als H2O, dem es völlig gleichgültig
scheint, ob seine Frau eine Skibluse von dauergrünem sächsischemIägerflanell
oder hübscher Waschseide trägt und der nie den ge-
wünschten Moment erfaßt, wenn seine Frau ihn
küffen will!" -
Skipeter ging es miteinemmal durch und durch und
er konnte sich nicht versagen, Frau Doris tröstend
den Arm zu drücken.
„Nun," sagte er, und es klang eigentlich nicht
ganz überzeugend, „das Tor vom Grenzgasthaus stebt
offen und, ich meine, wenn Sie jetzt über eine Stiege
auf Nr. 3 gehen und ihren Mann recht lieb mit
einem Kuß wecken und sagen, Sie hätten ihn über-
So knurrt er und
Scherenschnitt von I. Straub
Winterstille
Jn meiner Seele fällt ein leichter
Langsam, weiß - [Schnee ...
Und legt sich
sachte, weich
über ihrer Felder frühe Saaten:
Schlafe . . . schlafe . . !
Sachte, weich
wie meiner Mutter Hände.
wniy Arndt raschen wollen --" -
68
von Lilli o. Weedi
Skipeter brach aus dem Hochwald. Es dämmerte stark. Als er seine
Schmalspur über die Bergmähder zog, sab er in der Ferne ein Paar. Es
war beladen, und der männliche Teil sackte mitunter bäuchlings, Kopf nach
vorne in den Schnee.
„Das ist die kleine Frau Doris mit dem Tenor. Sitzt nicht ihr Mann
unten im Grenzwirtshaus am Joch, um einige Gletschertouren zu machen?
Frau Doris aber geht, wie mir scheint, auf die Auerhahnhütte. Die Balz
werd ich denen versalzen. Und die Kumpane müffen helfen."
Skipeter stieß mit den Stöcken ab und fuhr Scbuß ins Tal.
„Sie wiffen das Schlüffelversteck?" - „Ja," sagte Frau Doris stolz,
„ich sah einmal einem zu, wie er den Schlüffel vom
Nagel unter der ersten Schindel holte. Immerhin:
Wir tun etwas Verbotenes!"
Der Tenor lächelte süß und doppelsinnig.
Eine Stunde später saß die kleine Frau Doris
in der Hütte neben Alfredo Rosst, dem Tenor. Vor
ihnen rauchte Tee und der eiserne Ofen spie wacker
Hitze aus.
Frau Doris freute sich kindisch über den gelun-
genen Streich. „Wir wollten einmal ganz ganz allein
sein. Nun sind wirs!" Noch war es bei ihr Spiel
mit den letzten Möglichkeiten. Da wurde plötzlich
die schwere Türe aufgeworfen. Frau Doris, roter
Mund erstarrte mitten im Kuß.
Vier schwerbepackte wuchtige Gestalten lösten sich
aus dem Dunkel. Sie hatten schwarze Gesichter und
große Bärte und blickten feindselig auf das Paar.
„Was tut Ihr hier?" knurrte einer von ibnen.
„Übernachten," stammelte der Tenor, wäbrend
sich Frau Doris ängstlich an feine Kamelhaarwefte
schmiegte. „Verrat 's uns eppa?" schrie ein anderer
laut. Die vier Gestalten zogen wie nach Verein-
barung lange Meffer und fuchtelten grimmig. „Wieso verraten?" sagte
der Tenor bebend. „Da brennt 's Euch aber", fuhr der längste der Schwärzer
fort, „i denk mir die Sach' a so: dös kloane Weibel" - Frau Doris traf
ein düsterer Blick — , „bleibt hier bei mir, weil ich die Deckung Hab zwegen
dem Schandarm und Ihr spurt nachher, wenn der Mond geht, den andern
drei voran über die Schart'n," und wies durch das Fenster auf einen über-
fteilen Riesenhang, der zu den Sternen zu führen schien.
Dem Tenor grauste es. „Diesen Hang hinauf?"
Die Kerle grinsten höhnisch. Sie warfen das schwere Zeug ab, begannen
zu rauchen und Schnaps zu trinken. Die Meffer behielten sie i» der Hand.
Frau Doris weinte leise an der Wollbrust des Tenors und wagte kaum
einen Blick zu tun auf die schwarzen Gesichter und schwarzen Bärte. Das
Kerzenlicht umflatterte düster und unheimlich die Gruppe. Der Tenor
bustete, so würgte ihm der Rauch die Stimmbänder.
„Auf geht 's," sagte jetzt einer. Der Tenor mußte
seine Windjacke anziehen, wurde in die Bindung
gestoßen und der zentnerschwere Rucksack des Schmugg.
lerhäuptlings wurde ihm auf die weichen Schultern
geschnallt.
„Ich bin doch - Kavalier," keuchte er mit einem
verzweifelten Blick auf die hilflose Frau Doris,
die ihn ei» wenig verächtlich ansah.
„Ich auch. Ihrer - Frau Gemahlin geschieht
nichts!" sagte der Häuptling spöttisch, stieß den
Tenor vom Start, daß er gleich längelang über den
Zaun stürzte. Der Häuptling verriegelte die Türe von innen und stellte
sich breitbeinig vor Frau Doris hin. „Gehört Euch diese Jagdhütte?"
„Nein," flüsterte Frau Doris mit bösem Gewiffen. „Also auch - ein-
gebrochen; darauf steht Gefängnis!"
Frau Doris schluchzte laut. „Ihr seid auf der Hochzeitsreise?" - „Nein."
„Am Ende gar nicht verheiratet?" Frau Doris sank in sich zusammen-
„Ah! Jetzt kenn' ich Sie. Seit zwei Wochen wohnen Sie im Sportshotel
draußen. Ihr Mann sitzt heut am Joch im Grenzwirtshaus. Da führ ich
Sie jetzt hinunter!" - „Mein Gott," erbleichte Frau Doris. Indeffen
wagte sie keinen Widerspruch und packte zusammen. Er schob sie vor sich
her in die glitzernde Nacht. Die vier andern hatte längst der Mondschatlen
verschluckt. Zitternd klappte Frau Doris den Stram-
mer zu. Über raubfrostbesteckten Schnee glitten federnd
die Hölzer.
„Sie können ganz nett skilaufen," sagte der
Häuptling gnädig zu Frau Doris. Sie fürchtete
sich nun nicht mehr so sehr vor ibrem Begleiter, aber
die Angst darauf, was ihrer unten harre» würde,
steigerte sich von hundert zu hundert Meter, die sie
hinter sich brachten. Es war um Mitternacht.
An der Brücke machte ihr Führer halt. Während
Frau Doris ihn aufholte, gewahrte sie, daß er ein
schwarzes Etwas vom Kinn riß und sich im Waffer
Gesicht und Hände wusch.
Skipeter, blond und hell, stand vor ihr.
„O Gott," sagte Frau Doris, „wir haben uns
irgendwo gesehen. Sie sind am großen Hügel fünfzig
Meter gesprungen?"
„Ja, ich bin Skipeter," sagte der gewesene Häupt-
ling streng, „und diesen Streich habe ich mit meinen
Freunden veranstaltet, um Sie, kleine Frau, auf
den Weg der Tugend zurückzubringen. Ist es das
erste Mal, daß Sie vorhatte», ihn zu verlaffen?"
„Ja, und ich tue es gewiß nie mehr," schwor Frau Doris. — „Das ver-
sprechen Sie mir?" — Frau Doris nickte freudig, „dann wollen wir
schweigen, die Kumpane und ich."
Frau Doris stolperte kopfhängend neben Skipeter, der die beiden Bret-
terpaare nunmehr auf der bartgefrorenen Straße hinten nach zog.
„Hängen Sie sich ein, der Weg hat Löcher," befahl er.
Wie nun Frau Doris neben Sklpeter durch die mondlichte Winternacht
schritt, begann sie leise und zögernd von sich zu erzählen und schloß: „Herr
Skipeter — ich weiß nicht wie Sie sonst heißen — können Sie es wirklich
einer Frau verargen, ihren Mann — sagen wir zu strafen, ihren Mann,
der ein trockener Gelehrter ist, dem beispielsweise der silberbeglänzte Berg-
bach hier nichts anderes bedeutet als H2O, dem es völlig gleichgültig
scheint, ob seine Frau eine Skibluse von dauergrünem sächsischemIägerflanell
oder hübscher Waschseide trägt und der nie den ge-
wünschten Moment erfaßt, wenn seine Frau ihn
küffen will!" -
Skipeter ging es miteinemmal durch und durch und
er konnte sich nicht versagen, Frau Doris tröstend
den Arm zu drücken.
„Nun," sagte er, und es klang eigentlich nicht
ganz überzeugend, „das Tor vom Grenzgasthaus stebt
offen und, ich meine, wenn Sie jetzt über eine Stiege
auf Nr. 3 gehen und ihren Mann recht lieb mit
einem Kuß wecken und sagen, Sie hätten ihn über-
So knurrt er und
Scherenschnitt von I. Straub
Winterstille
Jn meiner Seele fällt ein leichter
Langsam, weiß - [Schnee ...
Und legt sich
sachte, weich
über ihrer Felder frühe Saaten:
Schlafe . . . schlafe . . !
Sachte, weich
wie meiner Mutter Hände.
wniy Arndt raschen wollen --" -
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Scherenschnitt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4305, S. 68
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg