Liebe und Jus
Die Cicerone
Von Willy Reese-Weimar
Wie Berlin, Paris,
London, Neapel und an-
dere europäische Städte,
so hat natürlich auch New
Port seine Sehenswür-
digkeiten. Das muß wohl
wahr sein, denn sonst gäbe
es dort keine Ciceroni,
männliche und weibliche.
Letztere sind doppelt so
teuer. Man hat seine gu-
ten Gründe dafür.
Die Fremdenführer
werden von einem Insti-
tute geliefert, das feste
Tarife hat. Eine Cice-
rone kostet pro Stunde
einen Dollar. Dafür hat
man dann aber auch alles
und jedes: ausführliche
Erklärungen,angenehme
Unterhaltung, Auskunft
über alle Geschäfte, Verdolmetschung in mindestens einem halben
Dutzend Sprachen und vieles andere mehr.
Nur eines nicht: — Man darf in seinen Galanterien und Auf-
merksamkeiten gegen die junge Dame nicht zu weit gehen. Denn jung
und ungeheuer hübsch sind sie alle, diese New Porker Ciceroni.
Herr Johann Pfefferkorn, ein idealer Deutscher aus Spreeathen,
hatte sich durch seine europäischen Gewohnheiten leider dazu binreißcn
lasten, der allerliebsten, nied-
lichen Miß Doroth» einige sehr
gewagte Schmeicheleien in das
rosige kleine Mauseöhrchen hi-
neinzuflüstern, und hatte sogar
— shocking! — den Versuch ge-
macht, einen Arm um ihre Taille
zu legen. Wer nun aber etwa
des Glaubens sein sollte, daß
Die schönste Frau in herber Frische
Mit niir das Kaffeehaus betrat.
Lind als sie sah an meinem Tische.
Da glüht' mein Herz mit fünfzig Grad.
Keck brach ich ein Gespräch vom Zaune.
Nahm ihr den Hut und Mantel ab;
Sie schien in bester Plauderloune.
Sodah ein Wort das andre gab.
Sie war so klug, so welterfahren.
Drum dacht' ich voller Politik:
Das Geist'ge kann ich völlig sparen, -
Hier zieht allein der Mitleids-Trick.
Ich sagt', ich sei von scheuem Wesen.
Die Menschen wären mir zu schlecht:
Ich fänd' mich in der Welt des Bösen.
Das mich verfolgt, nicht mehr zurecht.
Stets einsam mühte ich mich quälen
Auf meinem harten Leidenspfad.
Ein liebes Weib nur tat’ mir fehlen,
Ich fühlt', wie meine Klagen sanken
Gar tief in ihren Helfersinn.
Lind - hei! - sie reicht' nach kurzem Schwanken
Mir ihre Namenskarte hin.
Ich sollt' sie nachmittags besuchen
So etwa zwischen vier und sechs.
Da kauft' ich Blumen. Obstund Kuchen
Lind Wein, das edelste Gewächs.
Dort ist das Haus ... die LIhr schlägt viere.
Mein Puls klopft stark... die Klingel schallt, -
Mich fragt ein Fräulein an der Türe:
„Sie woll'n zum Fräulein Rechtsanwalt?"
Päng, schrieb es einen Kaffenzettel
Zur Borschuhleistung, (nicht zu klein!)
Entsetzt umkrallt' ich all den Bettel
Bon Kuchen. Blumen. Obst und Wein.
Dann sprach gefahl ich: ..Kleine Närrin,
Ich Hab' im Stockwerk mich geirrt!"
Lind abends ward - die Sekretärin
Das Trost mir gäb' und Kraft und Rat... Bon mir zum Faschingsball geführt.
Karl Rabe
Miß Dorothy darob in
Aufruhr, Zorn oder Em-
pörung geraten wäre, der
irrt fick ganz gewaltig.
Auch nicht die Spur
davon!
Ganz kaltblütig for-
derte sie vielmehr ihr Ho-
norar für eine Stunde,
wiewohl höchstens erst
eine Viertelstunde ver>
floffen war. Man sieht
also,wt« weit eö ein ideal
veranlagter Deutscher in
verhältnismäßig kurzer
Zeit in Amerika bringen
kann!
Herr Johann Pfeffer-
korn erklärte sich mit
Freuden bereit, das Dop-
pelte dcrgefordertenTarc
und eventuell noch mehr
zu bezahlen, wenn feine
niedliche kleine Führerin
&
Ä
sich bereit erklärte, ferner
ihres Amtes walten zu wollen. Miß Dorothy aber blieb hartnäckig
bei ihrem Verlangen. Das imponierte Herrn Johann Pfefferkorn
mächtig. Etwas so auserlesen Sittenstrenges und Tugendreines war
ihm in seiner langjährigen Prärie noch nicht vorgekommen.
Herr Johann Pfefferkorn beschloß daher kurz und bündig, wie
es nun einmal seine ererbte Art war, aus der Stelle um Miß Do-
rothys kleines, wohlgepflegtes Händchen anzukalten, zu werben.
„Mein Fräulein," sagte er
mit Pathos, „Sie haben mich
in der kurzen Zeit so ausge-
zeichnet geführt, daß ichSie hier-
mit bitten möchte, mich durch 's
ganze Leben zu führen . . ."
Miß Dorothy war nicht im
mindesten überrascht. Offenbar
waren ihr während der Aus-
j.
t 4
A tr A'./f!
5?
1
sr
4 £&*rixA
92
Die Cicerone
Von Willy Reese-Weimar
Wie Berlin, Paris,
London, Neapel und an-
dere europäische Städte,
so hat natürlich auch New
Port seine Sehenswür-
digkeiten. Das muß wohl
wahr sein, denn sonst gäbe
es dort keine Ciceroni,
männliche und weibliche.
Letztere sind doppelt so
teuer. Man hat seine gu-
ten Gründe dafür.
Die Fremdenführer
werden von einem Insti-
tute geliefert, das feste
Tarife hat. Eine Cice-
rone kostet pro Stunde
einen Dollar. Dafür hat
man dann aber auch alles
und jedes: ausführliche
Erklärungen,angenehme
Unterhaltung, Auskunft
über alle Geschäfte, Verdolmetschung in mindestens einem halben
Dutzend Sprachen und vieles andere mehr.
Nur eines nicht: — Man darf in seinen Galanterien und Auf-
merksamkeiten gegen die junge Dame nicht zu weit gehen. Denn jung
und ungeheuer hübsch sind sie alle, diese New Porker Ciceroni.
Herr Johann Pfefferkorn, ein idealer Deutscher aus Spreeathen,
hatte sich durch seine europäischen Gewohnheiten leider dazu binreißcn
lasten, der allerliebsten, nied-
lichen Miß Doroth» einige sehr
gewagte Schmeicheleien in das
rosige kleine Mauseöhrchen hi-
neinzuflüstern, und hatte sogar
— shocking! — den Versuch ge-
macht, einen Arm um ihre Taille
zu legen. Wer nun aber etwa
des Glaubens sein sollte, daß
Die schönste Frau in herber Frische
Mit niir das Kaffeehaus betrat.
Lind als sie sah an meinem Tische.
Da glüht' mein Herz mit fünfzig Grad.
Keck brach ich ein Gespräch vom Zaune.
Nahm ihr den Hut und Mantel ab;
Sie schien in bester Plauderloune.
Sodah ein Wort das andre gab.
Sie war so klug, so welterfahren.
Drum dacht' ich voller Politik:
Das Geist'ge kann ich völlig sparen, -
Hier zieht allein der Mitleids-Trick.
Ich sagt', ich sei von scheuem Wesen.
Die Menschen wären mir zu schlecht:
Ich fänd' mich in der Welt des Bösen.
Das mich verfolgt, nicht mehr zurecht.
Stets einsam mühte ich mich quälen
Auf meinem harten Leidenspfad.
Ein liebes Weib nur tat’ mir fehlen,
Ich fühlt', wie meine Klagen sanken
Gar tief in ihren Helfersinn.
Lind - hei! - sie reicht' nach kurzem Schwanken
Mir ihre Namenskarte hin.
Ich sollt' sie nachmittags besuchen
So etwa zwischen vier und sechs.
Da kauft' ich Blumen. Obstund Kuchen
Lind Wein, das edelste Gewächs.
Dort ist das Haus ... die LIhr schlägt viere.
Mein Puls klopft stark... die Klingel schallt, -
Mich fragt ein Fräulein an der Türe:
„Sie woll'n zum Fräulein Rechtsanwalt?"
Päng, schrieb es einen Kaffenzettel
Zur Borschuhleistung, (nicht zu klein!)
Entsetzt umkrallt' ich all den Bettel
Bon Kuchen. Blumen. Obst und Wein.
Dann sprach gefahl ich: ..Kleine Närrin,
Ich Hab' im Stockwerk mich geirrt!"
Lind abends ward - die Sekretärin
Das Trost mir gäb' und Kraft und Rat... Bon mir zum Faschingsball geführt.
Karl Rabe
Miß Dorothy darob in
Aufruhr, Zorn oder Em-
pörung geraten wäre, der
irrt fick ganz gewaltig.
Auch nicht die Spur
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Ganz kaltblütig for-
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norar für eine Stunde,
wiewohl höchstens erst
eine Viertelstunde ver>
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also,wt« weit eö ein ideal
veranlagter Deutscher in
verhältnismäßig kurzer
Zeit in Amerika bringen
kann!
Herr Johann Pfeffer-
korn erklärte sich mit
Freuden bereit, das Dop-
pelte dcrgefordertenTarc
und eventuell noch mehr
zu bezahlen, wenn feine
niedliche kleine Führerin
&
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sich bereit erklärte, ferner
ihres Amtes walten zu wollen. Miß Dorothy aber blieb hartnäckig
bei ihrem Verlangen. Das imponierte Herrn Johann Pfefferkorn
mächtig. Etwas so auserlesen Sittenstrenges und Tugendreines war
ihm in seiner langjährigen Prärie noch nicht vorgekommen.
Herr Johann Pfefferkorn beschloß daher kurz und bündig, wie
es nun einmal seine ererbte Art war, aus der Stelle um Miß Do-
rothys kleines, wohlgepflegtes Händchen anzukalten, zu werben.
„Mein Fräulein," sagte er
mit Pathos, „Sie haben mich
in der kurzen Zeit so ausge-
zeichnet geführt, daß ichSie hier-
mit bitten möchte, mich durch 's
ganze Leben zu führen . . ."
Miß Dorothy war nicht im
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Fröhlichen" "Ohne Titel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4307, S. 92
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg