Daö Hütchen
Von Richard Braungar«
Frau Annemarie steckte
den Kops ;ur Türe des Ar-
beitszimmers ihres Man-
neS herein.
„Darf ich, Erni? Hast
du einen Augenblick Zeit
für mich?"
„Nun fa, meinetwegen,
komm halt!" Schon war
sie da.
„Was ist los?"
„Ach, weißt du, eigent-
lich gar nichts!"
„Du, Annemarie, ich
kenne dich! Wenn du „gar
nichts" sagst, dann ist 's
immer am gefährlichsten."
„Ist gar nicht wahr!
Hör' nur zu, dann wirst
du gleich sehen, daß du mir
unrecht tust."
„Na also, in Gottes-
namen!"
„Weißt du, Erni" -
sie stand jetzt dicht neben
ihrem Mann, der vor sei-
nem Schreibtisch saß, und
nestelte an einem Knopf
seines Hausrocks — „weißt
du, jetzt kommt doch die
neue Saison, und da — "
„ — brauchst du einen neuen Hut und ein neues Kleid und neue
Schuhe und —." — „Aber nein, Erni, du tust mir schon wieder
unrecht! Ich brauche nur ein Hütchen,ein ganz kleines, nettes, neues
Hütchen. Sonst gar nichts. Und du sollst mitgehen, wenn ich es
kaufe! Hast du jetzt Zeit?"
„Ist es auch wirklich nicht mehr?" - „Wenn ich es doch sage!
Also, gehst du mit?" - „Ja!"
Erni und Annemarie wanderten durch die Straßen, und es dau-
erte ziemlich lange, bis Annemarie endlich ein Hütchen gefunden
hatte, das ihrer würdig war. Sie sah entzückend darin aus. Aber
als sie nun vor dem Spiegel stand, da entdeckte sie, daß ihr altes
Kostüm gar nicht mehr zu dem neuen Hütchen paßte. Und die Schuhe
konnte man überhaupt nicht mehr ansehen. Erni wollte sich erst taub
stellen und dann stumm. Aber er müßte kein Ehemann gewesen sein,
wenn er nicht am Ende doch eingesehen hätte, daß zu einem neuen
Hütchen auch alles andere neu sein müffe. Und kurz und gut: Als
Frau Annemarie nach Hause kam, war alles nagelneu an ihr, bis
auf ihren Erni. Der sah noch genau so aus wie vor dem teuren
Bummel durch die Stadt.
Am nächsten Tag begegnete Erni der Frau seines besten Freundes
Max. Und da fiel ihm plötzlich ein, daß Freunde doch alles gleich
haben sollten und daß es also nur recht und billig sei, wenn Mar
seiner Frau, dem Lieschen,
auch ein Hütchen mit Zu-
behör kaufe. Lieschen war
aber ein richtiges Schäf.
chen, ganz anders als An-
nemarie. Und darum er-
teilte ihr Erni einigenUn-
lerricht,wie sie es anstellen
müsse, um zu all den schö-
nen Sachen zu kommen,
daß sie bescheiden sein und
nur ei» Hütchen verlangen
müffe und alles andere
werde sich dann von selbst
ergeben. Lieschen bedankte
sich strahlenden Angesichts,
und weg war sie.
Die Sache verlief ganz
programmäßig. Lieschen
heuchelte Bescheidenheit,
verlangte ihr Hütchen und
erhielt auch alles andere
dazu, geradeso wie Anne-
marie. Als sie aber wieder
zu Hause waren, Mar und
Lieschen, da nahm Max
seine Frau ein wenig bei
feite.
„Du, Lieschen, sag nial,
inir kommt die Geschichte
verdächtig vor! Du bist
doch sonst nicht so diplo-
matisch. Bist du selbst aus
die Idee gekommen mit
dem Hütchen?" — „Ach nein, Mar, wie kannst du nur so etwas
glauben!" - „Dacht' ich mir 's doch! Wer ist 's also gewesen?"
„Nun, wer denn sonst als Erni? Er hat mir gesagt, wie ich es
machen soll, damit ich alles genau so kriege wie Annemarie. Er hat
gemeint, er sehe nicht ein, warum er allein — ".
„So, so, ei, ei! Na, ist schon gut, Lieschen! Die Hauptsache ist,
daß dir die Sachen Freude machen."
„Und ob sie mir Freude machen? Du bist halt mein lieber, süßer,
einziger Mar!" Mar lachte und ging. Aber am nächsten Tage erhielt
Erni einen Brief, in dem ungefähr Folgendes stand:
„Lieber Erni! Es «st reizend von dir, daß du so besorgt bist um
meine Frau und daß du überzeugt bist, daß sie alle die schönen Sachen
braucht, die sie sich gewünscht hat. Ich bin allerdings nicht davon
überzeugt. Denn «ch habe das Geld nicht dazu. Aber ich habe es einst-
weilen für dich ausgelegt. Sei also so gut und schicke mir, wenn
möglich heute noch, den Betrag, den du aus beifolgender genauer
Aufstellung ersiehst. Die quittierten Rechnungen liegen auch bei. Ich
zweifle keinen Augenblick daran, daß dir meine Freundschaft und dein
Interesse an meiner Frau soviel wert ist. Und grüße mir Annemarie
recht schön von mir! Sie soll sich bald bei uns sehen lassen in ihrem
neuen Hütchen!" Es waren nicht gerade die sanftesten Töne, die
Erni beim Lesen dieses Briefes von sich gab. Und noch lange darnach
Stoßseufzer
„Das infame Geldverdienen-Müffen mit den dämlichen Modepuppen! - Wenn
ich 's aber mal zu 'ner Villa gebracht habe, mal' ich bloß noch Armeleutebilder!"
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Von Richard Braungar«
Frau Annemarie steckte
den Kops ;ur Türe des Ar-
beitszimmers ihres Man-
neS herein.
„Darf ich, Erni? Hast
du einen Augenblick Zeit
für mich?"
„Nun fa, meinetwegen,
komm halt!" Schon war
sie da.
„Was ist los?"
„Ach, weißt du, eigent-
lich gar nichts!"
„Du, Annemarie, ich
kenne dich! Wenn du „gar
nichts" sagst, dann ist 's
immer am gefährlichsten."
„Ist gar nicht wahr!
Hör' nur zu, dann wirst
du gleich sehen, daß du mir
unrecht tust."
„Na also, in Gottes-
namen!"
„Weißt du, Erni" -
sie stand jetzt dicht neben
ihrem Mann, der vor sei-
nem Schreibtisch saß, und
nestelte an einem Knopf
seines Hausrocks — „weißt
du, jetzt kommt doch die
neue Saison, und da — "
„ — brauchst du einen neuen Hut und ein neues Kleid und neue
Schuhe und —." — „Aber nein, Erni, du tust mir schon wieder
unrecht! Ich brauche nur ein Hütchen,ein ganz kleines, nettes, neues
Hütchen. Sonst gar nichts. Und du sollst mitgehen, wenn ich es
kaufe! Hast du jetzt Zeit?"
„Ist es auch wirklich nicht mehr?" - „Wenn ich es doch sage!
Also, gehst du mit?" - „Ja!"
Erni und Annemarie wanderten durch die Straßen, und es dau-
erte ziemlich lange, bis Annemarie endlich ein Hütchen gefunden
hatte, das ihrer würdig war. Sie sah entzückend darin aus. Aber
als sie nun vor dem Spiegel stand, da entdeckte sie, daß ihr altes
Kostüm gar nicht mehr zu dem neuen Hütchen paßte. Und die Schuhe
konnte man überhaupt nicht mehr ansehen. Erni wollte sich erst taub
stellen und dann stumm. Aber er müßte kein Ehemann gewesen sein,
wenn er nicht am Ende doch eingesehen hätte, daß zu einem neuen
Hütchen auch alles andere neu sein müffe. Und kurz und gut: Als
Frau Annemarie nach Hause kam, war alles nagelneu an ihr, bis
auf ihren Erni. Der sah noch genau so aus wie vor dem teuren
Bummel durch die Stadt.
Am nächsten Tag begegnete Erni der Frau seines besten Freundes
Max. Und da fiel ihm plötzlich ein, daß Freunde doch alles gleich
haben sollten und daß es also nur recht und billig sei, wenn Mar
seiner Frau, dem Lieschen,
auch ein Hütchen mit Zu-
behör kaufe. Lieschen war
aber ein richtiges Schäf.
chen, ganz anders als An-
nemarie. Und darum er-
teilte ihr Erni einigenUn-
lerricht,wie sie es anstellen
müsse, um zu all den schö-
nen Sachen zu kommen,
daß sie bescheiden sein und
nur ei» Hütchen verlangen
müffe und alles andere
werde sich dann von selbst
ergeben. Lieschen bedankte
sich strahlenden Angesichts,
und weg war sie.
Die Sache verlief ganz
programmäßig. Lieschen
heuchelte Bescheidenheit,
verlangte ihr Hütchen und
erhielt auch alles andere
dazu, geradeso wie Anne-
marie. Als sie aber wieder
zu Hause waren, Mar und
Lieschen, da nahm Max
seine Frau ein wenig bei
feite.
„Du, Lieschen, sag nial,
inir kommt die Geschichte
verdächtig vor! Du bist
doch sonst nicht so diplo-
matisch. Bist du selbst aus
die Idee gekommen mit
dem Hütchen?" — „Ach nein, Mar, wie kannst du nur so etwas
glauben!" - „Dacht' ich mir 's doch! Wer ist 's also gewesen?"
„Nun, wer denn sonst als Erni? Er hat mir gesagt, wie ich es
machen soll, damit ich alles genau so kriege wie Annemarie. Er hat
gemeint, er sehe nicht ein, warum er allein — ".
„So, so, ei, ei! Na, ist schon gut, Lieschen! Die Hauptsache ist,
daß dir die Sachen Freude machen."
„Und ob sie mir Freude machen? Du bist halt mein lieber, süßer,
einziger Mar!" Mar lachte und ging. Aber am nächsten Tage erhielt
Erni einen Brief, in dem ungefähr Folgendes stand:
„Lieber Erni! Es «st reizend von dir, daß du so besorgt bist um
meine Frau und daß du überzeugt bist, daß sie alle die schönen Sachen
braucht, die sie sich gewünscht hat. Ich bin allerdings nicht davon
überzeugt. Denn «ch habe das Geld nicht dazu. Aber ich habe es einst-
weilen für dich ausgelegt. Sei also so gut und schicke mir, wenn
möglich heute noch, den Betrag, den du aus beifolgender genauer
Aufstellung ersiehst. Die quittierten Rechnungen liegen auch bei. Ich
zweifle keinen Augenblick daran, daß dir meine Freundschaft und dein
Interesse an meiner Frau soviel wert ist. Und grüße mir Annemarie
recht schön von mir! Sie soll sich bald bei uns sehen lassen in ihrem
neuen Hütchen!" Es waren nicht gerade die sanftesten Töne, die
Erni beim Lesen dieses Briefes von sich gab. Und noch lange darnach
Stoßseufzer
„Das infame Geldverdienen-Müffen mit den dämlichen Modepuppen! - Wenn
ich 's aber mal zu 'ner Villa gebracht habe, mal' ich bloß noch Armeleutebilder!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Stoßseufzer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1928
Entstehungsdatum (normiert)
1923 - 1933
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 168.1928, Nr. 4310, S. 124
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg