Abend in der Tanzbar
„Darf ich Sie bitten!" sagte er, fast allzu förmlich.
„Aber ich möchte doch gar nicht tanzen!"
Er stand immer noch vor ihr.
„Ich bestehe darauf!" sagte er unhöflich.
„Weshalb?" fragte sie und erhob sich langsam. „Lassen Sie
uns lieber gehen. Ich ertrage den Rauch und den Lärm nicht
länger."
Der Kellner war schon da und brachte die Garderobe.
* *
*
Mißmutig warf er sich neben sie ins Auto. Keiner sprach
ein Wort. Nach einer langen Zeit sagte er kleinlaut:
„Sie gehen wohl nicht mehr mit mir zum Tanzen?"
„Lieber nicht!" sagte Marianne. „Ich sehe doch, daß es Ihnen
ein Opfer ist, wenn Sie nicht tanzen dürfen."
Otto war sprachlos.
„Ich tanze nämlich nicht," fuhr Marianne fort, „es tut mir
leid, daß ich Ihnen den Abend verdorben habe."
„Marianne!" rief er, „Sie haben doch gesagt, daß Sie so
gerne zum Tanzen gehen."
„Ja, aber nur zum Zusehen."
Er gab ihr einen Kuß.
„Ich kann ja gar nicht tanzen!" schrie er glücklich.
Am andern Tag verlobten sie sich.
Die hüpfende Dicke
„Sie haben so einen leichten, schwebenden Gang, Fräulein —
haben Sie vielleicht mal Gas eingeatmet?"
Ein angenehmer Ort
Ehe der alte Lerr das Kursbuch wieder aus der Land legte,
gestattete sich der jüngere Mitreisende mit den gefälligen Manieren
die Frage: „O bitte — um 7 Ahr sind wir in Poggenstedt,
nicht wahr?"
Der alte Lerr sah noch einmal in das Kursbuch hinein. „Pog-
genstedt -19 Ahr 3 bis 19 Ahr 8. Fünf Minuten Aufenthalt,
viel zu lange für das infame Nest. Der Zug sollte da überhaupt
Spekulativ
„Bis Ihre Ahr repariert ist, kann ich Ihnen eine andere geben,
wenn Sie wollen?"
„Aber gern! Laben Sie nicht eine goldene?"
„Lachsfarben — kann ich solch einen Strumpf tragen, Emil?
Oder soll ich lieber hechtgrau nehmen?"
„Lm-gibt es nicht walfischfarben?"
nicht halten. Verboten sollte das sein, vom Reichsgesundheitsamt,
oder wie die entsprechende Behörde heißen mag. Vor fünfzehn Jahren
habe ich da mal drei Monate gewohnt; den Rheumatismus, den ich
damals gekriegt habe, bin ich bis heute nicht los geworden."
Der jüngere Lerr bedauerte das sehr, aber um den Mund, der
dieses Bedauern aussprach, spielte ein wohlgefälliges Lächeln.
„Ein Schandnest!" schimpfte der alte Lerr weiter. „Der ganze
Grund ist feucht. Kein einziges Laus finden Sie, in dem nicht der
Schwamm sitzt, bis zu den Dachbalken hinauf. Die Gegend muß ein
ausgedienter Sumpf sein oder eher ein bloß zur Disposition gestellter.
And aus dem Dreckboden ziehen die Leute ihr Trinkwasser. Der
Typhus ist da zu Lause, sage ich Ihnen."
Der jüngere Lerr lächelte wonnig.
„Ich weiß nicht, wer Poggenstedt gegründet haben mag," fuhr
der alte Lerr fort, „aber jedenfalls ist der Mann Menschenfeind ge-
wesen oder ein furchtbarer Ochse. Etwas Blödsinnigeres von Lage
kann man sich gar nicht denken. Ganz unten in einer Mulde liegt
das Nest; die meisten Läufer kriegen überhaupt nie Sonne. Die
Lebensversicherungsgesellschaften, habe ich gehört, sollen in Poggen-
stedt doppelte Prämien verlangen."
Der jüngere Lerr strahlte geradezu. „Ja, das Städtchen scheint
es in sich zu haben. Ich bin im Begriff, dorthin überzusiedeln."
„O, da tun Sie mir aber leid! Sie sind wohl Beamter; Sie
müssen nach Poggenstedt, nicht wahr?"
„Durchaus nicht; ich gehe ganz freiwillig."
„Dann müssen Sie verrückt sein!" platzte der alte Lerr heraus.
„Durchaus nicht-ich bin Arzt." —on.
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„Darf ich Sie bitten!" sagte er, fast allzu förmlich.
„Aber ich möchte doch gar nicht tanzen!"
Er stand immer noch vor ihr.
„Ich bestehe darauf!" sagte er unhöflich.
„Weshalb?" fragte sie und erhob sich langsam. „Lassen Sie
uns lieber gehen. Ich ertrage den Rauch und den Lärm nicht
länger."
Der Kellner war schon da und brachte die Garderobe.
* *
*
Mißmutig warf er sich neben sie ins Auto. Keiner sprach
ein Wort. Nach einer langen Zeit sagte er kleinlaut:
„Sie gehen wohl nicht mehr mit mir zum Tanzen?"
„Lieber nicht!" sagte Marianne. „Ich sehe doch, daß es Ihnen
ein Opfer ist, wenn Sie nicht tanzen dürfen."
Otto war sprachlos.
„Ich tanze nämlich nicht," fuhr Marianne fort, „es tut mir
leid, daß ich Ihnen den Abend verdorben habe."
„Marianne!" rief er, „Sie haben doch gesagt, daß Sie so
gerne zum Tanzen gehen."
„Ja, aber nur zum Zusehen."
Er gab ihr einen Kuß.
„Ich kann ja gar nicht tanzen!" schrie er glücklich.
Am andern Tag verlobten sie sich.
Die hüpfende Dicke
„Sie haben so einen leichten, schwebenden Gang, Fräulein —
haben Sie vielleicht mal Gas eingeatmet?"
Ein angenehmer Ort
Ehe der alte Lerr das Kursbuch wieder aus der Land legte,
gestattete sich der jüngere Mitreisende mit den gefälligen Manieren
die Frage: „O bitte — um 7 Ahr sind wir in Poggenstedt,
nicht wahr?"
Der alte Lerr sah noch einmal in das Kursbuch hinein. „Pog-
genstedt -19 Ahr 3 bis 19 Ahr 8. Fünf Minuten Aufenthalt,
viel zu lange für das infame Nest. Der Zug sollte da überhaupt
Spekulativ
„Bis Ihre Ahr repariert ist, kann ich Ihnen eine andere geben,
wenn Sie wollen?"
„Aber gern! Laben Sie nicht eine goldene?"
„Lachsfarben — kann ich solch einen Strumpf tragen, Emil?
Oder soll ich lieber hechtgrau nehmen?"
„Lm-gibt es nicht walfischfarben?"
nicht halten. Verboten sollte das sein, vom Reichsgesundheitsamt,
oder wie die entsprechende Behörde heißen mag. Vor fünfzehn Jahren
habe ich da mal drei Monate gewohnt; den Rheumatismus, den ich
damals gekriegt habe, bin ich bis heute nicht los geworden."
Der jüngere Lerr bedauerte das sehr, aber um den Mund, der
dieses Bedauern aussprach, spielte ein wohlgefälliges Lächeln.
„Ein Schandnest!" schimpfte der alte Lerr weiter. „Der ganze
Grund ist feucht. Kein einziges Laus finden Sie, in dem nicht der
Schwamm sitzt, bis zu den Dachbalken hinauf. Die Gegend muß ein
ausgedienter Sumpf sein oder eher ein bloß zur Disposition gestellter.
And aus dem Dreckboden ziehen die Leute ihr Trinkwasser. Der
Typhus ist da zu Lause, sage ich Ihnen."
Der jüngere Lerr lächelte wonnig.
„Ich weiß nicht, wer Poggenstedt gegründet haben mag," fuhr
der alte Lerr fort, „aber jedenfalls ist der Mann Menschenfeind ge-
wesen oder ein furchtbarer Ochse. Etwas Blödsinnigeres von Lage
kann man sich gar nicht denken. Ganz unten in einer Mulde liegt
das Nest; die meisten Läufer kriegen überhaupt nie Sonne. Die
Lebensversicherungsgesellschaften, habe ich gehört, sollen in Poggen-
stedt doppelte Prämien verlangen."
Der jüngere Lerr strahlte geradezu. „Ja, das Städtchen scheint
es in sich zu haben. Ich bin im Begriff, dorthin überzusiedeln."
„O, da tun Sie mir aber leid! Sie sind wohl Beamter; Sie
müssen nach Poggenstedt, nicht wahr?"
„Durchaus nicht; ich gehe ganz freiwillig."
„Dann müssen Sie verrückt sein!" platzte der alte Lerr heraus.
„Durchaus nicht-ich bin Arzt." —on.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Lachsfarben" "Spekulativ"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1935
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1940
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 182.1935, Nr. 4697, S. 95
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg