Die Stranvuhr
denn auch keins der andern
kleinen Bäder west- und
ostwärts von Flundershöft
hätte eine Stranduhr. Was
wollten die Leute also!
Aber gerade dieser Äin-
weis war es nun, der Pagel
veranlaßte, doch weiter über
die Sache nachzudenken. Daß
die konkurrierenden Nachbar-
orte auch nicht hatten, was
von Flundershöst begehrt
wurde, mußte eigentlich die-
ses Begehren unterstützen,
da seine Erfüllung Flunders-
Höft besonders auszeichnen
konnte. Weil alle andern
keine Stranduhr hatten —
— eben deshalb sollte Flun-
dershöst sich eine zulegen.
Äer mit einer Stranduhr!
Freilich konnte es keine rich-
tige Ahr mit turmartigem
Gehäuse und vollkommenem
Werk sein. Die hätte viel-
leicht 1000 Mark gekostet,
und da wäre ja die Kurtaxe
von 333 7» Badegästen drauf-
gegangen. Aber war denn
solche Art von Ahr über-
haupt nötig? Keineswegs,
meinte Pagel. And er dachte
nach und sann, und im Lerbst,
als schon der letzte Badegast
längst abgereist war, hatte
er einen ausgezeichneten Ein-
fall, den ihm dann im Lause
des Winters der Stellmacher
Loppedanz verwirklichte.
And als wieder die Badezeit
kam, da hatte Flundershöft
eine Stranduhr. Sie kostete
16 Mark 50 Pfennige.
Allerdings — es war nur ein Ahrphantom. Ein hoher Pfahl trug
zwei große Lolztafeln mit aufgemalten Zifferblättern, für den ganzen
Bezirk des Flundershöfter Strandes sichtbar. Die dazu gehörenden
Zeiger saßen auf Lolzscheiben, die durch Strippen zu drehen waren,
und diese Vorrichtung sollte der Strandwärter Kägebein bedienen.
Alle fünf Minuten sollte er die Zeiger weiterrücken lassen, aber bei-
leibe nicht den ganzen Tag. Es genügte, wenn er das von 12 bis 1
wegen des Mittagessens und von 3 bis 4 wegen der Kaffeemahlzeit
tat; eine Mahnung zum Abendbrot war nicht nötig, denn dann wurde
es ja schon kühl am Strande, und die Leute gingen von selbst fort.
Die Stranduhr fand Anerkennung, ja Bewunderung. Von den
nach und nach sich einstellenden Badegästen erklärte beinahe jeder
zweite, damit wäre endlich eines der sogenannten dringenden Bedürf-
nisse befriedigt worden, und die allgemeine Ansicht war, eine wirk-
liche Ahr hätte nicht entfernt das gleiche leisten können, denn sie hätte
wohl nicht so große Zifferblätter und Zeiger gehabt. Der Strand-
Wärter Kägebein bediente das Phantom sehr gewissenhaft; er mußte
ohnehin am Strande sich aufhalten, um auf vorwitzige Schwimmer
zu achten und sie mit dem Tuten eines Kuhhorns, einer Art Schal-
mei, zurückzurufen. Jeden Morgen machte er jetzt den ziemlich weiten
Weg nach dem Bahnhof, um dort nach der genauen Bahnhofsuhr
seine Taschenuhr zu stellen, die er dann in einem Tombakgehäuse
verwahrte. So konnte er sie ohne Gefährdung durch Sand auch am
Strande tragen. Ohnehin lümmelte er sich ja nicht im Sande herum;
das hätte sich nicht für ihn
gepaßt, denn er war ja kein
Badegast. Aebrigens wurde
er bald, nachdem ein philo-
logischer Badegast das ein-
gesührt hatte, allgemein
„Vater Chronos" genannt.
Das gefiel ihm aber nicht,
denn er wußte nicht, was es
bedeuten sollte.
Die Badegesellschaft war
also zufrieden und ebenso
die beiden Gastwirte und
die drei Damen mit den
Fremdenheimen, denn es gab
jetzt bei der Tafel keine Vor-
läufer mehr und nur selten
noch Nachzügler. So wäre
es wohl auch bis zum Ende
des Sommers geblieben,
wenn nickt Mitte Juli ein
Lerr Oskar Stiebritz aus
der Zannowitzstraße in Ber-
lin angekommen wäre, um
sich von den Anstrengungen
seines Erwerbs zu erholen,
den er damit suchte, auf dem
Wege des Versandgeschäfts
sehr billigen Schmuck und
besonders noch billigere
Taschenuhren zu vertreiben.
Diese aus höchst unedlem
Metall hergestellten Ähren
kosteten 1 Mark 50, in bes-
serer Ausführung 2 Mark 50.
Solche Ahr hatte den großen
Vorzug, jede Reparatur
überflüssig zu machen; wenn
sie schließlich nicht mehr gehen
wollte, konnte man sie einfach
wegschmeißen und sich von
Stiebritz eine neue kommen
lassen. Das waren also Ähren,
die man selbst am Strande
im Sande bei sich haben konnte; die paar Wochen hielten sie
das schon aus. Stiebritz mußte also die Flundershöfter Stranduhr
als Störung seines Geschäfts empfinden; er bewunderte sie nicht
und sagte auch nicht, daß damit einem dringenden Bedürfnis abge-
holfen worden wäre. Mit Verdruß sah er den Betrieb und Käge-
beins Bemühungen um den Fortschritt der Zeit. „Na wartet, ich
werde euch das versalzen!" nahm er sich vor. Dieses Versalzen
gedachte er mit etwas attischem Salz zu besorgen, von dem er einen
reichen Besitz zu haben glaubte. Es war aber doch kein besonders
feiner Witz, den er dann anwandte.
An einem Vormittag geschah es. Kägebein hatte die Zeiger der
Stranduhr gerade auf halb Eins gestellt, da schlich sich Stiebritz
heran. Einige muntere Knaben waren mit Sandarbeiten in der Nähe
beschäftigt. Stiebritz machte sie mit einladenden Gebärden auf sein
Beginnen aufmerksani, grinste sie listig an, und schwupps-da
hatte er an den Strippen gezogen und die Stranduhr auf halb Zwei
gerückt. And dann verschwand er; seitwärts in die Dünen schlug er
sich. Kägebein kam zurück, seine Pflicht zu tun; er schaute hinauf,
wunderte sich, glaubte, einen Fehler begangen zu haben, schüttelte
den Kopf, brummte und brachte die Sache in Ordnung. Selbstver-
ständlich gefiel das den ausmerkenden Knaben, und darauf hatte
Stiebritz spekuliert. Er hatte ein böses Beispiel gegeben, das be-
folgt werden würde; er hatte einen Keim gesät, aus dem schlimmes
Ankraut mit üblen Früchten entsprießen mußte. Kaum hatte Käge-
87
Zeichnung von W. Kruse
Fußballer auf Reisen
„Am Äimmelswillen, das ist ja schlimmer als ein Angsttraum . . ."
denn auch keins der andern
kleinen Bäder west- und
ostwärts von Flundershöft
hätte eine Stranduhr. Was
wollten die Leute also!
Aber gerade dieser Äin-
weis war es nun, der Pagel
veranlaßte, doch weiter über
die Sache nachzudenken. Daß
die konkurrierenden Nachbar-
orte auch nicht hatten, was
von Flundershöst begehrt
wurde, mußte eigentlich die-
ses Begehren unterstützen,
da seine Erfüllung Flunders-
Höft besonders auszeichnen
konnte. Weil alle andern
keine Stranduhr hatten —
— eben deshalb sollte Flun-
dershöst sich eine zulegen.
Äer mit einer Stranduhr!
Freilich konnte es keine rich-
tige Ahr mit turmartigem
Gehäuse und vollkommenem
Werk sein. Die hätte viel-
leicht 1000 Mark gekostet,
und da wäre ja die Kurtaxe
von 333 7» Badegästen drauf-
gegangen. Aber war denn
solche Art von Ahr über-
haupt nötig? Keineswegs,
meinte Pagel. And er dachte
nach und sann, und im Lerbst,
als schon der letzte Badegast
längst abgereist war, hatte
er einen ausgezeichneten Ein-
fall, den ihm dann im Lause
des Winters der Stellmacher
Loppedanz verwirklichte.
And als wieder die Badezeit
kam, da hatte Flundershöft
eine Stranduhr. Sie kostete
16 Mark 50 Pfennige.
Allerdings — es war nur ein Ahrphantom. Ein hoher Pfahl trug
zwei große Lolztafeln mit aufgemalten Zifferblättern, für den ganzen
Bezirk des Flundershöfter Strandes sichtbar. Die dazu gehörenden
Zeiger saßen auf Lolzscheiben, die durch Strippen zu drehen waren,
und diese Vorrichtung sollte der Strandwärter Kägebein bedienen.
Alle fünf Minuten sollte er die Zeiger weiterrücken lassen, aber bei-
leibe nicht den ganzen Tag. Es genügte, wenn er das von 12 bis 1
wegen des Mittagessens und von 3 bis 4 wegen der Kaffeemahlzeit
tat; eine Mahnung zum Abendbrot war nicht nötig, denn dann wurde
es ja schon kühl am Strande, und die Leute gingen von selbst fort.
Die Stranduhr fand Anerkennung, ja Bewunderung. Von den
nach und nach sich einstellenden Badegästen erklärte beinahe jeder
zweite, damit wäre endlich eines der sogenannten dringenden Bedürf-
nisse befriedigt worden, und die allgemeine Ansicht war, eine wirk-
liche Ahr hätte nicht entfernt das gleiche leisten können, denn sie hätte
wohl nicht so große Zifferblätter und Zeiger gehabt. Der Strand-
Wärter Kägebein bediente das Phantom sehr gewissenhaft; er mußte
ohnehin am Strande sich aufhalten, um auf vorwitzige Schwimmer
zu achten und sie mit dem Tuten eines Kuhhorns, einer Art Schal-
mei, zurückzurufen. Jeden Morgen machte er jetzt den ziemlich weiten
Weg nach dem Bahnhof, um dort nach der genauen Bahnhofsuhr
seine Taschenuhr zu stellen, die er dann in einem Tombakgehäuse
verwahrte. So konnte er sie ohne Gefährdung durch Sand auch am
Strande tragen. Ohnehin lümmelte er sich ja nicht im Sande herum;
das hätte sich nicht für ihn
gepaßt, denn er war ja kein
Badegast. Aebrigens wurde
er bald, nachdem ein philo-
logischer Badegast das ein-
gesührt hatte, allgemein
„Vater Chronos" genannt.
Das gefiel ihm aber nicht,
denn er wußte nicht, was es
bedeuten sollte.
Die Badegesellschaft war
also zufrieden und ebenso
die beiden Gastwirte und
die drei Damen mit den
Fremdenheimen, denn es gab
jetzt bei der Tafel keine Vor-
läufer mehr und nur selten
noch Nachzügler. So wäre
es wohl auch bis zum Ende
des Sommers geblieben,
wenn nickt Mitte Juli ein
Lerr Oskar Stiebritz aus
der Zannowitzstraße in Ber-
lin angekommen wäre, um
sich von den Anstrengungen
seines Erwerbs zu erholen,
den er damit suchte, auf dem
Wege des Versandgeschäfts
sehr billigen Schmuck und
besonders noch billigere
Taschenuhren zu vertreiben.
Diese aus höchst unedlem
Metall hergestellten Ähren
kosteten 1 Mark 50, in bes-
serer Ausführung 2 Mark 50.
Solche Ahr hatte den großen
Vorzug, jede Reparatur
überflüssig zu machen; wenn
sie schließlich nicht mehr gehen
wollte, konnte man sie einfach
wegschmeißen und sich von
Stiebritz eine neue kommen
lassen. Das waren also Ähren,
die man selbst am Strande
im Sande bei sich haben konnte; die paar Wochen hielten sie
das schon aus. Stiebritz mußte also die Flundershöfter Stranduhr
als Störung seines Geschäfts empfinden; er bewunderte sie nicht
und sagte auch nicht, daß damit einem dringenden Bedürfnis abge-
holfen worden wäre. Mit Verdruß sah er den Betrieb und Käge-
beins Bemühungen um den Fortschritt der Zeit. „Na wartet, ich
werde euch das versalzen!" nahm er sich vor. Dieses Versalzen
gedachte er mit etwas attischem Salz zu besorgen, von dem er einen
reichen Besitz zu haben glaubte. Es war aber doch kein besonders
feiner Witz, den er dann anwandte.
An einem Vormittag geschah es. Kägebein hatte die Zeiger der
Stranduhr gerade auf halb Eins gestellt, da schlich sich Stiebritz
heran. Einige muntere Knaben waren mit Sandarbeiten in der Nähe
beschäftigt. Stiebritz machte sie mit einladenden Gebärden auf sein
Beginnen aufmerksani, grinste sie listig an, und schwupps-da
hatte er an den Strippen gezogen und die Stranduhr auf halb Zwei
gerückt. And dann verschwand er; seitwärts in die Dünen schlug er
sich. Kägebein kam zurück, seine Pflicht zu tun; er schaute hinauf,
wunderte sich, glaubte, einen Fehler begangen zu haben, schüttelte
den Kopf, brummte und brachte die Sache in Ordnung. Selbstver-
ständlich gefiel das den ausmerkenden Knaben, und darauf hatte
Stiebritz spekuliert. Er hatte ein böses Beispiel gegeben, das be-
folgt werden würde; er hatte einen Keim gesät, aus dem schlimmes
Ankraut mit üblen Früchten entsprießen mußte. Kaum hatte Käge-
87
Zeichnung von W. Kruse
Fußballer auf Reisen
„Am Äimmelswillen, das ist ja schlimmer als ein Angsttraum . . ."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fußballer auf Reisen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
W. Kruse
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4749, S. 87
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg