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Der Serpentbläser V»n Er,» «u
Der junge Mann, der soeben das Büro betrat, machte einen ärm-
lichen, aber netten Eindruck. Er trug einen einfachen grauen Anzug,
der große, breitkrempige Lut, den der Jüngling verlegen in den
Länden drehte, und sein mächtiger schwarzer Schlips verliehen ihm
das Aussehen eines Künstlers.
Bescheiden blieb der junge Mann an der Tür stehen und wartete,
bis die Sekretärin aufsah und fragte: „Sie wünschen?"
„Ich bin der Serpentbläser," sagte der junge Mann.
Der Sekretärin schien diese Erklärung nichts zu besagen.
„Bedaurel Mister Vanderfield empfängt nicht!"
Umständlich holte der junge Mann einen Brief aus der Tasche.
„Ich bin der Serpentbläser. Mister Vanderfield erwartet mich. Ich
bin für heute herbestellt. Lier ist das Schreiben."
Die Sekretärin warf einen Blick auf das Papier, begab sich in
den Nebenraum, und wenige Augenblicke später befand sich der junge
Künstler Mister Vanderfield persönlich gegenüber.
„Sie haben mir geschrieben, Mister Brown," sagte der Millionär
und warf einen langen, prüfenden Blick auf den jungen Mann, „für
gewöhnlich pflege ich solche Bittbriefe nicht zu beantworten, doch Ihr
Fall interessierte mich. Sie schreiben, daß Sie Serpentbläser sind,
und daß Sie Ihr Instrument virtuos beherrschen, aber immerzu
vom Pech verfolgt sind. Erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben!"
Der Serpentbläser begann stockend:
„Es ist zu nett von Ihnen, Mister Vanderfield, daß Sie mich
empfangen haben. Ich habe mein ganzes Leben lang so viel Pech
gehabt, daß ich jetzt nicht an die Chance, die Sie mir bieten, zu glauben
hoffe. Schon in frühster Jugend trieb es mich zur Musik, und mein
Vater ließ mich, meinem innigsten Wunsch folgend, Serpent blasen
lernen. Ich machte rasch Fortschritte, und meine Lehrer prophezeiten
mir eine große Zukunft. Als ich schließlich die Prüfung abgelegt
hatte, war ich überzeugt, daß mir nunmehr die ganze Welt offen
stünde. Doch bald merkte ich mein Pech: das Serpent war aus der
Mode gekommen. So sehr, ich mich auch bemühte, ich fand in keinem
Orchester Unterkunft, da die Komponisten heutzutage für mein Instru-
ment keinen Part mehr schreiben. Ich hatte eine brotlose Kunst ge-
lernt! Ich versuchte es mit eigenen Konzerten — aber bei meinem
Pech kam kein Mensch, um mich anzuhören. So kommt es, Mister
Vanderfield, daß ich — ein anerkannter Virtuose des Serpents —
heute als armer Bittsteller vor Ihnen stehe. —"
Der junge Mann hatte geendet und sah bescheiden zu Boden.
Lange ruhte der prüfende Blick des Millionärs auf ihm.
„Sie spielen also Serpent?" — „Ja."
„Und Sie beherrschen das Instrument virtuos?" — „Man sagt
es," entgegnete der Serpentbläser bescheiden. — „Schön!"
Mister Vanderfield erhob sich und schritt auf eine Vitrine im
Lintergrund des Zimmers zu. Er schloß die Tür auf und nahm einen
Gegenstand heraus, den er dem Serpentbläser entgegenhielt.
„Bitte, Mister Brown, spielen Siel"
Erstaunt betrachtete der junge Mann das hölzerne Ding in der
Land des Millionärs. Ihm stieg das Blut zu Kopf.
„Was ist das? Was soll ich damit?"
„Aber Mister Brown," lächelte der Millionär, „Sie werden doch
noch ein Serpent, das Instrument, das Sie so virtuos beherrschen, er-
kennen können?" And er drückte das Instrument dem betroffenen Jüng-
ling in die Land. Der drehte es verlegen hin und her und besah es inter-
essiert von allen Seiten. Schließlich zuckte er resignierend die Achsel:
„Sehen Sie, Mister Vanderfield, was ich für ein Pechvogel bin," sagte
er, „wie konnte ich wissen, daß ausgerechnet Sie ein Serpent besitzen?"
322
Bei Gelegenheit
„Ich möchte heute nicht bis zum Schluß bleiben. Dann kann mir
nämlich Ilse erzählen, was nachher noch über mich gesagt worden ist."
Der Serpentbläser V»n Er,» «u
Der junge Mann, der soeben das Büro betrat, machte einen ärm-
lichen, aber netten Eindruck. Er trug einen einfachen grauen Anzug,
der große, breitkrempige Lut, den der Jüngling verlegen in den
Länden drehte, und sein mächtiger schwarzer Schlips verliehen ihm
das Aussehen eines Künstlers.
Bescheiden blieb der junge Mann an der Tür stehen und wartete,
bis die Sekretärin aufsah und fragte: „Sie wünschen?"
„Ich bin der Serpentbläser," sagte der junge Mann.
Der Sekretärin schien diese Erklärung nichts zu besagen.
„Bedaurel Mister Vanderfield empfängt nicht!"
Umständlich holte der junge Mann einen Brief aus der Tasche.
„Ich bin der Serpentbläser. Mister Vanderfield erwartet mich. Ich
bin für heute herbestellt. Lier ist das Schreiben."
Die Sekretärin warf einen Blick auf das Papier, begab sich in
den Nebenraum, und wenige Augenblicke später befand sich der junge
Künstler Mister Vanderfield persönlich gegenüber.
„Sie haben mir geschrieben, Mister Brown," sagte der Millionär
und warf einen langen, prüfenden Blick auf den jungen Mann, „für
gewöhnlich pflege ich solche Bittbriefe nicht zu beantworten, doch Ihr
Fall interessierte mich. Sie schreiben, daß Sie Serpentbläser sind,
und daß Sie Ihr Instrument virtuos beherrschen, aber immerzu
vom Pech verfolgt sind. Erzählen Sie mir etwas aus Ihrem Leben!"
Der Serpentbläser begann stockend:
„Es ist zu nett von Ihnen, Mister Vanderfield, daß Sie mich
empfangen haben. Ich habe mein ganzes Leben lang so viel Pech
gehabt, daß ich jetzt nicht an die Chance, die Sie mir bieten, zu glauben
hoffe. Schon in frühster Jugend trieb es mich zur Musik, und mein
Vater ließ mich, meinem innigsten Wunsch folgend, Serpent blasen
lernen. Ich machte rasch Fortschritte, und meine Lehrer prophezeiten
mir eine große Zukunft. Als ich schließlich die Prüfung abgelegt
hatte, war ich überzeugt, daß mir nunmehr die ganze Welt offen
stünde. Doch bald merkte ich mein Pech: das Serpent war aus der
Mode gekommen. So sehr, ich mich auch bemühte, ich fand in keinem
Orchester Unterkunft, da die Komponisten heutzutage für mein Instru-
ment keinen Part mehr schreiben. Ich hatte eine brotlose Kunst ge-
lernt! Ich versuchte es mit eigenen Konzerten — aber bei meinem
Pech kam kein Mensch, um mich anzuhören. So kommt es, Mister
Vanderfield, daß ich — ein anerkannter Virtuose des Serpents —
heute als armer Bittsteller vor Ihnen stehe. —"
Der junge Mann hatte geendet und sah bescheiden zu Boden.
Lange ruhte der prüfende Blick des Millionärs auf ihm.
„Sie spielen also Serpent?" — „Ja."
„Und Sie beherrschen das Instrument virtuos?" — „Man sagt
es," entgegnete der Serpentbläser bescheiden. — „Schön!"
Mister Vanderfield erhob sich und schritt auf eine Vitrine im
Lintergrund des Zimmers zu. Er schloß die Tür auf und nahm einen
Gegenstand heraus, den er dem Serpentbläser entgegenhielt.
„Bitte, Mister Brown, spielen Siel"
Erstaunt betrachtete der junge Mann das hölzerne Ding in der
Land des Millionärs. Ihm stieg das Blut zu Kopf.
„Was ist das? Was soll ich damit?"
„Aber Mister Brown," lächelte der Millionär, „Sie werden doch
noch ein Serpent, das Instrument, das Sie so virtuos beherrschen, er-
kennen können?" And er drückte das Instrument dem betroffenen Jüng-
ling in die Land. Der drehte es verlegen hin und her und besah es inter-
essiert von allen Seiten. Schließlich zuckte er resignierend die Achsel:
„Sehen Sie, Mister Vanderfield, was ich für ein Pechvogel bin," sagte
er, „wie konnte ich wissen, daß ausgerechnet Sie ein Serpent besitzen?"
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Bei Gelegenheit
„Ich möchte heute nicht bis zum Schluß bleiben. Dann kann mir
nämlich Ilse erzählen, was nachher noch über mich gesagt worden ist."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Bei Gelegenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4764, S. 322
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg