Zeichnung von E. Croissani
„Sind das indische Elefanten, Mutter?"
„Von dem großen weiß ich das nicht, aber der
kleine ist keiner — — der ist doch hier geboren."
Der 's°» Peter Robinson
Schon seit einigen Zähren hat der Schriftsteller Steinbrinck bei
Frau Tiebusch ein recht gut eingerichtetes Vorderzimmer inne, das
auf eine angenehme, mit Bäumen bestandene und ganz verkehrsarme
Straße hinausgeht. Nur am Nachmittag lärmen da — eben wegen
der Verkehrsarmut — die Kinder, aber das stört Steinbrinck nicht.
Da ist er nicht zu Lause; er macht dann eine» weiten Spaziergang,
auf dem er sich überlegt, was er nachher schreiben wird. And das
schreibt er dann am Abend von 8 bis 1l Ahr in einem Zuge herunter.
Es handelt sich bei dieser Arbeit um leichte Anterhaltungsromane,
von deren Erlös Steinbrinck recht gut leben kann.
Frau Tiebusch hat noch ein zweites Vorderzimmer, das sie auch
vermietet. Aber darin sind die Mieter nicht so seßhaft gewesen; sie
haben häufig gewechselt, was aber nicht an Frau Tiebusch gelegen
hat, die eine vernünftige und entgegenkommende Vermieterin ist.
Der eine mag aus beruflichen Gründen wieder fortgezogen sein, ein
anderer hat vielleicht geheiratet — und was sonst Veranlassung
gegeben hat. Alle diese Nachbarn aber haben, obwohl die Wand
zwischen beiden Zimmern sehr dünn ist, den Schriftsteller Steinbrinck
kaum jemals gestört. Dazu hätte er sich eigentlich beglückwünschen
müssen, aber er hat es selbstverständlich gefunden. So ist der Mensch:
er nimmt das Gute hin, als müsse es so sein.-
Am 1. Oktober nun bekam Steinbrinck wieder einmal eine neue
Nachbarschaft, wie er, zu seinem Spaziergang ausgehend, aus dem
Erscheinen eines mit Gepäck beladenen Dienstmannes entnehmen
konnte. Daß es sich dabei um einen Nachbarn und nicht um eine
Nachbarin handelte, erfuhr er bei seiner Rückkehr von Frau Tiebusch.
„Ein anscheinend sehr solider junger Mann. Lonig heißt er, Lorenz
Äonig. Er ist Buchhalter in einem Importgeschäft für Südfrüchte.
Weil er einen so sehr anständigen Eindruck machte, habe ich ihm das
372
Zimmer vermietet, obwohl er es nur ohne Früh-
stück nehmen wollte. And an dem Frühstück ver-
diene ich doch auch immer ein bißchen. Aber er
ißt morgens nur Früchte. MerkwürdigI Das
könnte ich nicht; da wäre mir nachher zu schlabb-
rig zu Mute."
Steinbrinck hörte etwas zerstreut zu, denn
gerade heute hatte er über das erste Kapitel eines
neuen Romans nachgedacht. Das erste Kapitel
ist immer das schwierigste, und deshalb setzte er
sich nachher mit einem leichten Seufzer an die
Arbeit. Also — wie sollte die Geschichte losgehn?
Beim Großkaufmann Friedrichsen ist eine Abend-
gesellschaft. Seine Tochter Brigitte hat als Tisch-
herrn den Regierungsassessor Wachsmut, der zu
der begehrenswerten jungen Dame eine scherz-
hafte Beziehung zu gewinnen wünscht, indem er
ihr ein Vielliebchen anbieten möchte. Beim Nach-
tisch hofft er unter den Mandeln und Nüssen
einen Doppelkern zu finden. Er öffnet zuerst eine
Lambertsnuß — kracks!
LaltI Was war das? Steinbrinck legte die
noch langsame Feder fort. Seltsames Spiel des
Zufalls: der Mann nebenan, dieser Lorenz Lonig,
mußte eben auch eine Nuß geknackt haben. Kracksi
hatte es im Nebenzimmer gemacht. Aber ein
Vielliebchen suchte er dabei wohl nicht; das hätte
auch keinen
Zweck für ihn
gehabt, denn
er hatte je-
denfalls keine
junge Dame
an seiner
Seite. Frau
Tiebusch dul-
dete solche
Besuchenicht.
Dumme Störung! Der Schrift-
steller seufzte wieder und sah
noch einmal die ersten Zeilen
durch. Aber da — — kracks!
machte es nebenan; der Nachbar
hatte wieder eine Nuß geknackt.
Nun ja — an einer Nuß hatte
er nicht genug; das war zu ver-
stehen. Er wollte eben heute mal
ein paar Nüsse knabbern, und das
mußte als eine Ausnahme wohl
hingenommen werden; vielleicht
hatte er Geburtstag. Länger als
eine Viertelstunde würde das
Knacken ja nicht dauern. Stein-
brinck beschloß, so lange mit seiner
Arbeit zu warten. Er sah auf die
Ahr: immer nach drei Minuten
knackte es nebenan. Steinbrinck
wurde nervös vom Aufpassen,
und als seine Loffnung bezüglich
der Viertelstunde sich nicht er-
füllte, der Nußkonsum nebenan
vielmehr weiterging — da schob
er als weiser Mann die Arbeit,
um sich nicht den Anfang seines
Romans zu verpatzen, für heute
fort und nahm ein Buch vor.
Aber er kam auch nicht richtig
zum Lesen, denn weiter und weiter
ging es: kracks — kracks! Alle drei
„Sind das indische Elefanten, Mutter?"
„Von dem großen weiß ich das nicht, aber der
kleine ist keiner — — der ist doch hier geboren."
Der 's°» Peter Robinson
Schon seit einigen Zähren hat der Schriftsteller Steinbrinck bei
Frau Tiebusch ein recht gut eingerichtetes Vorderzimmer inne, das
auf eine angenehme, mit Bäumen bestandene und ganz verkehrsarme
Straße hinausgeht. Nur am Nachmittag lärmen da — eben wegen
der Verkehrsarmut — die Kinder, aber das stört Steinbrinck nicht.
Da ist er nicht zu Lause; er macht dann eine» weiten Spaziergang,
auf dem er sich überlegt, was er nachher schreiben wird. And das
schreibt er dann am Abend von 8 bis 1l Ahr in einem Zuge herunter.
Es handelt sich bei dieser Arbeit um leichte Anterhaltungsromane,
von deren Erlös Steinbrinck recht gut leben kann.
Frau Tiebusch hat noch ein zweites Vorderzimmer, das sie auch
vermietet. Aber darin sind die Mieter nicht so seßhaft gewesen; sie
haben häufig gewechselt, was aber nicht an Frau Tiebusch gelegen
hat, die eine vernünftige und entgegenkommende Vermieterin ist.
Der eine mag aus beruflichen Gründen wieder fortgezogen sein, ein
anderer hat vielleicht geheiratet — und was sonst Veranlassung
gegeben hat. Alle diese Nachbarn aber haben, obwohl die Wand
zwischen beiden Zimmern sehr dünn ist, den Schriftsteller Steinbrinck
kaum jemals gestört. Dazu hätte er sich eigentlich beglückwünschen
müssen, aber er hat es selbstverständlich gefunden. So ist der Mensch:
er nimmt das Gute hin, als müsse es so sein.-
Am 1. Oktober nun bekam Steinbrinck wieder einmal eine neue
Nachbarschaft, wie er, zu seinem Spaziergang ausgehend, aus dem
Erscheinen eines mit Gepäck beladenen Dienstmannes entnehmen
konnte. Daß es sich dabei um einen Nachbarn und nicht um eine
Nachbarin handelte, erfuhr er bei seiner Rückkehr von Frau Tiebusch.
„Ein anscheinend sehr solider junger Mann. Lonig heißt er, Lorenz
Äonig. Er ist Buchhalter in einem Importgeschäft für Südfrüchte.
Weil er einen so sehr anständigen Eindruck machte, habe ich ihm das
372
Zimmer vermietet, obwohl er es nur ohne Früh-
stück nehmen wollte. And an dem Frühstück ver-
diene ich doch auch immer ein bißchen. Aber er
ißt morgens nur Früchte. MerkwürdigI Das
könnte ich nicht; da wäre mir nachher zu schlabb-
rig zu Mute."
Steinbrinck hörte etwas zerstreut zu, denn
gerade heute hatte er über das erste Kapitel eines
neuen Romans nachgedacht. Das erste Kapitel
ist immer das schwierigste, und deshalb setzte er
sich nachher mit einem leichten Seufzer an die
Arbeit. Also — wie sollte die Geschichte losgehn?
Beim Großkaufmann Friedrichsen ist eine Abend-
gesellschaft. Seine Tochter Brigitte hat als Tisch-
herrn den Regierungsassessor Wachsmut, der zu
der begehrenswerten jungen Dame eine scherz-
hafte Beziehung zu gewinnen wünscht, indem er
ihr ein Vielliebchen anbieten möchte. Beim Nach-
tisch hofft er unter den Mandeln und Nüssen
einen Doppelkern zu finden. Er öffnet zuerst eine
Lambertsnuß — kracks!
LaltI Was war das? Steinbrinck legte die
noch langsame Feder fort. Seltsames Spiel des
Zufalls: der Mann nebenan, dieser Lorenz Lonig,
mußte eben auch eine Nuß geknackt haben. Kracksi
hatte es im Nebenzimmer gemacht. Aber ein
Vielliebchen suchte er dabei wohl nicht; das hätte
auch keinen
Zweck für ihn
gehabt, denn
er hatte je-
denfalls keine
junge Dame
an seiner
Seite. Frau
Tiebusch dul-
dete solche
Besuchenicht.
Dumme Störung! Der Schrift-
steller seufzte wieder und sah
noch einmal die ersten Zeilen
durch. Aber da — — kracks!
machte es nebenan; der Nachbar
hatte wieder eine Nuß geknackt.
Nun ja — an einer Nuß hatte
er nicht genug; das war zu ver-
stehen. Er wollte eben heute mal
ein paar Nüsse knabbern, und das
mußte als eine Ausnahme wohl
hingenommen werden; vielleicht
hatte er Geburtstag. Länger als
eine Viertelstunde würde das
Knacken ja nicht dauern. Stein-
brinck beschloß, so lange mit seiner
Arbeit zu warten. Er sah auf die
Ahr: immer nach drei Minuten
knackte es nebenan. Steinbrinck
wurde nervös vom Aufpassen,
und als seine Loffnung bezüglich
der Viertelstunde sich nicht er-
füllte, der Nußkonsum nebenan
vielmehr weiterging — da schob
er als weiser Mann die Arbeit,
um sich nicht den Anfang seines
Romans zu verpatzen, für heute
fort und nahm ein Buch vor.
Aber er kam auch nicht richtig
zum Lesen, denn weiter und weiter
ging es: kracks — kracks! Alle drei
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sind das indische Elefanten, Mutter?" "Der Gernegroß"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1936
Entstehungsdatum (normiert)
1931 - 1941
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 185.1936, Nr. 4767, S. 372
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg