Zeichnung von E. Croissant
„Sie wundern sich, daß ich mit dem Scherenfernrohr male? Ich war nämlich im Krieg Artilleriebeobachter. — "
„Donnerwetter, da müßten eigentlich Ihre Porträts besser getroffen sein."
Die Freikarte
Von Sans Breiteneichner
Lavemann fand unter seiner Morgenpost ein Rundschreiben der
„Sozialen Gesellschaft der Musikfreunde," in dem es hieß:
„Verehrtes Mitglied! In der Anlage überreichen wir Ihnen die
gewünschten Freikarten für das nächste große Symphoniekonzert.
Wir bitten Sie, die Karten, wie üblich, unbedingt mit Ihrer Anter-
schrift zu versehen, da sie andernfalls keine Gültigkeit haben. Weitere
Freikarten auch für die Oper und sämtliche anderen Theater unserer
Stadt vermittelt Ihnen auf Wunsch sehr gerne unsere Geschäftsstelle.
Ferner erlauben wir uns. Sie noch einmal auf das für folgenden
Donnerstag vorgesehene große Abendessen unserer Gesellschaft im
Lotel „Esplanade" aufmerksam zu machen; auch dafür stehen noch
eine Anzahl Freikarten zur Verfügung."
Lavemann las und las und staunte. Er betrachtete das Schreiben
von allen Seiten, nahm noch einmal den Umschlag zur Land — und
hatte das Rätsel gelöst! Auf dem Umschlag stand nicht Lavemann,
sondern Dr. Sörenson; der Brief war also falsch eingeworfen worden.
Lavemann ließ das Schreiben ein Stockwerk höher zu Dr. Sörenson
bringen, jedoch nicht, ohne sich zuvor die Anschrist und die Telephon-
nummer des Absenders notiert zu haben.
„Was Dr. Sörenson kann, muß auch für mich möglich sein!"
sagte sich Lavemann, denn der Inhalt des Rundschreibens jener
„Sozialen Gesellschaft der Musikfreunde" hatte ihn tief beeindruckt.
Run verstand er plötzlich auch, warum Dr. Sörenson so oft ausgehen
konnte, einmal in ein Konzert, ein anderesmal in die Oper, und
warum er kein Gastspiel der berühmtesten Sänger und Sängerinnen,
der größten Schauspieler, die in die Stadt kamen, versäumte. „Freilich,
wenn Dr. Sörenson für überall hin eine Freikarte bekommt, spielt
es keine Rolle, daß sein Einkommen, wenn auch nicht klein, so doch
wesentlich geringer ist als mein eigenes!" dachte Lavemann.
Auch Lavemann war ein Freund der Musik, hörte gerne schöne
Stimmen, liebte es,sich von der Kunst großer Schauspieler überwältigen
zu lassen, doch kam er jahraus, jahrein in kein Konzert, kein Theater,
weil er ein überaus sparsamer Mann war, selbst die billigsten Plätze
ihm noch zu teuer schienen, und das einzige Vergnügen, das er sich
132
deshalb gönnte, darin bestand, daß er wöchentlich einmal in ein
Konzertkaffee ging und dort den ganzen Abend, bis die letzten Töne
verklungen waren, vor einer einzigen Tasse Kaffee sitzen blieb.
Zunächst telephonierte Lavemann einmal und erkundigte sich, ob eine
besondere Aufnahmegebühr erhoben werden würde, wie hoch der
Mitgliedsbeitrag wäre, und ob man, um Freikarten zu erhalten, eine
bestimmte Wartezeit mit in Kauf nehmen müßte.
Die Auskunft, die Lavemann vom Sekretär der „Sozialen Ge-
sellschaft der Musikfreunde" erhielt, war so günstig, daß er keinen
Augenblick mehr zögerte, seine Aufnahme als Mitglied gleich tele-
phonisch zu beantragen.
„And wie steht es mit den Freikarten für das große Abendessen
am Donnerstag?" fragte er noch.
„Wieviel Stück wünschen Sie, Lerr Lavemann?"
„O, eine genügt!" antwortete Lavemann bescheiden, denn er
wollte nicht als Nimmersatt erscheinen.
And dann kam der ereignisreiche Abend im Lotel „Esplanade".
Schon der festliche Rahmen, die schöne Saaldekoration, die aus-
erlesene Tischmusik versetzten Lavemann in freudiges Staunen; aber
noch größer war seine Aeberraschung beim Anblick der erschienenen
Gäste, denn unter ihnen befanden sich neben solchen, deren Bedürftigkeit
wohl zu erkennen war, auch Persönlichkeiten von Ruf und Ansehen.
„Rein, so etwas!" sagte sich Lavemann im Stillen. „Es ist also
doch wahr, was angeblich „böse" Zungen immer wieder behaupten,
daß die Frei- und Ehrenplätze bei Konzerten, der Oper und im
Theater in der Lauptsache, dank ihrer Beziehungen, von Leuten
eingenommen werden, die sehr leicht auch dafür bezahlen könnten."
Es wurden auch Tischreden gehalten, bei denen besonders hervor-
gehoben wurde, daß die „Soziale Gesellschaft der Musikfreunde" durch
größere Stiftungen in der Lage sei, in Zukunft noch mehr Freikarten
als bisher zu verteilen, wodurch man zu erreichen hoffe, daß das
Interesse für gute Musik, und somit für die Kunst im allgemeinen,
nun wirklich in allen Volksschichten einen mächtigen Auftrieb erhalte.
tFortsetzung Seite 135)
„Sie wundern sich, daß ich mit dem Scherenfernrohr male? Ich war nämlich im Krieg Artilleriebeobachter. — "
„Donnerwetter, da müßten eigentlich Ihre Porträts besser getroffen sein."
Die Freikarte
Von Sans Breiteneichner
Lavemann fand unter seiner Morgenpost ein Rundschreiben der
„Sozialen Gesellschaft der Musikfreunde," in dem es hieß:
„Verehrtes Mitglied! In der Anlage überreichen wir Ihnen die
gewünschten Freikarten für das nächste große Symphoniekonzert.
Wir bitten Sie, die Karten, wie üblich, unbedingt mit Ihrer Anter-
schrift zu versehen, da sie andernfalls keine Gültigkeit haben. Weitere
Freikarten auch für die Oper und sämtliche anderen Theater unserer
Stadt vermittelt Ihnen auf Wunsch sehr gerne unsere Geschäftsstelle.
Ferner erlauben wir uns. Sie noch einmal auf das für folgenden
Donnerstag vorgesehene große Abendessen unserer Gesellschaft im
Lotel „Esplanade" aufmerksam zu machen; auch dafür stehen noch
eine Anzahl Freikarten zur Verfügung."
Lavemann las und las und staunte. Er betrachtete das Schreiben
von allen Seiten, nahm noch einmal den Umschlag zur Land — und
hatte das Rätsel gelöst! Auf dem Umschlag stand nicht Lavemann,
sondern Dr. Sörenson; der Brief war also falsch eingeworfen worden.
Lavemann ließ das Schreiben ein Stockwerk höher zu Dr. Sörenson
bringen, jedoch nicht, ohne sich zuvor die Anschrist und die Telephon-
nummer des Absenders notiert zu haben.
„Was Dr. Sörenson kann, muß auch für mich möglich sein!"
sagte sich Lavemann, denn der Inhalt des Rundschreibens jener
„Sozialen Gesellschaft der Musikfreunde" hatte ihn tief beeindruckt.
Run verstand er plötzlich auch, warum Dr. Sörenson so oft ausgehen
konnte, einmal in ein Konzert, ein anderesmal in die Oper, und
warum er kein Gastspiel der berühmtesten Sänger und Sängerinnen,
der größten Schauspieler, die in die Stadt kamen, versäumte. „Freilich,
wenn Dr. Sörenson für überall hin eine Freikarte bekommt, spielt
es keine Rolle, daß sein Einkommen, wenn auch nicht klein, so doch
wesentlich geringer ist als mein eigenes!" dachte Lavemann.
Auch Lavemann war ein Freund der Musik, hörte gerne schöne
Stimmen, liebte es,sich von der Kunst großer Schauspieler überwältigen
zu lassen, doch kam er jahraus, jahrein in kein Konzert, kein Theater,
weil er ein überaus sparsamer Mann war, selbst die billigsten Plätze
ihm noch zu teuer schienen, und das einzige Vergnügen, das er sich
132
deshalb gönnte, darin bestand, daß er wöchentlich einmal in ein
Konzertkaffee ging und dort den ganzen Abend, bis die letzten Töne
verklungen waren, vor einer einzigen Tasse Kaffee sitzen blieb.
Zunächst telephonierte Lavemann einmal und erkundigte sich, ob eine
besondere Aufnahmegebühr erhoben werden würde, wie hoch der
Mitgliedsbeitrag wäre, und ob man, um Freikarten zu erhalten, eine
bestimmte Wartezeit mit in Kauf nehmen müßte.
Die Auskunft, die Lavemann vom Sekretär der „Sozialen Ge-
sellschaft der Musikfreunde" erhielt, war so günstig, daß er keinen
Augenblick mehr zögerte, seine Aufnahme als Mitglied gleich tele-
phonisch zu beantragen.
„And wie steht es mit den Freikarten für das große Abendessen
am Donnerstag?" fragte er noch.
„Wieviel Stück wünschen Sie, Lerr Lavemann?"
„O, eine genügt!" antwortete Lavemann bescheiden, denn er
wollte nicht als Nimmersatt erscheinen.
And dann kam der ereignisreiche Abend im Lotel „Esplanade".
Schon der festliche Rahmen, die schöne Saaldekoration, die aus-
erlesene Tischmusik versetzten Lavemann in freudiges Staunen; aber
noch größer war seine Aeberraschung beim Anblick der erschienenen
Gäste, denn unter ihnen befanden sich neben solchen, deren Bedürftigkeit
wohl zu erkennen war, auch Persönlichkeiten von Ruf und Ansehen.
„Rein, so etwas!" sagte sich Lavemann im Stillen. „Es ist also
doch wahr, was angeblich „böse" Zungen immer wieder behaupten,
daß die Frei- und Ehrenplätze bei Konzerten, der Oper und im
Theater in der Lauptsache, dank ihrer Beziehungen, von Leuten
eingenommen werden, die sehr leicht auch dafür bezahlen könnten."
Es wurden auch Tischreden gehalten, bei denen besonders hervor-
gehoben wurde, daß die „Soziale Gesellschaft der Musikfreunde" durch
größere Stiftungen in der Lage sei, in Zukunft noch mehr Freikarten
als bisher zu verteilen, wodurch man zu erreichen hoffe, daß das
Interesse für gute Musik, und somit für die Kunst im allgemeinen,
nun wirklich in allen Volksschichten einen mächtigen Auftrieb erhalte.
tFortsetzung Seite 135)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sie wundern sich, daß ich mit dem Scherenfernrohr male?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4909, S. 132
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg