Inge wechselt ihre Stellung D°n W.Lamm°n-->-N-rden
Inge hatte bei dem Preisausschreiben eines Kinos ein Jahres-
abonnement gewonnen. Sie sah sich nun jeden Film an, und wenn
der Film schön war, so sah sie ihn doppelt, es kostete ja nichts. Sie
gewann eine gründliche Kenntnis des in- und ausländischen Films,
und ihr Denken sowie ihr Gefühlsleben wurde durch die allzu zahl-
reiche Besichtigung der Filme umgeformt, wie wir es zum Beispiel
aus der folgenden Geschichte sehen können.
Inge war Stenotypistin bei dem Rechtsanwalt Lannes Sander.
Der Rechtsanwalt hatte ein kleines Büro; außer Ing« war nur
noch ein junger Mann dort angestellt, Lerr Mehls, ein scharfsinni-
ger Jüngling, der sofort entdeckte, daß Inge eine reizende kleine
Person war, und der ihr darum schmachtende Blicke zuwars. Lerr
Mehls war ein netter junger Mann, und eigentlich hätte Inge sich
überfeine Blicke freuenmüffen,
aber — —
Aber Inge betrachtete lieber
das männliche Profil ihres
Chefs. Der war zwar schon
rund vierzig Jahre alt, und
Lerr Mehls mitseinen 28 hätte
viel besser zu Inge gepaßt, aber
Inge sah immer wieder Lerrn
Sander an. So müssen Män-
ner aussehen, das wußte Inge
genau, der Tonfilm hatte ihren
Blick geschärft.
Lannes war sehr nett zu
Inge, er sagte nie ein hartes
Wort, und gelegentlich, nicht
oft, aber doch hin und wieder,
streichelte er ihren blonden
Scheitel. Der Gerechtigkeit
halber muß gesagt werden,
daß Lannes seinen männlichen
Angestellten genau so liebens-
würdig behandelte. (DenSchei-
tel freilich streichelte er ihm
nicht).
Inge wußte vom Film her:
So fängt es an. Lerr Mehls
aber dachte traurig: Wann
hört es aus?
Lannes Sander ahnte nicht,
daß er Unheil und Verwir-
rung im Lerzen seines „ge-
samten Personals" anstistete.
Auch Inge war nämlich
nicht ganz glücklich, weil Lannes Sander fast täglich mit einer Dame
telephonierte, die aus den albernen Namen „Lies" hörte. Aber Inge
tröstete sich mit ihren filmischen Erfahrungen. „Lies" war eben die
Intrigantin, die erst beseitigt werden mußte, ehe das Glück sich aus-
breiten konnte. Sicher war „Lies" sehr mondän und gar nicht herz-
lich, so etwa wie die Damen, die Lilde Lildebrand und Fita Benk-
hoff immer darstellen müssen! —
Eines Tages aber holte jene „Lies" Lerrn Sander im Büro ab,
und da mutzte Inge feststellen, daß „Lies" eine wohlerzogene junge
Dame war, elegant, aber nicht mondän, schön, aber nicht eingebildet.
Das paßte eigentlich in keine Filmschablone. Dann aber erkannte
Inge, daß hier der Fall eingetteten war, in dem es aus eine „Macht-
probe" ankam. Zwei gleichwertige Rivalinnen bekämpften sich (Inge
betrachtete sich als gleichwertig); Inge kündigte ihre Stellung.
Mal sehen, was nun ge-
schah! Lannes war ärgerlich.
Inge jubelte innerlich. Das
hatte sie gewollt. Lannes
sagte: „Eben hat man Sie an-
gelernt, und nun wollen Sie
fort!" Er war ein paar Tage
lang „böse". Aber dann ge-
wöhnte er sich an den Ge-
danken, er verpflichtete für den
nächsten Monat eine neue
Stenotypistin, und Inge nahm
eine Stelle in dem Kinderheim
ihrer Schwester an.
Der Ultimo war da. Lannes
Sander bat Inge und Lerrn
Mehls, am heutigen Sonn-
abend seine Gäste zu sein. Inge
versprach sich viel von diesem
Abend. Ein Besuch in der
Wohnung des Chefs — das
war noch in keinem Film ohne
wesentliche Entscheidung vor-
übergegangen I
Lannes Sander setzte eine
inhaltsreiche und ausgezeich-
nete „Abschiedsbowle" an,
hielt eine kleine Ansprache, in
der er sich und Lerrn Mehls
als die trauernd Zurückbleiben-
den bezeichnete. Dann wurde
getanzt.
Sonderbarerweise war es
Lerr Mehls, der die Initiative
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„Was ein richtiger Monumentalplastiker ist, der kann einfach nicht anders."
Inge hatte bei dem Preisausschreiben eines Kinos ein Jahres-
abonnement gewonnen. Sie sah sich nun jeden Film an, und wenn
der Film schön war, so sah sie ihn doppelt, es kostete ja nichts. Sie
gewann eine gründliche Kenntnis des in- und ausländischen Films,
und ihr Denken sowie ihr Gefühlsleben wurde durch die allzu zahl-
reiche Besichtigung der Filme umgeformt, wie wir es zum Beispiel
aus der folgenden Geschichte sehen können.
Inge war Stenotypistin bei dem Rechtsanwalt Lannes Sander.
Der Rechtsanwalt hatte ein kleines Büro; außer Ing« war nur
noch ein junger Mann dort angestellt, Lerr Mehls, ein scharfsinni-
ger Jüngling, der sofort entdeckte, daß Inge eine reizende kleine
Person war, und der ihr darum schmachtende Blicke zuwars. Lerr
Mehls war ein netter junger Mann, und eigentlich hätte Inge sich
überfeine Blicke freuenmüffen,
aber — —
Aber Inge betrachtete lieber
das männliche Profil ihres
Chefs. Der war zwar schon
rund vierzig Jahre alt, und
Lerr Mehls mitseinen 28 hätte
viel besser zu Inge gepaßt, aber
Inge sah immer wieder Lerrn
Sander an. So müssen Män-
ner aussehen, das wußte Inge
genau, der Tonfilm hatte ihren
Blick geschärft.
Lannes war sehr nett zu
Inge, er sagte nie ein hartes
Wort, und gelegentlich, nicht
oft, aber doch hin und wieder,
streichelte er ihren blonden
Scheitel. Der Gerechtigkeit
halber muß gesagt werden,
daß Lannes seinen männlichen
Angestellten genau so liebens-
würdig behandelte. (DenSchei-
tel freilich streichelte er ihm
nicht).
Inge wußte vom Film her:
So fängt es an. Lerr Mehls
aber dachte traurig: Wann
hört es aus?
Lannes Sander ahnte nicht,
daß er Unheil und Verwir-
rung im Lerzen seines „ge-
samten Personals" anstistete.
Auch Inge war nämlich
nicht ganz glücklich, weil Lannes Sander fast täglich mit einer Dame
telephonierte, die aus den albernen Namen „Lies" hörte. Aber Inge
tröstete sich mit ihren filmischen Erfahrungen. „Lies" war eben die
Intrigantin, die erst beseitigt werden mußte, ehe das Glück sich aus-
breiten konnte. Sicher war „Lies" sehr mondän und gar nicht herz-
lich, so etwa wie die Damen, die Lilde Lildebrand und Fita Benk-
hoff immer darstellen müssen! —
Eines Tages aber holte jene „Lies" Lerrn Sander im Büro ab,
und da mutzte Inge feststellen, daß „Lies" eine wohlerzogene junge
Dame war, elegant, aber nicht mondän, schön, aber nicht eingebildet.
Das paßte eigentlich in keine Filmschablone. Dann aber erkannte
Inge, daß hier der Fall eingetteten war, in dem es aus eine „Macht-
probe" ankam. Zwei gleichwertige Rivalinnen bekämpften sich (Inge
betrachtete sich als gleichwertig); Inge kündigte ihre Stellung.
Mal sehen, was nun ge-
schah! Lannes war ärgerlich.
Inge jubelte innerlich. Das
hatte sie gewollt. Lannes
sagte: „Eben hat man Sie an-
gelernt, und nun wollen Sie
fort!" Er war ein paar Tage
lang „böse". Aber dann ge-
wöhnte er sich an den Ge-
danken, er verpflichtete für den
nächsten Monat eine neue
Stenotypistin, und Inge nahm
eine Stelle in dem Kinderheim
ihrer Schwester an.
Der Ultimo war da. Lannes
Sander bat Inge und Lerrn
Mehls, am heutigen Sonn-
abend seine Gäste zu sein. Inge
versprach sich viel von diesem
Abend. Ein Besuch in der
Wohnung des Chefs — das
war noch in keinem Film ohne
wesentliche Entscheidung vor-
übergegangen I
Lannes Sander setzte eine
inhaltsreiche und ausgezeich-
nete „Abschiedsbowle" an,
hielt eine kleine Ansprache, in
der er sich und Lerrn Mehls
als die trauernd Zurückbleiben-
den bezeichnete. Dann wurde
getanzt.
Sonderbarerweise war es
Lerr Mehls, der die Initiative
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„Was ein richtiger Monumentalplastiker ist, der kann einfach nicht anders."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Photos, die nicht nachbestellt wurden" "Was ein richtiger Monumentalplastiker ist..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 191.1939, Nr. 4918, S. 243
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg