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Malwine fehlt
Lumvrcske von Ursula G. Ptwonka
Es klingelte. Ich ging zur Tür, um zu öffnen. Draußen stand
Professor Bramm aus dem zweiten Stock und sah mich böse an.
„Wo ist Malwine?" sagte er.
Ich erschrak sehr, aber ich zeigte es nicht.
„Das entzieht sich meiner Kenntnis, Lerr Professor," sagte ich,
so höflich ich konnte.
Der Professor schob mich beiseite wie ein lästiges Lindernis. Ehe
ich auch nur den geringsten Protest wagen konnte, öffnete er bereits
die Tür des Arbeitszimmers. Ich ging hinterdrein, was sollte ich tun?
Malwine, hatte er gesagt. Also Malwine hieß sie, die hübsche Kleine.
Ich hatte bisher nur gewußt, daß sie seine Tochter war. And daß
ihr Laar blond war wie ein ganzes Aehrenfeld und ihre klugen —
zärtlich sann ich vor mich hin. Ja, ich war trotz der Morgenfrühe
bereit, mich rosenroten Träumen hinzugeben.
Ein Gepolter aus dem Arbeitszimmer schreckte mich jedoch auf.
Richtig, der Professor. Ich ging ihm nach. Auf den ersten Blick sah
ich, daß sich meine Wohnräume im Anfangsstadium chaotischer Aust
lösung befanden. Der Professor betrieb seine Suche mit gewissenhafter
Gründlichkeit. Anker dem Schreibtisch, hinter dem Schreibtisch, unter
den Sesseln, hinter den Gar-
dinen, zwischen den Büchern
der Bücherregale. Ich ver-
suchte, mir Malwine in die-
sen Lohlräumen vorzustellen,
aber es gelang mir nicht.
Dabei fiel mir plötzlich das
Angewöhnliche dieser Situa-
tion auf. Was war mit dem
Mädchen Malwine eigentlich
los, und warum suchte der
aufgeregte Vater so emsig
bei mir herum?
Der Professor unterbrach
mein innerliches Fragespiel.
„Vor drei Wochen war
sie zwei Tage bei dem Wind-
hund, dem Studenten, in der
Mansarde," sagte er trium-
phierend. „Aber was glauben
Sie, ich habe sie sogar dort
gefunden. — Eine Anver-
schämtheit, er hatte sie abends
einfach mit herausgenom-
men."
Der Student, dieses
grüne Bürschchen? Ich
glaubte, ein Blitz sei neben
26
mir herabgefahren. Aber ich bezwang mich. Ich dachte an meine gute
Kinderstube und sagte daher in wohlgesetzten Worten, daß ich diesen
Vorfall sehr bedauerte.
Der Professor sah mich wohlwollend an.
„Ihre Teilnahme rührt mich, mein Lerr. An Malwtnens Launen
muß man sich nun mal gewöhnen, sie ist ja sonst so ein liebes Ge-
schöpf. Sehen Sie, auch für den Zuckerbäcker drüben hat sie zum Bei-
spiel eine besondere Vorliebe. Der Süßigkeit wegen natürlich, obwohl
das reichlich ungewöhnlich ist."
Ich fand das nicht ungewöhnlich für ein weibliches Wesen, jedoch
ich erwiderte nichts. Der neu aufgetauchte Nebenbuhler in Gestalt
dieses Zuckerbäckers lähmte meine Zunge und brachte den letzten der
rosenroten Träume zum Zerstieben.
Der Professor war inzwischen im angrenzenden Eßzimmer ver-
schwunden. Ich hörte ihn die Vorhänge aufziehen und an den Kak-
teentöpfen rücken. Als ich aus einem leisen Klirren schloß, daß er
den Inhalt der Lausbar einer gründlichen Forschung unterzog, ging
ich ihm nach. Ich bemühte mich trotz allem, ihm liebenswürdig zu-
zulächeln. Zuvorkommend machte ich ihn auf die Schlüssellöcher auf-
merksam und öffnete selbst
die Marmeladendose des
unabgeräumten Frühstücks-
tisches. Als ich auch noch
beflissen die leeren Eierscha-
len umdrehen wollte, hielt
er mich plötzlich am Aermel
fest.
„Junger Mann," sagte er
gramvoll, „treiben Sie nicht
Ihren Spott mit mir. Mal-
wine ist seit vorgestern
verschwunden. Einfach ver-
schwunden, verstehen Sie
dochl"
Ich verstand. Ich verstand
sehr gut, nur was hatte ich
damit zu tun? Ich sagte da-
her, daß ich mir sein Anglück
sehr zu Lerzen nähme, indes-
sen wäre es nicht angebrach-
ter gewesen, zunächst einmal
wieder in der Mansarde zu
suchen?
Der Professor wiegte un-
schlüssig den Kopf.
„Ich glaube nicht, daß sie
wieder dort ist. Denn sehen
„Der Beruf wäre ganz schön, Ilse, wenn
nur die Tasche en bisken schicker wärel"
Malwine fehlt
Lumvrcske von Ursula G. Ptwonka
Es klingelte. Ich ging zur Tür, um zu öffnen. Draußen stand
Professor Bramm aus dem zweiten Stock und sah mich böse an.
„Wo ist Malwine?" sagte er.
Ich erschrak sehr, aber ich zeigte es nicht.
„Das entzieht sich meiner Kenntnis, Lerr Professor," sagte ich,
so höflich ich konnte.
Der Professor schob mich beiseite wie ein lästiges Lindernis. Ehe
ich auch nur den geringsten Protest wagen konnte, öffnete er bereits
die Tür des Arbeitszimmers. Ich ging hinterdrein, was sollte ich tun?
Malwine, hatte er gesagt. Also Malwine hieß sie, die hübsche Kleine.
Ich hatte bisher nur gewußt, daß sie seine Tochter war. And daß
ihr Laar blond war wie ein ganzes Aehrenfeld und ihre klugen —
zärtlich sann ich vor mich hin. Ja, ich war trotz der Morgenfrühe
bereit, mich rosenroten Träumen hinzugeben.
Ein Gepolter aus dem Arbeitszimmer schreckte mich jedoch auf.
Richtig, der Professor. Ich ging ihm nach. Auf den ersten Blick sah
ich, daß sich meine Wohnräume im Anfangsstadium chaotischer Aust
lösung befanden. Der Professor betrieb seine Suche mit gewissenhafter
Gründlichkeit. Anker dem Schreibtisch, hinter dem Schreibtisch, unter
den Sesseln, hinter den Gar-
dinen, zwischen den Büchern
der Bücherregale. Ich ver-
suchte, mir Malwine in die-
sen Lohlräumen vorzustellen,
aber es gelang mir nicht.
Dabei fiel mir plötzlich das
Angewöhnliche dieser Situa-
tion auf. Was war mit dem
Mädchen Malwine eigentlich
los, und warum suchte der
aufgeregte Vater so emsig
bei mir herum?
Der Professor unterbrach
mein innerliches Fragespiel.
„Vor drei Wochen war
sie zwei Tage bei dem Wind-
hund, dem Studenten, in der
Mansarde," sagte er trium-
phierend. „Aber was glauben
Sie, ich habe sie sogar dort
gefunden. — Eine Anver-
schämtheit, er hatte sie abends
einfach mit herausgenom-
men."
Der Student, dieses
grüne Bürschchen? Ich
glaubte, ein Blitz sei neben
26
mir herabgefahren. Aber ich bezwang mich. Ich dachte an meine gute
Kinderstube und sagte daher in wohlgesetzten Worten, daß ich diesen
Vorfall sehr bedauerte.
Der Professor sah mich wohlwollend an.
„Ihre Teilnahme rührt mich, mein Lerr. An Malwtnens Launen
muß man sich nun mal gewöhnen, sie ist ja sonst so ein liebes Ge-
schöpf. Sehen Sie, auch für den Zuckerbäcker drüben hat sie zum Bei-
spiel eine besondere Vorliebe. Der Süßigkeit wegen natürlich, obwohl
das reichlich ungewöhnlich ist."
Ich fand das nicht ungewöhnlich für ein weibliches Wesen, jedoch
ich erwiderte nichts. Der neu aufgetauchte Nebenbuhler in Gestalt
dieses Zuckerbäckers lähmte meine Zunge und brachte den letzten der
rosenroten Träume zum Zerstieben.
Der Professor war inzwischen im angrenzenden Eßzimmer ver-
schwunden. Ich hörte ihn die Vorhänge aufziehen und an den Kak-
teentöpfen rücken. Als ich aus einem leisen Klirren schloß, daß er
den Inhalt der Lausbar einer gründlichen Forschung unterzog, ging
ich ihm nach. Ich bemühte mich trotz allem, ihm liebenswürdig zu-
zulächeln. Zuvorkommend machte ich ihn auf die Schlüssellöcher auf-
merksam und öffnete selbst
die Marmeladendose des
unabgeräumten Frühstücks-
tisches. Als ich auch noch
beflissen die leeren Eierscha-
len umdrehen wollte, hielt
er mich plötzlich am Aermel
fest.
„Junger Mann," sagte er
gramvoll, „treiben Sie nicht
Ihren Spott mit mir. Mal-
wine ist seit vorgestern
verschwunden. Einfach ver-
schwunden, verstehen Sie
dochl"
Ich verstand. Ich verstand
sehr gut, nur was hatte ich
damit zu tun? Ich sagte da-
her, daß ich mir sein Anglück
sehr zu Lerzen nähme, indes-
sen wäre es nicht angebrach-
ter gewesen, zunächst einmal
wieder in der Mansarde zu
suchen?
Der Professor wiegte un-
schlüssig den Kopf.
„Ich glaube nicht, daß sie
wieder dort ist. Denn sehen
„Der Beruf wäre ganz schön, Ilse, wenn
nur die Tasche en bisken schicker wärel"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Beruf wäre ganz schön, Ilse, wenn nur die Tasche ein bisken schicker wäre!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4955, S. 26
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg