C)
Ein Versicherungsgeschäft
Von Peter Robinson
Busenitz ist ein hübscher Ort am Strande der Ostsee, der es in
guten Sommern schon auf 2000 Badegäste gebracht hat. Es sind zwei
Gasthöfe da und ein sogenanntes Fremdenheim, aber die meisten Gäste
mieten sich Zimmer bei den Eingesessenen, für die das eine oft sehr
ersehnte Aufbesserung ihrer Einkünfte ist.
Im Juli braucht dieses Sehnen nicht stark zu sein; da erfüllt es
sich ganz selbstverständlicher Weise. Dann ist in Busenitz auch die
letzte Kammer vermietet, und oft muß man mit Bedauern Fremde
abweisen, die ängstlich den Ort durchirren, „iocum i-eguismqus pe-
tentes“, wie der Lerr Pastor sagt — bis sie dann spät abends mit
der letzten Motorpost in die benachbarte Stadt zurücksahren, um
wenigstens dort in einem Lotel ihre müden Köpfe auf nächtliche Ruhe-
kissen legen zu können — was diese Köpfe gar nicht einmal verdient
haben, denn sie hätten besser überlegen und bedenken sollen, daß man
in der Lauptsaison nicht so aufs Geratewohl in ein kleines Ostsee-
bad mit beschränkten Anterkunftsmöglichkeiten fahren darf.
Im August aber und vollends im September werden in Busenitz
manche Zimmer doch nicht mehr permietet, und jene Busenitzer, die
keine Mieter mehr bekommen haben, ärgern sich dann über die anderen,
die das Nestgeschäft noch mitnehmen können, als hätten diese ihnen
etwas weggenommen, worauf sie selber ebensogut Anspruch gehabt
Hütten. Sie glauben, von einem
ungerechten Schicksal heimgesucht
worden zu sein.
Ungerechtigkeiten des Schicksals
müssen ausgeglichen werden, sagte
sich ein gewisser Emil Kleinbusch,
der vor einigen Jahren nach Buse-
nitz zugezogen war, sich dort am
Ende der Gemarkung ein Läus
chen gebaut hatte und nun von
einer kleinen Rente und der Ver-
tretung einer Feuerversicherung
lebte. Natürlich vermietete er auch
an Badegäste, aber im August
gelang ihm das gewöhnlich nicht
mehr; dazu lag sein Laus zu un-
günstig. Für den Ausgleich der
Schicksalsfälle war er ohnehin
wegen seiner Feuerversich erungen,
und so brachte er im Frühjahr in ■
einer Gemeindeversammlung in
wohl vorbereiteter Rede einen
lange bedachten Antrag vor. Man
müsse eine Art Versicherung schaf-
fen, schlug er vor, gegen den Scha-
den, den einzelne durch Ausfälle
206
beim Zimmervermieten hätten. Wer in der Nachsaison noch vermiete,
habe einen Teil des Mietsgeldes abzuführen zur Entschädigung der
andern, die nicht mehr hätten vermieten können; das gehöre sich über-
haupt für ein ordentliches Gemeinwesen, in dem alle für einander
einzustehen hätten.
Ein Teil der Versammlung fand diesen Antrag vernünftig, ge-
recht und höchst begrüßenswert. Sie drückten sich zwar etwas anders
aus und sagten etwa: „Aber ja! Das ist doch'ne Sache! Endlich wird
das mal zur Sprache gebracht!" Andere aber hielten den Vorschlag
für unvernünftig, ungerecht und keineswegs begrüßenswert. Sie drück-
ten sich aber auch anders aus und sagten etwa: „Aber nein! Das
ist Quatsch! Mit solchem Blödsinn soll man uns nicht kommen!" Das
waren alle jene, deren Läufer günstiger lagen, und die vielleicht auch
freundlichere Zimmer mit besserer Einrichtung zu vergeben hatten.
And da sie in der Mehrzahl waren, und die Minderheit ihre guten
Gründe anerkennen mutzte, wurde Kleinbuschens Antrag als ein tot-
geborenes Kind angesehen, das ohne besondere Feierlichkeit begraben
wurde. Man sprach nicht mehr davon; man ging zur Tagesordnung
über, die in reichlichem Grogtrinken bestand. Denn für Bier war es
um die Zeit noch zu kühl.
Kleinbusch ging nachher zusammen mit Gustav Pittel nach Lause,
der sein nächster Nachbar war
und also gleichfalls in einer für
das Vermieten nicht günstigen
Lage wohnte. Er drückte Klein-
busch seinen Beifall aus zu dem
vernünftigen, gerechten und be-
grüßenswerten Vorschläge, und
beide schimpften dann über das
Verhalten der Majorität und
nannten es eine unbegreifliche
Dämlichkeit, was aber von ihnen
auch nicht gescheit war, denn zu
begreifen war das durchaus.
Schließlich meinte Pittel: „Na,
wenn die Ochsen nicht wollen, kön-
nen wenigstens wir beide das
unter uns ausmachen. Wenn
einer von uns noch in der Nach-
saison vermietet, gibt er dem an-
dern die Lälfte der Miete ab."
Kleinbusch hätte als Versiche-
rungsfachmann eigentlich finden
müssen, daß hier ein Risiko auf zu
wenige Schultern gelegt werden
sollte, aber er hatte sehr viel Grog
getrunken, sah auch in Pittels
„Fanny, wo bleibt mein Essen?" — „Aber, Lerr Rat,
bei Ihnen sieht man doch wirklich, wo es bleibt."
Ein Versicherungsgeschäft
Von Peter Robinson
Busenitz ist ein hübscher Ort am Strande der Ostsee, der es in
guten Sommern schon auf 2000 Badegäste gebracht hat. Es sind zwei
Gasthöfe da und ein sogenanntes Fremdenheim, aber die meisten Gäste
mieten sich Zimmer bei den Eingesessenen, für die das eine oft sehr
ersehnte Aufbesserung ihrer Einkünfte ist.
Im Juli braucht dieses Sehnen nicht stark zu sein; da erfüllt es
sich ganz selbstverständlicher Weise. Dann ist in Busenitz auch die
letzte Kammer vermietet, und oft muß man mit Bedauern Fremde
abweisen, die ängstlich den Ort durchirren, „iocum i-eguismqus pe-
tentes“, wie der Lerr Pastor sagt — bis sie dann spät abends mit
der letzten Motorpost in die benachbarte Stadt zurücksahren, um
wenigstens dort in einem Lotel ihre müden Köpfe auf nächtliche Ruhe-
kissen legen zu können — was diese Köpfe gar nicht einmal verdient
haben, denn sie hätten besser überlegen und bedenken sollen, daß man
in der Lauptsaison nicht so aufs Geratewohl in ein kleines Ostsee-
bad mit beschränkten Anterkunftsmöglichkeiten fahren darf.
Im August aber und vollends im September werden in Busenitz
manche Zimmer doch nicht mehr permietet, und jene Busenitzer, die
keine Mieter mehr bekommen haben, ärgern sich dann über die anderen,
die das Nestgeschäft noch mitnehmen können, als hätten diese ihnen
etwas weggenommen, worauf sie selber ebensogut Anspruch gehabt
Hütten. Sie glauben, von einem
ungerechten Schicksal heimgesucht
worden zu sein.
Ungerechtigkeiten des Schicksals
müssen ausgeglichen werden, sagte
sich ein gewisser Emil Kleinbusch,
der vor einigen Jahren nach Buse-
nitz zugezogen war, sich dort am
Ende der Gemarkung ein Läus
chen gebaut hatte und nun von
einer kleinen Rente und der Ver-
tretung einer Feuerversicherung
lebte. Natürlich vermietete er auch
an Badegäste, aber im August
gelang ihm das gewöhnlich nicht
mehr; dazu lag sein Laus zu un-
günstig. Für den Ausgleich der
Schicksalsfälle war er ohnehin
wegen seiner Feuerversich erungen,
und so brachte er im Frühjahr in ■
einer Gemeindeversammlung in
wohl vorbereiteter Rede einen
lange bedachten Antrag vor. Man
müsse eine Art Versicherung schaf-
fen, schlug er vor, gegen den Scha-
den, den einzelne durch Ausfälle
206
beim Zimmervermieten hätten. Wer in der Nachsaison noch vermiete,
habe einen Teil des Mietsgeldes abzuführen zur Entschädigung der
andern, die nicht mehr hätten vermieten können; das gehöre sich über-
haupt für ein ordentliches Gemeinwesen, in dem alle für einander
einzustehen hätten.
Ein Teil der Versammlung fand diesen Antrag vernünftig, ge-
recht und höchst begrüßenswert. Sie drückten sich zwar etwas anders
aus und sagten etwa: „Aber ja! Das ist doch'ne Sache! Endlich wird
das mal zur Sprache gebracht!" Andere aber hielten den Vorschlag
für unvernünftig, ungerecht und keineswegs begrüßenswert. Sie drück-
ten sich aber auch anders aus und sagten etwa: „Aber nein! Das
ist Quatsch! Mit solchem Blödsinn soll man uns nicht kommen!" Das
waren alle jene, deren Läufer günstiger lagen, und die vielleicht auch
freundlichere Zimmer mit besserer Einrichtung zu vergeben hatten.
And da sie in der Mehrzahl waren, und die Minderheit ihre guten
Gründe anerkennen mutzte, wurde Kleinbuschens Antrag als ein tot-
geborenes Kind angesehen, das ohne besondere Feierlichkeit begraben
wurde. Man sprach nicht mehr davon; man ging zur Tagesordnung
über, die in reichlichem Grogtrinken bestand. Denn für Bier war es
um die Zeit noch zu kühl.
Kleinbusch ging nachher zusammen mit Gustav Pittel nach Lause,
der sein nächster Nachbar war
und also gleichfalls in einer für
das Vermieten nicht günstigen
Lage wohnte. Er drückte Klein-
busch seinen Beifall aus zu dem
vernünftigen, gerechten und be-
grüßenswerten Vorschläge, und
beide schimpften dann über das
Verhalten der Majorität und
nannten es eine unbegreifliche
Dämlichkeit, was aber von ihnen
auch nicht gescheit war, denn zu
begreifen war das durchaus.
Schließlich meinte Pittel: „Na,
wenn die Ochsen nicht wollen, kön-
nen wenigstens wir beide das
unter uns ausmachen. Wenn
einer von uns noch in der Nach-
saison vermietet, gibt er dem an-
dern die Lälfte der Miete ab."
Kleinbusch hätte als Versiche-
rungsfachmann eigentlich finden
müssen, daß hier ein Risiko auf zu
wenige Schultern gelegt werden
sollte, aber er hatte sehr viel Grog
getrunken, sah auch in Pittels
„Fanny, wo bleibt mein Essen?" — „Aber, Lerr Rat,
bei Ihnen sieht man doch wirklich, wo es bleibt."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fanny, wo bleibt mein Essen?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4970, S. 206
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg