Das letzte Zündholz
einzige Zündholz denken. Wenn es versagen sollte? Oskar hätte das
ja verdient, aber die Kinder dürfen doch nicht ohne einen warmen
Frühstückstrank fort. Was macht man nur, was tut man, wie hilft
man sich?
Eine halbe Stunde nach Mitternacht wird Oskar Büsicke aus dem
Schlafe gerüttelt; die Gattin hat ihm etwas mitzuteilen. „Du mußt
di» Weckeruhr auf deinem Nachttisch eine halbe Stunde früher stellen,
Oskar. Ich weiß, was wir machen, wenn das Zündholz nicht brennt.
Dann ziehst du dich an, nimmst eine Zigarette und gehst auf die
Straße. And wenn dann ein Mann vorbeikommt, der gerade raucht,
dann bittest du ihn uin Feuer. And an der Zigarette können wir
dann das Gas anzünden."
„Aber Olga, was phantasierst du da zusammen!"
„Ich phantasiere nicht, ich denke an euer Wohlergehen; ihr sollt
was Warmes zum Frühstück haben."
„Wird sich alles finden, Olga. Nun schlafe doch endlich! Rege
dich doch nicht um das Zündholz auf!"
Büsicke schläft wieder ein. Aber Olga schläft nicht und regt sich
doch um das Zündholz auf. Sie überlegt: vielleicht geht das doch
nicht mit der Zigarette. Man wohnt in einer stillen Straße; da
kommen um 7 Ahr morgens wenig Leute durch, und es ist sehr die
Frage, ob einer von ihnen gerade raucht. Aber was kann man sonst
unternehmen? Wie kommt man zu Feuer, da sich kein wohltätiger
Prometheus finden wird, der es der Familie Büsicke bringt?
Am ein einhalb Ahr wird Oskar Büsicke wieder geweckt. „Oskar,
mir ist was eingefallen. Du hast doch mal ein Feuerzeug gehabt
-wo ist es?"
„Aber Olga — darum weckst du mich! Wir haben doch kein
Benzin im Lause, und das gehört zu einem Feuerzeug."
„Es wird auch ohne Benzin gehen. Wenn man das Feuerzeug
knipsen läßt, gibt es Funken, und die Funken genügen, das Gas zu
entzünden."
„Was du dir alles ausdenkst!" jammert Büficke. „Ich habe keine
Ahnung, wohin das Feuerzeug verkramt sein mag. And Funken
gibt das Ding längst nicht mehr. Nun schlafe doch endlich! Vielleicht
träumst du von Feuer — das bedeutet Glück."
Bald schlummert er wieder. Aber Olga tut das nicht. Sie will
gar nicht von Feuer träumen; sie will wissen, wie sie wirkliches Feuer
erhalten kann. Wie erreicht man das? Was kann man dazu anstellen?
Es ist ein halb auf drei Ahr, da wird Büsicke wieder dem Schlum-
mer entrissen. „Ich weiß, was wir machen, Oskar, wenn das Zünd-
Holz nicht brennt. Ich habe mal von einer Gasexplosion gelesen.
Da war Gas ausgeströmt, und dann schaltete jemand das elektrische
Licht ein, und dabei gab es im Schalter einen Funken, und das Gas
entzündete sich."
„Was redest du für einen Ansinn mitten in der Nacht, Olga!
Sollen wir die ganze Küche mit Gas füllen?"
„Aber nein! Du nimmst einfach zwei alte elektrische Drähte. Die
einen Enden steckst du in den Steckkontakt in der Küche, und die
andern Enden hältst du über den Gasherd und bringst fie dann zu-
sammen. Dann muß es doch einen Funken geben."
„Iawoll! And dann ist die Sicherung durchgebrannt, und wir
sitzen im Dunkeln. Du hast keine Ahnung von Elektrotechnik. Jetzt
wird aber endlich geschlafen; wir müssen doch unsere Ruhe haben."
„Du hast ja zwischendurch immer ganz fest geschlafen, Oskar.
Aber ich habe keine Ruhe gehabt. And wer ist schuld? Doch bloß
du! Weil du nur das eine Zündholz übrig gelassen hast."
Oskar will die Schuldfrage nicht erörtert wissen; er zieht sich die
Bettdecke über den Kopf und schläft wirklich wieder ein. Aber nach
einer Stunde ist die Decke längst wieder heruntergerutscht, und nun
wacht er von selbst auf: die Gattin hat die Lampe auf ihrem Nacht-
tisch eingeschaltet und sitzt aufrecht im Bett. „Ich kann nicht schlafen,
Oskar. Es ist mir ganz unmöglich. Ich muß erst wissen, ob das
Zündholz brennt. Das wollen wir jetzt beide probiere». Steh' auf,
Oskar!"
„Das ist doch Blödsinn! Du brauchst die Gasflamme doch
erst zum Frühstück."
„Wenn das Zündholz brennt, wird sie gleich angesteckt. And
dann stelle ich sie ganz klein; da wird sehr wenig Gas ver-
braucht. And ich setze einen großen Topf mit Wasser auf; das
wird dann ganz allmählich warm. And dann kann ich schlafen."
Oskar sieht keine Möglichkeit, den Entschluß der Gattin zu
beugen. Er will nun auch seine Lampe einschalten, fuhrwerkt
dabei schlaftrunken auf dem Nachttisch herum, und klatsch —
da ist etwas auf den Boden gefallen.
„Was hast du 'runtergeworfen, Oskar?"
Büsicke sieht nach. „Limmeldonnerwetter!" flucht er.
„Was ist es denn?"
„Streichhölzer!" erklärt Oskar kleinlaut. „Meine Schachtel!
Als ich nach Lause kam und mich hier umzog, habe ich sie aus
der Rocktasche genommen und erst mal auf den Nachttisch ge-
legt. And dann habe ich wohl mein Taschentuch 'rübergelegt.
Das hatte ich ganz vergessen."
Frau Büsicke schaltet ihre Lampe aus und dreht sich um,
gewiß, nun endlich schlafen zu können. Aber jetzt kann Oskar
Büsicke vor Aerger nicht wieder einschlafen. Dagegen soll Zählen
helfen. Er fängt an, zu zählen, wieviel Pakete Zündhölzer er für
den Laushalt kaufen wird. „Ich werde ein Paket kaufen, zwei
Pakete, drei — vier — fünf — sechs-" And als Büsicke
bei 327 Paketen angelangt ist, schläft auch er ein.
^3eim Krämer Blasius wird über die Nachbarschaft ge-
schwatzt, meist allerlei Schlechtes. Aber über den alten Lerrn
Dietzel, der gleich um die Ecke wohnt, ist man im Lobe einig.
Ja, das ist eine Seele von Mensch!
„Der kann keiner Fliege was zuleide tun!" rühmt der
Krämer Blasius.
Da gerade kommt der alte Dietzel herein. And er bittet:
„Geben Sie mir doch drei Stück Fliegenfänger, Lerr Blasius!"
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einzige Zündholz denken. Wenn es versagen sollte? Oskar hätte das
ja verdient, aber die Kinder dürfen doch nicht ohne einen warmen
Frühstückstrank fort. Was macht man nur, was tut man, wie hilft
man sich?
Eine halbe Stunde nach Mitternacht wird Oskar Büsicke aus dem
Schlafe gerüttelt; die Gattin hat ihm etwas mitzuteilen. „Du mußt
di» Weckeruhr auf deinem Nachttisch eine halbe Stunde früher stellen,
Oskar. Ich weiß, was wir machen, wenn das Zündholz nicht brennt.
Dann ziehst du dich an, nimmst eine Zigarette und gehst auf die
Straße. And wenn dann ein Mann vorbeikommt, der gerade raucht,
dann bittest du ihn uin Feuer. And an der Zigarette können wir
dann das Gas anzünden."
„Aber Olga, was phantasierst du da zusammen!"
„Ich phantasiere nicht, ich denke an euer Wohlergehen; ihr sollt
was Warmes zum Frühstück haben."
„Wird sich alles finden, Olga. Nun schlafe doch endlich! Rege
dich doch nicht um das Zündholz auf!"
Büsicke schläft wieder ein. Aber Olga schläft nicht und regt sich
doch um das Zündholz auf. Sie überlegt: vielleicht geht das doch
nicht mit der Zigarette. Man wohnt in einer stillen Straße; da
kommen um 7 Ahr morgens wenig Leute durch, und es ist sehr die
Frage, ob einer von ihnen gerade raucht. Aber was kann man sonst
unternehmen? Wie kommt man zu Feuer, da sich kein wohltätiger
Prometheus finden wird, der es der Familie Büsicke bringt?
Am ein einhalb Ahr wird Oskar Büsicke wieder geweckt. „Oskar,
mir ist was eingefallen. Du hast doch mal ein Feuerzeug gehabt
-wo ist es?"
„Aber Olga — darum weckst du mich! Wir haben doch kein
Benzin im Lause, und das gehört zu einem Feuerzeug."
„Es wird auch ohne Benzin gehen. Wenn man das Feuerzeug
knipsen läßt, gibt es Funken, und die Funken genügen, das Gas zu
entzünden."
„Was du dir alles ausdenkst!" jammert Büficke. „Ich habe keine
Ahnung, wohin das Feuerzeug verkramt sein mag. And Funken
gibt das Ding längst nicht mehr. Nun schlafe doch endlich! Vielleicht
träumst du von Feuer — das bedeutet Glück."
Bald schlummert er wieder. Aber Olga tut das nicht. Sie will
gar nicht von Feuer träumen; sie will wissen, wie sie wirkliches Feuer
erhalten kann. Wie erreicht man das? Was kann man dazu anstellen?
Es ist ein halb auf drei Ahr, da wird Büsicke wieder dem Schlum-
mer entrissen. „Ich weiß, was wir machen, Oskar, wenn das Zünd-
Holz nicht brennt. Ich habe mal von einer Gasexplosion gelesen.
Da war Gas ausgeströmt, und dann schaltete jemand das elektrische
Licht ein, und dabei gab es im Schalter einen Funken, und das Gas
entzündete sich."
„Was redest du für einen Ansinn mitten in der Nacht, Olga!
Sollen wir die ganze Küche mit Gas füllen?"
„Aber nein! Du nimmst einfach zwei alte elektrische Drähte. Die
einen Enden steckst du in den Steckkontakt in der Küche, und die
andern Enden hältst du über den Gasherd und bringst fie dann zu-
sammen. Dann muß es doch einen Funken geben."
„Iawoll! And dann ist die Sicherung durchgebrannt, und wir
sitzen im Dunkeln. Du hast keine Ahnung von Elektrotechnik. Jetzt
wird aber endlich geschlafen; wir müssen doch unsere Ruhe haben."
„Du hast ja zwischendurch immer ganz fest geschlafen, Oskar.
Aber ich habe keine Ruhe gehabt. And wer ist schuld? Doch bloß
du! Weil du nur das eine Zündholz übrig gelassen hast."
Oskar will die Schuldfrage nicht erörtert wissen; er zieht sich die
Bettdecke über den Kopf und schläft wirklich wieder ein. Aber nach
einer Stunde ist die Decke längst wieder heruntergerutscht, und nun
wacht er von selbst auf: die Gattin hat die Lampe auf ihrem Nacht-
tisch eingeschaltet und sitzt aufrecht im Bett. „Ich kann nicht schlafen,
Oskar. Es ist mir ganz unmöglich. Ich muß erst wissen, ob das
Zündholz brennt. Das wollen wir jetzt beide probiere». Steh' auf,
Oskar!"
„Das ist doch Blödsinn! Du brauchst die Gasflamme doch
erst zum Frühstück."
„Wenn das Zündholz brennt, wird sie gleich angesteckt. And
dann stelle ich sie ganz klein; da wird sehr wenig Gas ver-
braucht. And ich setze einen großen Topf mit Wasser auf; das
wird dann ganz allmählich warm. And dann kann ich schlafen."
Oskar sieht keine Möglichkeit, den Entschluß der Gattin zu
beugen. Er will nun auch seine Lampe einschalten, fuhrwerkt
dabei schlaftrunken auf dem Nachttisch herum, und klatsch —
da ist etwas auf den Boden gefallen.
„Was hast du 'runtergeworfen, Oskar?"
Büsicke sieht nach. „Limmeldonnerwetter!" flucht er.
„Was ist es denn?"
„Streichhölzer!" erklärt Oskar kleinlaut. „Meine Schachtel!
Als ich nach Lause kam und mich hier umzog, habe ich sie aus
der Rocktasche genommen und erst mal auf den Nachttisch ge-
legt. And dann habe ich wohl mein Taschentuch 'rübergelegt.
Das hatte ich ganz vergessen."
Frau Büsicke schaltet ihre Lampe aus und dreht sich um,
gewiß, nun endlich schlafen zu können. Aber jetzt kann Oskar
Büsicke vor Aerger nicht wieder einschlafen. Dagegen soll Zählen
helfen. Er fängt an, zu zählen, wieviel Pakete Zündhölzer er für
den Laushalt kaufen wird. „Ich werde ein Paket kaufen, zwei
Pakete, drei — vier — fünf — sechs-" And als Büsicke
bei 327 Paketen angelangt ist, schläft auch er ein.
^3eim Krämer Blasius wird über die Nachbarschaft ge-
schwatzt, meist allerlei Schlechtes. Aber über den alten Lerrn
Dietzel, der gleich um die Ecke wohnt, ist man im Lobe einig.
Ja, das ist eine Seele von Mensch!
„Der kann keiner Fliege was zuleide tun!" rühmt der
Krämer Blasius.
Da gerade kommt der alte Dietzel herein. And er bittet:
„Geben Sie mir doch drei Stück Fliegenfänger, Lerr Blasius!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gleichgültig"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5024, S. 308
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg