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Wohnung
nicht aus ihrem Lehnstuhl heraus, — das verfluchte Podagra!"
Damit zog er die jungen Leute in sein Zimmer. Die alte
Frau reichte Beiden von ihrem Stuhle aus die Haud. Franken-
berger stellte sich in Positur und sagte zu Müller: „Vou der gnä-
digen Frau Mama habe ich viele herzliche Grüße auszurichten,
dasselbe von Ihrem Herrn Bruder, der Ihne» besonders sagen
läßt, Sie sollen sich nicht viel darum scheeren — entschuldigen
schon, es sind seine eigenen Worte — wenn auch der alte Herr
ein wenig schimpft, er sei schon wieder ganz gut und ich soll
Sie nur wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen."
Der Hauptmann hatte einige Male „Bravo!" und „so
ist's recht!" dazwischen gerufen. Müller konnte vor Freude
nichts anderes Hervorbringen, als: „Ich danke Ihnen!" und
drückte dem Musterrciscnden herzlich die Hand.
Der Hauptmann ließ den Tisch decken für das Abendessen
und setzte Cigarren, Pfeifen und Tabak zurecht, Frankenberger
erhob sich und sagte: „Erlauben Sic, daß ich mich vor allem
Andern eines speziellen Auftrages au Sie, Herr Hauptmann,
entledige." Er nahm aus seinem Reisekoffer ein großes, zierliches
Etui und überreichte es ihm mit den Worten: „Die gnädige
Frau bittet Sie, dies als ein kleines Andenken von ihr anzu-
nehmen für die freundliche Aufnahme, die Sie ihrem Herrn
Sohne gewährten."
Der Hauptmann machte große Augen, war aber sprachlos,
als er das Etui öffnete, und darin ein Prachtstück von einer
Mecrschaumpfeife erblickte.
„Ah, ah!" rief er voll Staunen, „das ist zu viel! das
kann ich nicht annehmen!"
„Doch, doch, Herr Hauptmann", sprach Müller, „ich danke
Ihnen vielleicht mein ganzes Lebcnsglück!"
Der Hauptmann war verlegen, konnte endlich seine Bewe-
gung nicht länger unterdrücken, schloß den jungen Mann stürmisch
in seine Arme und ries: „Herr Gott! warum hast du mir
nicht auch so einen Sohn gegeben! Herr'Frankenbergcr, sagen
Sie cs seinem Vater, daß ich ihn nicht um seinen Rcichthum,
nein! nur um seinen Sohn beneide!" Die alte Frau konnte
nichts, als weinen, und so blieben diese vier Personen noch
lange beisammen sitzen im traulichen Gespräche. Frankenbergcr
erzählte von seinen Kreuz- und Qucrfahrten bei Auslösung der
verschiedenen Effekten; nur konnte er auf Müllers Fragen über
seine Angelegenheit mit Augusten keine Auskunft geben, denn er
^ war schon 14 Tage vom Hause entfernt, und sein Chef hatte ihm
auch über die ganze Correspondenz gar keine Mitthcilung gemacht.
Die Gesellschaft suchte endlich die Ruhe, die freilich Müller
nicht finden konnte; denn mit banger Erwartung sah er dem
! Morgen entgegen.
Gern hätte er gewartet, bis er über seine Werbung Nach-
richt vom Hause erhalten. Da diese aber so lange ausblieb, so
! war er entschlossen, wenigstens vorläufig auch bei der Tante
j seinen Mtrag vorzubringen. Er machte sorgfältig Toilette, und
ging mit klopfendem Herzen hinüber. Ueberrascht war die Tante,
als sie ihn bei sich eintreten sah, und man konnte nicht entscheiden,
ob cs eine angenehme oder unangenehme Ueberraschung war. Sic
hotte sich Müller als einen ärmlichen, hcrnmzichendeu Comö-
4
snoth.
diantcn vorgestcllt, und sich darnach ihr Benehmen gegen ihn vor-
gcnommen; sie wollte ihm zwar mit aller möglichen Schonung,
aber doch entschieden zu verstehen geben, daß trotz des unglück-
lichen Zusammentreffens keine weiteren Beziehungen zwischen ihm
und Augusten stattfinden könnten; ja sie hatte sich sogar vor-
gcnommen, ein bedeutendes Geldopfcr zu bringen, wenn sie dem
jungen Manne, dem sie sich doch zu Dank verpflichtet fühlte,
irgend wie damit nützlich sein könnte.
Müller erschien ihr aber jetzt wie ein Cavalier. Sie
wurde verlegen und wußte nach den ersten Begrüßungen nicht,
wie sic das Gespräch fortsctzen solle.
Müller fühlte selbst ihre Verlegenheit und deren Ursache,
aber seinem männlichen Bewußtsein widerstrebte es, auf die
fragenden Blicke, die sic auf ihn richtete, Antwort zu geben.
„Wie befindet sich das Fräulein?" fragte er endlich so
unbefangen als möglich.
„Ich danke Ihnen, sic hat es Gott Lob überstandcn,
heute darf sie zum ersten Male anfstehen."
„Dann darf ich vielleicht hoffen", cutgcgnctc Müller, „ihr
bald vorgestellt zu werden, um ihr meine innigsten Glückwünsche
zu ihrer Genesung darzubringen?"
Die Tante wurde wieder sehr verlegen und sagte: „Nun
ja — das heißt, — ich weiß nicht, was der Doktor — Sie
entschuldigen schon, — erlauben Sic, daß ich ganz offen mit
Ihnen spreche?"
Müller, etwas unangenehm berührt, erwiderte: „Ich bitte
recht sehr darum."
„Daun verzeihen Sie", cutgcgnete mit zitternder Stimme
die Tante, „daß ich Sic bitten muß, das Interesse, das
Sie vielleicht an meiner Nichte nehmen, nur als ein vorüber-
gehendes zu betrachten; denn Augnstens Vater ist ein strenger,
unbeugsamer Charakter, und Sie werden daher als Ehren-
mann wissen, was Sie zu thuu und zu lassen haben, wenn
ich Ihnen sage, daß Auguste bereits verlobt ist."
(Schluß folgt.)
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Wohnung
nicht aus ihrem Lehnstuhl heraus, — das verfluchte Podagra!"
Damit zog er die jungen Leute in sein Zimmer. Die alte
Frau reichte Beiden von ihrem Stuhle aus die Haud. Franken-
berger stellte sich in Positur und sagte zu Müller: „Vou der gnä-
digen Frau Mama habe ich viele herzliche Grüße auszurichten,
dasselbe von Ihrem Herrn Bruder, der Ihne» besonders sagen
läßt, Sie sollen sich nicht viel darum scheeren — entschuldigen
schon, es sind seine eigenen Worte — wenn auch der alte Herr
ein wenig schimpft, er sei schon wieder ganz gut und ich soll
Sie nur wohlbehalten wieder mit nach Hause bringen."
Der Hauptmann hatte einige Male „Bravo!" und „so
ist's recht!" dazwischen gerufen. Müller konnte vor Freude
nichts anderes Hervorbringen, als: „Ich danke Ihnen!" und
drückte dem Musterrciscnden herzlich die Hand.
Der Hauptmann ließ den Tisch decken für das Abendessen
und setzte Cigarren, Pfeifen und Tabak zurecht, Frankenberger
erhob sich und sagte: „Erlauben Sic, daß ich mich vor allem
Andern eines speziellen Auftrages au Sie, Herr Hauptmann,
entledige." Er nahm aus seinem Reisekoffer ein großes, zierliches
Etui und überreichte es ihm mit den Worten: „Die gnädige
Frau bittet Sie, dies als ein kleines Andenken von ihr anzu-
nehmen für die freundliche Aufnahme, die Sie ihrem Herrn
Sohne gewährten."
Der Hauptmann machte große Augen, war aber sprachlos,
als er das Etui öffnete, und darin ein Prachtstück von einer
Mecrschaumpfeife erblickte.
„Ah, ah!" rief er voll Staunen, „das ist zu viel! das
kann ich nicht annehmen!"
„Doch, doch, Herr Hauptmann", sprach Müller, „ich danke
Ihnen vielleicht mein ganzes Lebcnsglück!"
Der Hauptmann war verlegen, konnte endlich seine Bewe-
gung nicht länger unterdrücken, schloß den jungen Mann stürmisch
in seine Arme und ries: „Herr Gott! warum hast du mir
nicht auch so einen Sohn gegeben! Herr'Frankenbergcr, sagen
Sie cs seinem Vater, daß ich ihn nicht um seinen Rcichthum,
nein! nur um seinen Sohn beneide!" Die alte Frau konnte
nichts, als weinen, und so blieben diese vier Personen noch
lange beisammen sitzen im traulichen Gespräche. Frankenbergcr
erzählte von seinen Kreuz- und Qucrfahrten bei Auslösung der
verschiedenen Effekten; nur konnte er auf Müllers Fragen über
seine Angelegenheit mit Augusten keine Auskunft geben, denn er
^ war schon 14 Tage vom Hause entfernt, und sein Chef hatte ihm
auch über die ganze Correspondenz gar keine Mitthcilung gemacht.
Die Gesellschaft suchte endlich die Ruhe, die freilich Müller
nicht finden konnte; denn mit banger Erwartung sah er dem
! Morgen entgegen.
Gern hätte er gewartet, bis er über seine Werbung Nach-
richt vom Hause erhalten. Da diese aber so lange ausblieb, so
! war er entschlossen, wenigstens vorläufig auch bei der Tante
j seinen Mtrag vorzubringen. Er machte sorgfältig Toilette, und
ging mit klopfendem Herzen hinüber. Ueberrascht war die Tante,
als sie ihn bei sich eintreten sah, und man konnte nicht entscheiden,
ob cs eine angenehme oder unangenehme Ueberraschung war. Sic
hotte sich Müller als einen ärmlichen, hcrnmzichendeu Comö-
4
snoth.
diantcn vorgestcllt, und sich darnach ihr Benehmen gegen ihn vor-
gcnommen; sie wollte ihm zwar mit aller möglichen Schonung,
aber doch entschieden zu verstehen geben, daß trotz des unglück-
lichen Zusammentreffens keine weiteren Beziehungen zwischen ihm
und Augusten stattfinden könnten; ja sie hatte sich sogar vor-
gcnommen, ein bedeutendes Geldopfcr zu bringen, wenn sie dem
jungen Manne, dem sie sich doch zu Dank verpflichtet fühlte,
irgend wie damit nützlich sein könnte.
Müller erschien ihr aber jetzt wie ein Cavalier. Sie
wurde verlegen und wußte nach den ersten Begrüßungen nicht,
wie sic das Gespräch fortsctzen solle.
Müller fühlte selbst ihre Verlegenheit und deren Ursache,
aber seinem männlichen Bewußtsein widerstrebte es, auf die
fragenden Blicke, die sic auf ihn richtete, Antwort zu geben.
„Wie befindet sich das Fräulein?" fragte er endlich so
unbefangen als möglich.
„Ich danke Ihnen, sic hat es Gott Lob überstandcn,
heute darf sie zum ersten Male anfstehen."
„Dann darf ich vielleicht hoffen", cutgcgnctc Müller, „ihr
bald vorgestellt zu werden, um ihr meine innigsten Glückwünsche
zu ihrer Genesung darzubringen?"
Die Tante wurde wieder sehr verlegen und sagte: „Nun
ja — das heißt, — ich weiß nicht, was der Doktor — Sie
entschuldigen schon, — erlauben Sic, daß ich ganz offen mit
Ihnen spreche?"
Müller, etwas unangenehm berührt, erwiderte: „Ich bitte
recht sehr darum."
„Daun verzeihen Sie", cutgcgnete mit zitternder Stimme
die Tante, „daß ich Sic bitten muß, das Interesse, das
Sie vielleicht an meiner Nichte nehmen, nur als ein vorüber-
gehendes zu betrachten; denn Augnstens Vater ist ein strenger,
unbeugsamer Charakter, und Sie werden daher als Ehren-
mann wissen, was Sie zu thuu und zu lassen haben, wenn
ich Ihnen sage, daß Auguste bereits verlobt ist."
(Schluß folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1482, S. 187
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg