Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst-
17. Handlungen, sowie von allen Postämtern und
Zeitungsexpeditionen angenommen.
Erscheinen wöchentlich ein Mal. Preis des Bandes
(26 Nummern) 6 Mark 70 Ps., excl. Porto bei Ad. LXII.
directem Bezüge. Einzelne Nummern 30 Psennige.
Eine Virtuosin.
Von Ludwig Kalisch.
I.
Ihr Vater nannte sich Bretzel; ihre Mutter wollte aber
durchaus einen romantischen Vornamen für ihre Tochter, und da
der Wunsch der Mutter für den Vater strenger Befehl war, so
hieß die Tochter Hulda Bretzel. Was nun den Vater Bretzel
betrifft, so war er ein Musikus von entschiedenem Talent; aber
er spielte ein Instrument, das noch Niemanden zum Millionär
gemacht — die Clarinctte nämlich.
Es heißt, man soll dem Glück die Thüre öffnen. Nun
gar mancher redliche Mann öffnet dem Glück die Thüre; das
dumme Glück aber, statt durch die geöffnete Thüre bequem in
die Wohnung des redlichen Mannes zu treten, klettert durch
die Fenster des ehrlosen Nachbars und schüttelt ihm aus dem
Füllhorn die schönsten irdischen Gaben in den Schooß.
Es heißt auch, man soll die Gelegenheit beim Schopfe
fassen. Wenn aber die Gelegenheit nicht kommt, wie kann man
sich dann, ihres Schopfes bemächtigen? —
Der arme Bretzel hatte sich's in seiner Jugend sauer wer-
den lassen, um es zu etwas zu bringen. Er blies sich an
seiner Clarinctte fast den Athcm aus. Er brachte es aber zu
nichts als zu einer Frau, die ihm nichts mitbrachte als tausend
Ansprüche und doppelt so viel böse Launen, ohne dieselben durch
irgend einen Reiz nur einigermaßen erträglich zu machen. Sie
war mager wie eine Schiefertafel, hatte tief liegende, stechende
graue Augen, zwischen welchen eine lange Nase spitz wie ein
Küchenmesser zulief, einep Mund, der nicht zierlicher geschlitzt
war als die Oeffnung einer Sparbüchse und aus welchem meh-
rere schiefe Zähne wie bemooste Leichensteine aus einem Gottes-
acker blickten. Sie war aber sehr schlau und verschmitzt und
wußte den armen Bretzel durch schön ausgemalte Hoffnungen
auf die Freuden der Ehe so zu berücken, daß er sie an den
Traualtar führte.
Die Frucht dieser Ehe war Hulda.
Kaum hatte diese das Licht der Welt erblickt, als ihre
Mutter erklärte, das Licht der Welt habe niemals ein schöneres
Kind beleuchtet und sie vergaß auch nicht dabei zu bemerken,
daß es der Mutter und nicht dem Vater ähnlich sähe; ja, das
kleine Huldchen hatte noch nicht de» ersten Geburtstag erlebt,
als die Mutter schon steif und fest behauptete, es verrathe ein
entschiedenes musikalisches Talent; es horche aufmerksam auf den
Gesang des Kanarienvogels, der in seinem Bauer lustig trillerte
und ans die Pianotöne, die in der Nachbarschaft schrillten; und
17. Handlungen, sowie von allen Postämtern und
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Erscheinen wöchentlich ein Mal. Preis des Bandes
(26 Nummern) 6 Mark 70 Ps., excl. Porto bei Ad. LXII.
directem Bezüge. Einzelne Nummern 30 Psennige.
Eine Virtuosin.
Von Ludwig Kalisch.
I.
Ihr Vater nannte sich Bretzel; ihre Mutter wollte aber
durchaus einen romantischen Vornamen für ihre Tochter, und da
der Wunsch der Mutter für den Vater strenger Befehl war, so
hieß die Tochter Hulda Bretzel. Was nun den Vater Bretzel
betrifft, so war er ein Musikus von entschiedenem Talent; aber
er spielte ein Instrument, das noch Niemanden zum Millionär
gemacht — die Clarinctte nämlich.
Es heißt, man soll dem Glück die Thüre öffnen. Nun
gar mancher redliche Mann öffnet dem Glück die Thüre; das
dumme Glück aber, statt durch die geöffnete Thüre bequem in
die Wohnung des redlichen Mannes zu treten, klettert durch
die Fenster des ehrlosen Nachbars und schüttelt ihm aus dem
Füllhorn die schönsten irdischen Gaben in den Schooß.
Es heißt auch, man soll die Gelegenheit beim Schopfe
fassen. Wenn aber die Gelegenheit nicht kommt, wie kann man
sich dann, ihres Schopfes bemächtigen? —
Der arme Bretzel hatte sich's in seiner Jugend sauer wer-
den lassen, um es zu etwas zu bringen. Er blies sich an
seiner Clarinctte fast den Athcm aus. Er brachte es aber zu
nichts als zu einer Frau, die ihm nichts mitbrachte als tausend
Ansprüche und doppelt so viel böse Launen, ohne dieselben durch
irgend einen Reiz nur einigermaßen erträglich zu machen. Sie
war mager wie eine Schiefertafel, hatte tief liegende, stechende
graue Augen, zwischen welchen eine lange Nase spitz wie ein
Küchenmesser zulief, einep Mund, der nicht zierlicher geschlitzt
war als die Oeffnung einer Sparbüchse und aus welchem meh-
rere schiefe Zähne wie bemooste Leichensteine aus einem Gottes-
acker blickten. Sie war aber sehr schlau und verschmitzt und
wußte den armen Bretzel durch schön ausgemalte Hoffnungen
auf die Freuden der Ehe so zu berücken, daß er sie an den
Traualtar führte.
Die Frucht dieser Ehe war Hulda.
Kaum hatte diese das Licht der Welt erblickt, als ihre
Mutter erklärte, das Licht der Welt habe niemals ein schöneres
Kind beleuchtet und sie vergaß auch nicht dabei zu bemerken,
daß es der Mutter und nicht dem Vater ähnlich sähe; ja, das
kleine Huldchen hatte noch nicht de» ersten Geburtstag erlebt,
als die Mutter schon steif und fest behauptete, es verrathe ein
entschiedenes musikalisches Talent; es horche aufmerksam auf den
Gesang des Kanarienvogels, der in seinem Bauer lustig trillerte
und ans die Pianotöne, die in der Nachbarschaft schrillten; und
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Virtuosin"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)