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Mesalliance.

ein fühlendes Herz, welches um so rascher und stärker entflammt
wird, als ihm nur wenige Tage zu schlagen vergönnt ist. Wie
schön singt in der Ahnung seines nahen vorzeitigen Endes einer
unsrer Dichter, der unglückliche geniale Apfelblüthfresser, der im
Duell mit einem Mistkäfer allzufrühen Tod fand:

„Gestern Engerling,

Heute Maikäfer,

Morgen Dünger!"

In welch' treffender Kürze und duftiger Poesie ist in diesem
Ausspruch der ganze Jammer des Maikäferdaseins zusammen-
gefaßt!

Ich fahre nun fort, den Roman meines Lebens zu er-
zählen. Im Erdgeschoß einer Kastanienblütheupyramide saß eine
Maiküferjungfrau in tiefes Sinnen versunken, mit den feinen
Kiefern ein junges Blättchen kauend. Wie schön war sie! Ihre
braunen Flügeldecken, welche, leicht erhoben, die zartesten in
Regenbogenfarben spielenden, träumerisch auf- und abwogenden
Flügelchen mehr errathen, als sehen ließen, glänzten im Wider-
schein der Abendsonne wie flüssiges Gold. Die Fühlhörner
schienen aus den feinsten Spinncnfäden gestickt und die großen
dunkeln seelenvoll hervorqucllenden Augen blickten schwärmerisch
in die Weite. Drei ihrer schlanken Füßchen plätscherten graziös
in einem Tropfen Thau, während die übrigen sich in den weichen
Sammt eines Blüthenteppichs vergraben hatten.

Mein Herz pochte stürmisch — mit einem Schlage war
die Liebe mit überwältigender Macht über mich gekommen; wir
kurzlebigen Maikäfer brauchen nicht, wie viele Menschenkinder,
Monate und Jahre, bis wir unsere Liebe gewahr werden . . .

Das Mädchen hatte mich noch nicht bemerkt. Rach rascher
Mäikäferart ließ ich mich galant auf vier Knice vor ihr nieder,
nahm der Ueberraschten sanft das grüne Blatt aus dem Mäulchen
und summte, indem ich ihr ein unterwegs gepflücktes Maiglöckchen
zwischen die schwarzen Lippen schob, mit bebendem Ton: „Nicht
ziemt es sich, daß solche Schönheit von so gemeiner Kost sich
nährt; nimm' dieses Lenzblümchen, cs ist ein Deiner würdiges
Futter und nimm' zugleich mein Herz und meinen Fuß an!"

O mit welcher Anmuch, mit ivelch' holder Verwirrung
blickte mich nach dieser leidenschaftlichen Erklärung die Liebliche
an, indem sie schweigend das Maiglöckchen fraß. Was wir
Plauderten, als die Süße endlich zu Worte kam — brauchen
wir ja dem Leser, der selbst schon geliebt, nicht zu erzählen.
Mit einem Male that die Geliebte einen markerschütternden
Summ und verbarg ihr Köpfchen mit den schwarzen Füßchen,
j während heiße Thränen ihren Augen entquollen. Bestürzt frug
ich, was ihr so plötzlich Leides in den Sinn gekommen. „Ach
j — wir dürfen einander nimmer angehören, Geliebter", summte
- sie kläglich, „wie war ich nur so blind. Deinen braunrothen
I Halskragen zu übersehen, der uns auf ewig scheidet. Ja —
wenn ich Opernsängerin, oder wenigstens Ballettänzerin wäre,

I aber so ... . Nie werden Deine stolzen Verwandten die
Verbindung — selbst nur auf den linken Fuß — mit einem
| schlichten, schwarzhalsrgcn Bürgerskäfermädchen zugeben!"

Im ersten Moment erschrack ich selbst über diese Entdeckung,
die mir im Feuer meiner Leidenschaft entgangen war und

unwillkührlich zog ich die Flügeldecken, die ich zärtlich um das
Mädchen geschlungen hatte, zurück; ich war zu streng aristokratisch
erzogen, als daß mich nicht anfangs der Gedanke a» eine
Mesalliance stutzig gemacht hätte. Doch rasch verwarf ich wieder
diese nichtigen Bedenken; die Liebe zu der reizenden Käfer-
Jungfrau überwog meine» stolzen Sinn und nochmals betheuerte
ich ihr mit lausend Schwüren, daß ich als majorenner Maikäfer-
Edelmann aller Convenienz zmn Trotz die Geliebte heimführen
wolle. Heute noch «volle ich meine Eltern um ihre Einwilligung
bitten, und für den schlimmsten Fall versprach ich der Holden,
niit ihr auf einen entfernten Apfelbaum zu fliehen und dort
ein dunkles nur von der Liebe erhelltes seliges Dasein zu führen.
Hochbeglückt flatterte ich darauf dem prächtigen Lindenpalast
meiner Ahnen zu. Ich traf meinen Vater in einer Stimmung,
die meinem Anliegen durchaus nicht günstig war. Der hoch-"
müthige alte Mai-Standesherr >var eben von einer Audienz
bei Seiner maikäferlichen Majestät zurückgekommen, welche ihn

so huldvoll zu empfangen geruht hatten, daß seine Flügeldecke»
noch vor Stolz sich blähten. Als Papa jedoch meinen festen
Entschluß wahrnahm — selbst auf die Gefahr hin von meiner
erlauchten Familie aus dem Lindcnpalast verstoßen zu werden "
die Käferin meines Herzens zu heirathen, schien er andern
Sinnes zu werden und sagte mir mit anscheinender Güte, deren
teuflischen Hohn ich zu spät einsehcn sollte: „Da es Dci»
unerschütterlicher Wille ist, so lvill ich Deinem Glück nicht "»
Wege fliegen — nur an den Lindenhof darfst Du Deine niedrig
geengcrlingte Gattin nicht bringen. Sieh' dort in der Ferne
diese kleine aber zierliche Kirschen-Villa am Bach, die sollst
mit Deiner linksfüßig angetranten Käferin beziehen. An Nahrung
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mesalliance"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Personifikation
Sohn <Motiv>
Absichtserklärung <Motiv>
Maikäfer <Motiv>
Karikatur
Linde
Hochzeit <Motiv>
Vater <Motiv>
Liebe <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Unstandesgemäße Liebe

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 62.1875, Nr. 1557, S. 162

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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