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Anemone

^u'g, daß gerade die Jurisprudenz des Lauschers für ihr
schuldloses Herz gefährlich werden sollte, — die Jurisprudenz
des Lauschers und eine Blume, die drei Schritte von dem
schützenden Haselstrauche entfernt innerhalb einer kaum fußhohen
Einfriedung in einer mit jungen Bäumchen bepflanzten Schonung
blühte, vor der eine Warnungstafel mit den grausamen Worten
angebracht war, die dürr und rücksichtslos besagten, daß Jeder,
der die Schonung betrete, mit Gefängnis; in der Dauer von
acht Tagen bis zu sechs Monaten bestraft werden solle. —

Ein leiser Freudeuruf tönte von Anna's schönen Lippen,
und ihre blauen Augen richteten sich fest auf einen Punkt der
Schonung. Ehrings Augen folgten selbstverständlich Anna's
Blicken. Diese hafteten auf einem Prachtexemplar der Anemone
silvestris, das zwischen den jungen Bäumchen seine herrlichen
Blüthen in voller Pracht entfaltete. Anna war leidenschaftliche
Blumenfreundin. Auch jetzt hing an ihrem Arm ein Körbchen,
das nnt Veilchen, Primeln, blauen Glockenblumen und all den
andern Kinder» Flora's gefüllt war, mit denen die gute Mutter
Erde sich zur Frühlingszeit zu schmücken pflegt. Was Wunder
also, daß sie vor Entzücken festgebannt stehen blieb, und die
herrliche Anemone, ihr liebliches Ebenbild, mit leuchtenden, be-
gehrlichen Blicken betrachtete! — „0," sagte sie leise, und ihre
Helle Stimme nahm dabei einen schmerzlichen Klang an, „wcßhalb
muß die schöne Anemone gerade in der Schonung wachsen!"
Dabei warf sie einen fast unwilligen Blick ans die Schonungs-
tafel und auf die niedrige Einfriedung.

vr. Ehring, in dessen Gehirn ein guter Gedanke aufge-
blitzt zu sein schien, rieb sich vergnügt die Hände. Er war zu
sehr Menschenkenner, als daß er nicht wissen sollte, daß die
schöne Anna sich würde hinreißen lassen von ihrer Liebe zu den
Blumen, die Warnungstafel zu vergessen und die Einfriedung
zu übersteigen. Darauf baute er seine» Plan. Er hatte sich
tu der That nicht getäuscht.

„Wie würde Papa sich freuen", sagte Anna, „wenn ich
'hm heute diese seltene, schöne Blume nach Hause brächte!"
Dann gewann ihr Rechtsgefühl wieder für einen Augenblick die
Dberhand, und traurig blickte sic ans die Warnungstafel. Da
rauschte ein warmer Frühlingshauch durch das Waldesgrün.
— Die schneeweißen Blüthen, vier an der Zahl, kehrten
ihre Gesichtchen Anna zu, nickten freundlich und klug, und
schienen das Mädchen bitten zu wollen, es möge sie doch mit
sich nehmen. Anna schien die Blumensprache sehr gut zu ver-
stehen. „Der gute, alte Oberförster wird's nicht übel
nehmen", sagte sic, „wenn ich ans einen Augenblick die Scho-
nung betrete. Und ich will mich ja recht in Acht nehme», daß
ich keines der kleinen Bäumchen beschädige. Auch ist weit und
breit kein Mensch zu sehen, der mich anklagen oder in Strafe
bringen könnte", fiigtc die schöne Verbrecherin hinzu, ohne zu
ahnen, daß wenige Zoll weit van ihr der Mann des Gesetzes,
der l)r. Ehring, befindlich war. Sie faßte ihr blaues Kleid
zusammen, und stieg behutsam über die Einfriedung. Sic
setzte ihren Fuß so, daß unmöglich eines der Bäumchen
der Schonung beschädigt werden konnte. Sie kniete vor
den Anemonen nieder, und hauchte auf jede der weißen

silvestris. 59

Blüthen einen leisen Kuß, als ob sie Abbitte leisten wollte
dafür, daß sie die Blumen zu brechen im Begriffe stehe.
Dann legte sie dieselben in ihr Körbchen, überstieg wieder die
niedere Umzäunung der Schonung und begab sich, ihres Erfolges
froh, auf den Rückweg.

„§alt, Fräulein!" rief Di-, Ehring, indem er das schützende
Dunkel des Hasclnnßstranchcs plötzlich verließ und dicht vor die
schöne Anna trat. Dabei deutete er mit drohender Richtermiene ans
die Warnungstafel, auf die Einfriedung, auf die Schonung und
auf das eorxus delicti, die schuldlosen weißen Anemonen.

Die unglückliche Anna war wie versteinert. Sie sollte
nun eingesperrt, öffentlich durch die Straße Secbachs eskortirt,
der Gegenstand des Stadtgespräches, als Diebin und Ueber-
treterin der Gesetze gebrandmarkt und, weiß Gott, was sonst
noch werden. Sie wurde fast ebenso bleich, wie die Anemone,
die sie gepflückt hatte, und stand sprachlos und bebend vor Ehring.

„Acht Tage, Fräulein," sagte dieser mit ernster Stimme,
„werden Sie Ihrer persönlichen Freiheit verlustig gehen. Als Mann
des Gesetzes bin ich verpflichtet, Sie anzuzeigen, und werde Sie
morgen etwa um neun oder zehn Uhr Vormittags verhaften lassen."

Das war der guten Anna zu viel. Verhaftet, arretirt,
durch die Straße unter Bewachung geführt! Sic brach in
lautes Weinen aus. „0," rief sie, „ich will Alles thun, Alles,
Alles, nur lassen Sie mich nicht einsperren." —

„Alles?" fragte Ehring.

„Ja, Alles," schluchzte Anna.

„Also auch, mich heirnthen? denn das ist doch auch Etwas,
also ein Theil von Allem!"

Was die Anemonen belauschten, was die Nachtigallen in
diesem Augenblicke sangen, was der Zephyr, der plötzlich sehr
verliebt geworden zu sein schien, in den blühenden Zweigen
rauschte, wissen ivir nicht; nur so viel steht fest, daß die schöne
Anna einsah, auch unter den Juristen gebe es liebenswürdige

Leute. Sie ist heute Frau Doktor Ehring, und hegt aus wohl
begreiflichen Gründen eine große Vorliebe für die Anemone
silvestris, die schöne 'Ehestifterin.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Anemone silvestris"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Beckmann, Conrad
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Korb
Liebespaar <Motiv>
Ranke
Buch
Größenverhältnis
Gesetz
Karikatur
Kirchenrecht
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Fliegende Blätter, 64.1876, Nr. 1596, S. 59

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