212
Dic Vergangenheit.
Aber erlauben Sie einmal!" sagte ich, völlig consternirt.
Sie kennen mich wohl noch gar nicht? Bin ja der Cousin
von Ihrer Frau — Emil Baudicke — komme per Rad von Neu-
Strelitz — wollte die Cousine besuchen und den neuen Cousin
kennen lernen!"
„Bitte, treten Sie näher", sagte ich und dachte, vielleicht
sendet mir den der Himmel.
Ich stellte Herrn Baudicke dem Komiker vor.
Unsere Blicke begegneten sich, und ich sah, daß wir das
Gleiche dachten.
Kraft flüsterte mir beim Abschiede zn: „Probire einmal, ob
sich aus diesem Sportsman nicht eine Vergangenheit für Deine
Klara fabriciren läßt!" — Dann ging er.
Als ich wieder in's Zimmer
trat, stand mein neugebackener
Cousin vor dem Spiegel und be-
arbeitete sein spärliches Kopfhaar
und seinen dünnen Schnurrbart
vermittelst zweier Bürsten. —
Er blieb auch während des fol-
genden Gespräches in dieser Stell-
ung. — „Also Sic kennen mich noch
nicht, lieber Ebert? — Hat denn
meine Cousine nie von mir ge-
sprochen ?"
„Nein, Herr Bndicke!"
„Baudicke ist mein Name!
. . Auf Ihrer Hochzeit konnte
ich leider nicht sein, war mit
meinem Stahlroß gestürzt —
sah scheußlich aus. Uebrigens"
— dabei wandte er sich zu mir
und steckte die Bürsten fort —
„ich muß es Ihnen gestehen, ich
bin ein Bischen neidisch gewesen, denn ich habe Cousine Klara,
Ihre Gattin, einst heiß geliebt!"
Emil machte ein melancholisches Gesicht, wodurch er einem
verliebten Kater nicht unähnlich sah, und tippte mit dem Finger
auf die Stelle seines bunten Hemdes, unter der bei normal gebauten
Menschen das Herz zu sitzen pflegt.
„Ach", entgegnete ich, „das ist mir neu, mein weither Vetter!
Davon hat mir meine Frau noch keine Silbe gesagt!"
„Ach, Herr Ebert, davon spricht man auch nicht; das behält
man tief im Herzen — hier!"
Und wieder tippte er mit den Fingern auf sein buntes Hemd.
„So, so! — Nun vor allen Dingen werde ich meine Frau rufen!"
Ich ging nach Klaras Zimmer, in der That etwas verschnupft
darüber, daß sie dieses Cousins nie erwähnt, seinen Namen nie
genannt hatte.
Ich klopfte an. — Keine Antwort. — „Klara, sei so freundlich,
Dich nach dem Wohnzimmer zu bemühen; cs ist Besuch von Deinen
Verwandten augekommen!"
„Das ist meine Mutter!" jubelte meine Frau, riß die Thür
auf und stiirzte an mir vorüber; ich folgte. Dic Worte erstarben
ihr aber auf den Lippen, als sie den lieben Vetter erblickte.
„Emil, Sie hier? — Um Gottcswillen, wo kommen Sie
denn her?"
Bandicke küßte seiner schönen Cousine galant die Hand.
„Ich wollte Sie nur begrüßen, theucrstc Cousine, und Ihren
werthen Gatten kennen lernen!"
„Wann reisen Sie denn wieder ab?" fragte Klara höchst un-
freundlich.
„Na warte", dachte ich und rief: „So rasch kommen Sic mir
nicht davon — Sie bleiben ein paar Tage bei uns. Wie angenehm
muß es Ihnen nicht sein, mit einer lieben, thcuren Verwandten sich
einmal aussprechen, ihre Gefühle anstauschen zu können!"
Klara warf mir einen unbeschreiblichen Blick zu.
„Vor allen Dingen werde ich jetzt für ein gutes Frühstück sorgen!"
Ich ging, und als ich wieder das Zimmer betrat, saß meine
Frau auf dem Sopha, und der Vetter küßte ihr wieder die Hand.
Er konnte nicht schöner ans die Rolle, welche ich sic spielen
lassen wollte, eingehen, selbst ivenn ich sie ihm vorgcschriebcn hätte.
„Was treiben Sie denn eigentlich, Vetter?" fragte ich ihn im
Laufe des Gespräches.
„Nur Sport — weiter nichts — lieber Ebert. Ich reite, ich
habe mein Boot, mein Stahlroß, kurz nur Sport. Leider reichen
meine Mittel nicht aus, um mir Reuupferdc zu halten."
„Nun, dann müssen Sie sich reich verheirathen!"
„Ach, mein Herz schlägt nur für Eine!"
Er tippte mit den Fingern auf sein buntes Hemd und warf
meiner Frau einen Blick zu, der von heißer Liebe sprechen sollte,
aber so urkomisch war, daß ich hätte laut auflachen mögen.
Das Frühstück kam, und Baudickc, durch den Wein und meine Zu-
vorkommenheit aufgemuutert, wurde immer redseliger.
Jetzt hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, meine Frau zu
kuriren.
„Sagen Sie, lieber Emil" — wir nannten uns bereits bei
den Vornamen — „Sie kennen meine Frau wohl schon seit ihrer
Kindheit? Sie sind wohl zusammen ausgewachsen, erzogen worden?"
„Das weniger, lieber Karl, aber oftmals spielten wir doch mit-
einander, nahmen später gemeinschaftlich Tanzunterricht und machten
zusammen den ersten Ball mit. Ach Vetter" — dabei verdrehte er
seine Augen — „da hätten Sic Ihre Frau sehen müssen! — eine
Fee — ein Engel — eine Göttin!"
„Emil, lassen Sie doch diese Albernheiten!" rief Klara.
Sic war bis jetzt sehr schlvcigsam gewesen. Der unerwartete
Besuch hatte die ganze Lage verändert. Er machte ihre Reisepläne
zu Nichte und nöthigte ihr die Rolle der freundlichen Hausfrau und
Wirthiu auf, welche sie nur mit der größten Anstrengung durch-
zuführen vermochte, und mein freundliches, zuvorkommendes Wesen,
dem sic in Gegenwart eines Dritten keinen Trotz cntgegcnzusetzcn
wagte, machte sie völlig consternirt.
„Nein, nein", sagte ich eifrig zu Emil, „sprechen Sie nur,
lieber Vetter! Ich möchte so gern Erlebnisse aus Klara's Jugend-
zeit kennen lernen, aber sie schweigt principiell darüber. Sic hat
Dic Vergangenheit.
Aber erlauben Sie einmal!" sagte ich, völlig consternirt.
Sie kennen mich wohl noch gar nicht? Bin ja der Cousin
von Ihrer Frau — Emil Baudicke — komme per Rad von Neu-
Strelitz — wollte die Cousine besuchen und den neuen Cousin
kennen lernen!"
„Bitte, treten Sie näher", sagte ich und dachte, vielleicht
sendet mir den der Himmel.
Ich stellte Herrn Baudicke dem Komiker vor.
Unsere Blicke begegneten sich, und ich sah, daß wir das
Gleiche dachten.
Kraft flüsterte mir beim Abschiede zn: „Probire einmal, ob
sich aus diesem Sportsman nicht eine Vergangenheit für Deine
Klara fabriciren läßt!" — Dann ging er.
Als ich wieder in's Zimmer
trat, stand mein neugebackener
Cousin vor dem Spiegel und be-
arbeitete sein spärliches Kopfhaar
und seinen dünnen Schnurrbart
vermittelst zweier Bürsten. —
Er blieb auch während des fol-
genden Gespräches in dieser Stell-
ung. — „Also Sic kennen mich noch
nicht, lieber Ebert? — Hat denn
meine Cousine nie von mir ge-
sprochen ?"
„Nein, Herr Bndicke!"
„Baudicke ist mein Name!
. . Auf Ihrer Hochzeit konnte
ich leider nicht sein, war mit
meinem Stahlroß gestürzt —
sah scheußlich aus. Uebrigens"
— dabei wandte er sich zu mir
und steckte die Bürsten fort —
„ich muß es Ihnen gestehen, ich
bin ein Bischen neidisch gewesen, denn ich habe Cousine Klara,
Ihre Gattin, einst heiß geliebt!"
Emil machte ein melancholisches Gesicht, wodurch er einem
verliebten Kater nicht unähnlich sah, und tippte mit dem Finger
auf die Stelle seines bunten Hemdes, unter der bei normal gebauten
Menschen das Herz zu sitzen pflegt.
„Ach", entgegnete ich, „das ist mir neu, mein weither Vetter!
Davon hat mir meine Frau noch keine Silbe gesagt!"
„Ach, Herr Ebert, davon spricht man auch nicht; das behält
man tief im Herzen — hier!"
Und wieder tippte er mit den Fingern auf sein buntes Hemd.
„So, so! — Nun vor allen Dingen werde ich meine Frau rufen!"
Ich ging nach Klaras Zimmer, in der That etwas verschnupft
darüber, daß sie dieses Cousins nie erwähnt, seinen Namen nie
genannt hatte.
Ich klopfte an. — Keine Antwort. — „Klara, sei so freundlich,
Dich nach dem Wohnzimmer zu bemühen; cs ist Besuch von Deinen
Verwandten augekommen!"
„Das ist meine Mutter!" jubelte meine Frau, riß die Thür
auf und stiirzte an mir vorüber; ich folgte. Dic Worte erstarben
ihr aber auf den Lippen, als sie den lieben Vetter erblickte.
„Emil, Sie hier? — Um Gottcswillen, wo kommen Sie
denn her?"
Bandicke küßte seiner schönen Cousine galant die Hand.
„Ich wollte Sie nur begrüßen, theucrstc Cousine, und Ihren
werthen Gatten kennen lernen!"
„Wann reisen Sie denn wieder ab?" fragte Klara höchst un-
freundlich.
„Na warte", dachte ich und rief: „So rasch kommen Sic mir
nicht davon — Sie bleiben ein paar Tage bei uns. Wie angenehm
muß es Ihnen nicht sein, mit einer lieben, thcuren Verwandten sich
einmal aussprechen, ihre Gefühle anstauschen zu können!"
Klara warf mir einen unbeschreiblichen Blick zu.
„Vor allen Dingen werde ich jetzt für ein gutes Frühstück sorgen!"
Ich ging, und als ich wieder das Zimmer betrat, saß meine
Frau auf dem Sopha, und der Vetter küßte ihr wieder die Hand.
Er konnte nicht schöner ans die Rolle, welche ich sic spielen
lassen wollte, eingehen, selbst ivenn ich sie ihm vorgcschriebcn hätte.
„Was treiben Sie denn eigentlich, Vetter?" fragte ich ihn im
Laufe des Gespräches.
„Nur Sport — weiter nichts — lieber Ebert. Ich reite, ich
habe mein Boot, mein Stahlroß, kurz nur Sport. Leider reichen
meine Mittel nicht aus, um mir Reuupferdc zu halten."
„Nun, dann müssen Sie sich reich verheirathen!"
„Ach, mein Herz schlägt nur für Eine!"
Er tippte mit den Fingern auf sein buntes Hemd und warf
meiner Frau einen Blick zu, der von heißer Liebe sprechen sollte,
aber so urkomisch war, daß ich hätte laut auflachen mögen.
Das Frühstück kam, und Baudickc, durch den Wein und meine Zu-
vorkommenheit aufgemuutert, wurde immer redseliger.
Jetzt hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, meine Frau zu
kuriren.
„Sagen Sie, lieber Emil" — wir nannten uns bereits bei
den Vornamen — „Sie kennen meine Frau wohl schon seit ihrer
Kindheit? Sie sind wohl zusammen ausgewachsen, erzogen worden?"
„Das weniger, lieber Karl, aber oftmals spielten wir doch mit-
einander, nahmen später gemeinschaftlich Tanzunterricht und machten
zusammen den ersten Ball mit. Ach Vetter" — dabei verdrehte er
seine Augen — „da hätten Sic Ihre Frau sehen müssen! — eine
Fee — ein Engel — eine Göttin!"
„Emil, lassen Sie doch diese Albernheiten!" rief Klara.
Sic war bis jetzt sehr schlvcigsam gewesen. Der unerwartete
Besuch hatte die ganze Lage verändert. Er machte ihre Reisepläne
zu Nichte und nöthigte ihr die Rolle der freundlichen Hausfrau und
Wirthiu auf, welche sie nur mit der größten Anstrengung durch-
zuführen vermochte, und mein freundliches, zuvorkommendes Wesen,
dem sic in Gegenwart eines Dritten keinen Trotz cntgegcnzusetzcn
wagte, machte sie völlig consternirt.
„Nein, nein", sagte ich eifrig zu Emil, „sprechen Sie nur,
lieber Vetter! Ich möchte so gern Erlebnisse aus Klara's Jugend-
zeit kennen lernen, aber sie schweigt principiell darüber. Sic hat
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Vergangenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1893
Entstehungsdatum (normiert)
1888 - 1898
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 99.1893, Nr. 2524, S. 212
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg