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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Ehmcke, F. H.: Zu unserem Heft 21 ("Das Buch"): Sachliches, Allzusachliches
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0776
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ZU UNSEREM HEFT 21 („DAS BUCH")

SACHLICH ES-ALLZUSACHLICH ES

Die „Form" zeichnet sich vor allen anderen deut-
schen Zeitschriften dadurch aus, daß sie das Pro-
blematische unseres augenblicklichen Kunstzustan-
des deutlich beleuchtet, zeitgemäße Fragen auf-
wirft, den Tatsachenbestand überprüft und an dem
zugehörigen Bildmaterial anschaulich macht. So
wird diese „Form" zum Forum über strittige Fragen
der neuzeitlichen Kunst. Das Novemberheft 1929
befaßt sich mit der Gestaltung des Buches, wobei
verschiedene Verfasser sich von verschiedenen
Gesichtspunkten aus äußern. Es werden dabei,
wenn auch nicht alle, so doch einige wesentliche
Punkte dieses Themas berührt und charakteristisch
illustriert.

Stellungnahme fordert besonders eine Bildfolge
„Von der Form des Buches", wobei der Verfasser
fragt (mit dem langsamen Tempo der Entwicklung
des maschinell hergestellten Buchtyps unzufrieden),
ob es nicht andere Materialien, andere Herstellungs-
methoden gäbe, die den neuzeitlichen Forderungen
mehr entsprächen als die des heutigen Massen-
buches. Dieses trägt ihm offenbar noch zu atavi-
stische Züge seiner Herkunft von dem in fünf Jahr-
hunderten festgelegten Typ des Buches. Er weist
hin auf das Geschäftsbuch, das infolge der Anfor-
derungen, die man an seine Strapazierfähigkeit stel-
len muß, Formen angenommen habe, die „zeitgemä-
ßer" seien. Um dem leidigen Begriff „zeitgemäß"
in diesem Zusammenhang die rechte Beleuchtung
zu geben, sei gesagt, daß ich mich aus meiner Kind-
heit erinnere, daß Geschäftsbücher damals den
gleichen Typ aufwiesen, daß sie also eigentlich
längst die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit gehabt
hätten, sich nach einem modischeren Kleid umzu-
sehen. Aber im geschäftlichen Leben herrscht eben
die nüchterne Sachlichkeit, die von jener gepriese-
nen „neuen" Sachlichkeit grundverschieden ist. Die
Anforderungen, die der Geschäftsmann an sein Buch
stellen muß, sind heute wie je die gleichen. Es muß,
weil täglich in Anspruch genommen, erstens dauer-
haft gebunden sein, zweitens sich leicht aufschla-
gen lassen. Das erfordert technisch eine beson-
ders sorgfältige Art der Rückenbehandlung, den so-
genannten Sprungrücken, mit seiner stark rundge-
wölbten Form. Auch das Material: Moleskin, ein sehr
dauerhaftes Gewebe, das den schweren Büchern
eine leichte gleitende Beweglichkeit auf den Pulten
verleiht, ist kostspieliger Art. Ähnliches gilt von all
den anderen Spezialanfertigungen für Geschäfts-
zwecke, wie Lose-Blätter-Bücher, Register, Kar-
teikarten usw. Da man diese Dinge massenweise
in Spezialfabriken herstellt, so sind sie wohl ver-
hältnismäßig wohlfeil, kommen aber doch ihrer gan-
zen Art nach für einen Vergleich mit dem billigen
Gebrauchsbuch nicht in Frage.

Die einfachste buchbinderische Form, ein Buch
billig für den Handel zu liefern, ist die Broschur. Die
Franzosen geben dafür das Beispiel mit ihrem typi-
schen gelben Papierumschlag, auf dem der Titel
steht, deutlich, klar, in der fetten schwarzen Zeile
einer traditionellen Didottype. Das ist wahrhaft
sachlich, sachlich wie eine billige Streichholz-
schachtel oder ein Trambahnbillett.

Was braucht auch ein auf Holzpapier, in schlech-
tem Satz, voller Fehler und grau gedrucktes Buch
einen festen Einband? Wenn obendrein sein Inhalt
nur Bahnhofslektüre oder politische Tagesliteratur
enthält und wie eine Zeitung nach Kenntnisnahme
achtlos fortgeworfen wird!

Will man ein übriges tun, so ist ein einfacher
Pappband aus festem, glatten Papier oder ein billi-
ges Kaliko das Gegebene für einen Masseneinband,
der, schnell geleimt und in die Decken gehängt, bald
brüchig ist und dem Verfall ausgesetzt. A propos
Kaliko! Da sehe ich schon, wie der neuzeitliche Ge-
schmacksrichter die Nase rümpft und das mit einem
gewissen Recht angesichts dessen, was unsere
Kalikofabrikanten heute bieten. Aber man greife um
etwa achtzig Jahre zurück! Wohl ein jeder kennt
die Kalikobändchen, in die ältere Autoren gebunden
sind. Da findet man schwarze wie ausgesprochen
farbige Kalikos mit geometrischer Struktur, senk-
recht-quergestreift, schraffiert, immer aber deutlich
verratend, daß es sich um einen Kunststoff handelt.
Kaliko, ein dünnfädiges Baumwollgewebe, das durch
eine starke Appretur widerstandsfähig gemacht ist,
erhält seinen äußerlichen Charakter, seine „Griffig-
keit" durch die Prägung. Es fällt heute sehr schwer,
ein erträgliches Kaliko aufzutreiben. Dagegen findet
man Ledernarben, Fischschuppen und sonstige un-
mögliche Tekturen, äußerst geschmacklose Imitatio-
nen, denen wir zu unserm Grauen vorzugsweise bei
öffentlichen Bibliotheksbänden begegnen. Unsere
Industrie macht es eben nicht anders. Sie wird wohl
ihr Publikum kennen und verspricht sich offenbar
nichts davon, ehrliche geometrische oder sonstwie
täuschungslose Prägungen anzuwenden. Doch gäbe
es im übrigen gute glatte Leinwände (das heißt, zu-
meist auch Baumwolle) in schönen Farben bis hin-
auf zu dem äußerst soliden aber teuren Bukram.
Die Engländer haben für ihre Durchschnittsliteratur
die leicht wiegenden Bände in schlichtem glatten
Leinen, unauffällig in der Farbe, bequem, sachlich,
wie ein Koffer oder sonst ein nützliches Utensil.
Aber unsere Verleger wollen gerade die früher nur
bei Skizzenbüchern gebräuchliche „rauhe" Leinwand
oder irgendeinen weichen Stoff, der dem kaufenden
Publikum schmeichelt. Daß er leichter schmutzt, dem
Verschleiß schneller ausgesetzt ist, also „sachlich"
weniger dem Zweck entspricht, kommt nicht in Frage.

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