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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0222
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Das choragische Monument des Lysikrates zn Athen.

In Nacheiferung ihrer Vorfahren feierten die Griechen auch noch zu Alexanders Zeit prachtvolle Feste
den Göttern zu Ehren; sie begingen dieselben durch Spiele, die damals bedeutenden Wiederhall im Volke
fanden. Diese Spiele waren zweierlei Art, scenische und gymnische. Letztere bestanden in Wettkämpfen,
worin sich körperliche Kraft und Gewandheit zeigen konnten, wie der Lauf, das Eingen, das Springen,
das Diskuswerfen etc.; erstere bestanden in einer Vorführung der Werke des Geistes, nämlich dichterischer
und musikalischer Compositionen oder in dramatischen Aufführungen. Die gymnisehen Spiele fanden im
Stadium statt, die scenischen im Theater und im Odeum. Unter diesen grossen Festen Griechenlands
wurden die dem Bacchus geweihten, die sogenannten Dionysien, von den Athenern mit ausserordentlichem
Glanz gefeiert. Während der ganzen Dauer dieses Festes wurden im Theater Komödien und Tragödien
aufgeführt, und im Odeum sang man Hymnen zu Ehren dieses Gottes. Sobald die Zeit dieser Feste
herannahte, eröffnete der Magistrat von Athen einen Concurs, an dem sämmtliche Gemeinden Attikas
Theil nehmen konnten, und um an der Theilnahme daran anzulocken und unter den Theilnehmern grösseren
Wetteifer zu erwecken wurde eine Austheilung von Preisen verkündet, die in bronzenen Dreifüssen
bestanden, die man specieller mit dem Beinamen choragische bezeichnete. Jede Tribus wählte einen ihrer
reichsten Bürger zum Chorälen, der von seinem Gelde alle Kosten bestreiten musste, die dieses Ehrenamt
mit sich brachte; er hatte die Kosten für Gesang und Musik zu tragen. Jede Tribus machte nun alle
Anstrengungen, um über ihre Mitbewerber um den Preiss obzusiegen. Darauf beschränkte sich aber das
Amt und die Verpflichtung des Choragen nicht allein, denn wenn seine Tribus den Preiss erhalten hatte,
musste er noch diesen Sieg durch Errichtung eines Monuments verewigen; er war dann gehalten irgend
ein kleines Monument zu errichten, auf dessen Gipfel man den choragischen Dreifuss aufstellte, wenn
nicht etwa der Sieger, sobald er sehr reich war, die Ehre dieser Errichtung für sich in Anspruch nahm;
in allen Fällen hatte aber der Chorage immer das Recht, seinen Namen in die Gedenk-Inschrift setzen
zu lassen. Zuweilen trug die Tribus selber die Kosten des Chors und dieser Fall wiederholte sich, wie
man weiss, zu mehreren Malen.

Die periodische Wiederkehr dieser Spiele liess die Zahl der Siege und der Siegespreise sehr an-
wachsen, die durch Errichtung eben so vieler kleiner Monumente gefeiert wurden. Nach dem Zeugniss
der Schriftsteller des Alterthums, das in unseren Tagen durch die Entdeckungen der Reisenden und der
Alterthumsforscher bestätigt wird, befand sich einst zu Athen eine ziemliche Zahl von Monumenten
verschiedener Form, die zur Erinnerung solcher Siege attischer Tribus an den grossen Festen gestiftet worden
waren. Diese Monumente waren an einer und derselben Stelle, nicht fern vom Theater an dem Rande
einer Strasse errichtet, die ohne Zweifel von ihnen den Namen Dreifussstrasse erhalten hatte. In der
That sieht man an dieser Stelle noch heute unter den Trümmern und Ruinen mehrere anderer dieser
Gattung dasjenige, welches den Gegenstand dieses Aufsatzes bildet.

Eine Inschrift in drei Linien, die auf den Gurten des Epistyls eingegraben ist, lässt Zeit und Ursprung
dieses Denkmals uns ermitteln. Man liesst hier:

AT2IKPATH2 AT2I6ETJOT KIKTNETS EXOPHJEI
AKAMANTI2 IIAIJS2N ENIKA 6ES2N HTAET
AT2IAAH2 A6HNAI02 EAIAA2KE ETAINET02 HPXE

„Lysikrates von Kikyne, Sohn des Lysitheides, hatte die Kosten des Chors getragen. Die Phyle
Akamantis siegte durch den Knaben-Chor. Theon war Flötenspieler, Lysiades aus Athen der Dichter,
Eyainetos Archon."

Der Inhalt dieser Inschrift lässt keinen Zweifel über das Alter so wie über die Bestimmung dieses
Bauwerks; es wurde unter dem Archon Eyainetos, d. h. im Zeitalter Alexanders um 335 oder 330 vor
Chr. Geb. und zur Erinnerung eines choragischen Triumphes errichtet, den die Tribus Akamanthis, deren
Chorag Lysikrates war, davon getragen hatte. Es giebt indessen einige Archaeologen, die noch weiter
gehen und die das Monument viel mehr sagen lassen als seine Inschrift enthält. Sie vermuthen, dass der
in den Sculpturen des Frieses dargestellte Gegenstand auf die Composition des Dichters anspiele, und
schliessen daraus, dass diese Wahl des Sujets, aus der Geschichte des Bacchus entnommen, auf bestimmte
Weise darauf hinzudeuten scheine, dass an einem Feste dieses Gottes der Wettstreit statt fand. So viel ist
gewiss, dass wir es hier mit einem Monumente zu tliun haben, das in die Klasse der sogenannten chora-
gischen gehört. Die Analogie seiner Inschrift mit solchen an Monumenten dieser Gattung, die Dreifüsse,
die sich zwischen den Säulencapitellen sculpirt finden, die Anordnung des Monumentes, so wie die
dreieckige Form der dasselbe krönenden Blume, in der sich Vertiefungen finden, die zur Aufnahme des

Denkmäler der Baukunst. (TXXIV. Lieferung.
 
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