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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 1.1879

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Schaeffer, August: Bilder aus dem kais. Thiergarten bei Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.3552#0013
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BILDER

AUS DEM KAIS. THIERGARTEN BEI WIEN.


ICHT ohne Grund werden die landschaftlichen Schönheiten der Umgebung unserer alten
Kaiserstadt überall gerühmt; so reizende Aussichtspunkte, so prächtige Waldpartien und
malerische Landschaftsbilder findet man in gleich grosser Anzahl kaum vor denThoren irgend
einer anderen Grossstadt. Namentlich von den gegen Welten gelegenen Stadttheilen kann man sagen,
dass sie unmittelbar an den Wald reichen. Und an was für einen Wald! Wenngleich die herrlichen
Eichen- und Buchenbestände des Wienerwaldes, dessen südliche Abhänge sich mit Föhren und weiter
gegen das Hochgebirge mit Tannen und Fichten bekleiden, in der verflosfenen unseligen Speculations-
epoche von der Axt nicht geschont worden sind, so blieben doch noch gar viele herrliche Parcellen
unberührt, welche heute, trefflich cultivirt, Auge und Herz erfreuen. Und der Wiener ist dankbar dafür,
wie für jeglichen Naturgenuss. Jeden freien Tag verbringt er im Freien und bei halbwegs günstiger
Witterung sind alle die unzähligen Ausflugpunkte um die Stadt, welche, Dank der wohl ein-
gerichteten Eisenbahnverbindung, im Süden und Westen bis an die Voralpen reichen, von wohl-
gfemuthen Wienern aller Stände erfüllt und belebt. Zu ihren besonderen Lieblingen crehört der leicht
erreichbare Wienerwald, an den sich für jedes Wiener Kind erfreuliche Jugenderinnerungen knüpfen.
Auch mir ist er an's Herz gewachsen. Zur Zeit schon, da ich als junger Student mit meinen
Aneehöricren die Ferien in der vom Walde umschlosfenen Sommerfrische Weidlinomi zubrachte, liebte
ich ihn mit der ganzen schwärmerischen Gluth der Jugend, und nichts machte mir mehr Vergnügen,
als allein unter seinen alten, hohen Bäumen herumzustreifen. Am meisten aber zog mich, wie dies
gewöhnlich bei verbotenen Früchten der Fall, eine mir unzugängliche Waldpartie an: der kaiserliche
Thiergarten. Wenn ich von irgend einem erhöhten Punkte über die neidische Mauer hinweg in das
grüne Dunkel des umfriedeten Forstes schauen konnte, oder gar, wenn auf den üppigen Waldwiesen
sich hie und da ein Rudel Roth- oder Schwarzwild blicken liess, dann schlug das Herz mir höher und
mächtig regte sich in mir der Wunseh: „Ach könntest du nur einmal da hinein!" Und wenn im Spät-
herbste aus dem Wildpark das dumpfe Röhren des Hirsches sich hören liess, oder der Lockruf der
Thiere ertönte, indess die volle Mondesscheibe über den dunklen, dicht bewaldeten Rücken der
Berge weithin schimmernd emporstieg, da war's wohl mein sehnlichster Wunseh, ein Jäger zu werden
und da drinnen ganz und gar zu häusen. Nun, ein Jäger bin ich nicht geworden, aber meine Waffen:
Stift und Nadel sollten mir doch, freilich erst später, den Einlass in das Heiligthum erobern.
Als da zum ersten Mal hinter mir das Gitter fiel, welches mir in der Kindheit unüberschreit-
bar geschienen, da übermannten mich alle Eindrücke der Jugendzeit, die lieh ja immer in voller
Frische erhalten. Bevor ich weiter schritt, blieb ich tief aufathmend eine Weile beim Eingange stehen,
um mich für den längst ersehnten Genuss und für die Erfüllung der Aufgabe zu sammeln, welcher ich
den Eintritt in das herrliche Waldrevier verdankte. Eine kleine Heerde von Wildsehweinen, dar-
 
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