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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 37.1914

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Vollmer, Hans: Eugèn Delacroix als Illustrator
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https://doi.org/10.11588/diglit.4205#0010
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EUGENE DELACROIX ALS ILLUSTRATOR.

Daß ein literarisch so ernsthaft und tief interessierter Geist wie Eugene Delacroix frühzeitig
den starken Drang in sich spürte, in der breiten Form der zyklischen Illustration seine durch das
Dichtwerk inspirierten Bildvorstellungen zum Ausdruck zu bringen, kann niemanden überraschen,
der aus einem Einblick in das Journal und die Briefe Delacroix' weiß, mit welcher nur dem
geborenen Maleringenium eigenen Intensität sich in diesem Gehirn jeder Eindruck sofort in klare
bildmäßige Vorstellung umsetzte. Das berühmte Debüt des Vierundzwanzigjährigen — die Dante-
Barke — war eine Illustration, allerdings eine solche größten Stiles, und wie sehr Delacroix das
dichterische Vorbild, aus dem er seine Inspiration hier geschöpft hatte, dem Betrachter des Bildes
in die Erinnerung zu rufen wünschte, lehrt der ausführliche Katalogkommentar, den er seinem
Erstlingswerk mit auf den Weg gab. Wie für Kunst und Musik, so hatte Delacroix auch für die
Werke der Literatur ein außerordentlich feines Verständnis — seine schlagenden kritischen Urteile
z. B. über Victor Hugo oder Walter Scott sind dafür überzeugender Beweis, wenn er auch in
manchen Punkten, namentlich in der Überschätzung Racines, in den Vorurteilen seiner Zeit
befangen blieb. Shakespeare, Byron, Goethe, dieses helle Dreigestirn hat seine Phantasie von
Jugend an begleitet und ist ihm zeit seines Lebens eine Quelle der Anregung gewesen.

Die Energie seines Vorstellungsvermögens befähigte Delacroix zu einem Illustrator allerersten
Ranges. Seine Interpretation ist oft eigenwillig, vielleicht für den ersten Eindruck sogar bisweilen
befremdend,aber stets getragen von lebendigerVorstellung und von jener intellektualen Durchdringung
des Stoffes erfüllt, die überzeugt. Wenn seine illustrative Tätigkeit nur eine verhältnismäßig kurze
Episode innerhalb seines Gesamtschaffens darstellt, so ist daran einzig der vollständige Mißerfolg
schuld, den er damit erntete. Ein doppeltes Fiasko erst mit dem »Faust«, dann mit dem »Hamlet«,
den er auf eigene Kosten drucken ließ, da kein Verleger das Risiko mehr übernehmen wollte,
raubte ihm den Mut, einen dritten Versuch zu wagen. Der »Götz« blieb Fragment, andere Pläne —
köstliche Variationen über Shakespeares »Othello« und »Macbeth«, Byrons »Giaur«, Walter Scotts
»Ivanhoe« und »Braut von Lammermoor« — kamen nicht über den Entwurf oder die ersten
Anfänge hinaus.

Delacroix griff, als es ihn dazu trieb, von der malerischen Einzeldarstellung zu der Komposi-
tionsform des geschlossenen Zyklus überzugehen, zur Lithographie, die damals eben ihren Sieges-
zug durch ganz Europa anzutreten sich anschickte und das vornehmste Ausdrucksmittel für die
Illustration war. Die Radierung als das schwieriger in der Wirkung kontrollierbare Verfahren hat
ihm offenbar weniger gelegen, wenngleich er auch in dieser Technik einige prächtige Einzelblätter
geschaffen hat.

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