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ALFRED GERSTENBRAND.

Will man, Stendhals bekanntes Wort
verallgemeinernd, die Kunst einen Spiegel
nennen, der das Leben entlanggetragen
wird, so wird man eine Kunstgattung rinden,
die zweifellos in die Gattung der Hohl-
spiegel einzureihen ist: die Karikatur. Sie
ist, mag sie satirischer, sozial anklagender,
erotischer oder auch nur harmloser Art sein,
ihrem Wesen nach eine Zweckkunst, wobei
sie, um bei obigem Bild zu bleiben, die
Krümmungskurve des Temperaments und
der Absichten des Künstlers ihrem Wollen
dienlich macht. Keine Kunst also an sich,
sondern eine Kunst, die etwas will.

Alfred Gerstenbrands Arbeiten, die
von den Beschauern gerne dieser Kunst-
gattung zugezählt werden, nehmen in
diesem Punkt eine Sonderstellung ein.
Gewiß, auch er hat als Mitarbeiter satirischer
Zeitschriften Blätter gezeichnet, die einer
absichtsvollen Zweckkunst angehören;
aber daneben, darüber hinaus finden wir
Werke, die, so nahe sie auf den ersten
Blick diesem Streben verwandt erscheinen,
in Wahrheit doch himmelweit von ihm ent-
fernt sind. Ihre Betrachtung löst nicht jene
jäh explosive oder sacht entspannende
Wirkung aus, die für die gute, wirksame
Karikatur unerläßlich ist, ganz im Gegen-
teil: sie verdichtet die Spannungseffekte
und entläßt den Beschauer nicht mit einer Lösung, sondern mit einem Rätsel, einer unbeantworteten
Frage, die ihn zwingt, die vom Künstler angeschlagene Saite weitertönen zu lassen. Ein Beispiel
mag diese Behauptung illustrieren: Während des Krieges schuf Gerstenbrand eine Steinzeichnung
»Marschkompagnie«, die in ihren Einzelheiten alle Elemente des Zerrbildes zu enthalten scheint
und in Form und Inhalt (immer in bezug auf Details) die Mittel auch der derben Komik nicht

Alfred Gerstenbrand, Schuster im Bazar von Kairo.

Aquarell.

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