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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 1.1936

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Wilde, Johannes: Der ursprüngliche Plan Michelangelos zum Jüngsten Gericht
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Benesch, Otto: Meisterzeichnungen aus dem oberitalienischen Kunstkreis, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6336#0020
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Des gleichen geistigen Ursprunges ist im ausgeführten Werk die Gestaltung der rechts an-
schließenden Partie. „Caronte colla sua navicella" (Condivi) und die Minos-Gruppe sind von
Dante nur thematisch abhängig. Sie rufen eine andere große Schöpfung des frühen Trecento
ins Gedächtnis: Giottos Mosaik der Navicella in der Vorhalle von Alt-St. Peter.1 Man
vergleiche den Beatrizet-Stich von 1559 mit der Freskopartie, nicht nur für die Gesamtkompo-
sition, sondern auch für Einzelheiten! (Als äußerlicher Beweis für die Beschäftigung Michel-
angelos mit dem Mosaik möge die Übernahme der Evangelisten-Halbfiguren als himmlischer
Helfer in der Gruppe der gegen Himmel Fahrenden links dienen.) Die Navicella-Darstellung
galt aber von jeher als Symbol der ecclesia militans, so daß sich auch hier eine ähnliche Um-
kehrung des Sinnes wie in der Mitte vollzogen hat.

Bei der Gestaltung der neuen Komposition nimmt der Künstler, trotz der alle Architektur
sprengenden Expansivität der Idee, auf die tektonische Gliederung der Kapelle in eigentüm-
licher Weise Rücksicht. Die Gesimse laufen als natürliche Trennungen zwischen den Raum-
sphären ideell auch im Fresko durch: einmal als Horizont, dann als Grenze zwischen Luft-
raum und Himmel. Die Lünettenfelder erhalten gesonderte Kompositionen auf farbig differenzier-
tem Grund. An Stelle der zwei aufgegebenen Fenster erscheint im Bild in gleicher Höhe eine
fensterähnliche Konfiguration in der Mitte und darin die Gestalt Christi, genau dort, wo sie einst
den Anfang der Reihe der Papstbildnisse gebildet hat. Die wichtigste Änderung ist aber, daß
nun, wo alle Grenzen gefallen, das Fresko auch mit den Deckenmalereien verbunden werden
konnte: jene mächtige Zickzackbewegung, die die Reihe der späteren Geschichtsbilder—
von der Erschaffung Adams an — durchzieht und sie zu einer dynamischen Einheit zusammen-
schließt, wird über die heftigen Wendungen der Figur des Jonas bis in die des Christus hinabgeleitet.

OTTO BENESCH / MEISTERZEICHNUNGEN AUS DEM OBER-
ITALIENISCHEN KUNSTKREIS2

1. Tizian, Männlicher Akt in Landschaft. Feder in braunem Bister. 142 X 210 mm.
Berlin, Kupferstichkabinett (Inv. 5105, Abb. 1).

Dem Blick des hochverdienten, eben verstorbenen Hadeln war es bei der Zusammenstellung
des Bildermaterials seines Zeichnungenbandes über den Meister (Berlin 1924, Paul Cassirer)
entgangen, daß im Berliner Kupferstichkabinett, zum Teil unterm richtigen Namen, mehrere
Zeichnungen Tizians liegen, auf die hier kurz das Augenmerk gelenkt sei. Die Reihe sei chrono-
logisch mit dem liegenden Hirten oder Quellengott begonnen, der den allgemeinen Namen
„Giorgione" erhielt. Der kraftvolle, markige Federstich, die Schulung an nordischer Graphik
nicht verleugnend, läßt jedoch auf den ersten Blick den vom Schicksal mehr begünstigten,
unromantischeren, den Bau einer anderen, klassischen Aera tragenden Generationsgenossen
erkennen. Das Blatt fällt deutlich in die Gruppe der vor den Skizzen zur Assunta entstandenen
Zeichnungen und mag technisch mit der Madonna des Louvre oder dem Frauenbildnis des

1 Vgl. die von L. Venturi zusammengestellten alten Kopien in L'Arte, XXV, S. 49 ff.

2 Vgl. Otto Benesch, Meisterzeichnungen I. aus dem holländischen, II. aus dem oberdeutschen Kunstkreis.
Mitteilungen d. Ges. f. vervielf. Kunst, Wien 1932, S. 1 u. 9 ff.

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