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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 2.1937

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Baldass, Ludwig: Die Zeichnung im Schaffen des Hieronymus Bosch und der Frühholländer
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https://doi.org/10.11588/diglit.6337#0024
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LUDWIG BALDASS / DIE ZEICHNUNG IM SCHAFFEN DES
HIERONYMUS BOSCH UND DER FRÜHHOLLÄNDER

Die im Sommer des abgelaufenen Jahres von D. Hannema unter werktätiger Beihilfe von
J. G. van Gelder veranstaltete frühholländische Ausstellung in Rotterdam führte den offi-
ziellen Titel: „Jeroen Bosch, von Geertgen bis Scorel". Sie umfaßte neben den Gemälden
dieser Epoche auch eine gewählte und reichhaltige Schau von Zeichnungen, Kupferstichen
und Holzschnitten. Unter den Zeichnungen war zwar weniges, was die Literatur noch nicht
verzeichnet hatte,1 aber das Gesamtbild, das sich hier offenbarte, war so reich und bot einen
so glänzenden Überblick über die zeichnerische Produktion in Holland von 1480—1550, daß
die Unternehmung zur Klärung der offenen Fragen erheblich beitrug.

1. Das XV. Jahrhundert

Wir besitzen eine einzige niederländische Zeichnung des XV. Jahrhunderts, die mit ab-
soluter Sicherheit als Original Zeichnung eines führenden Meisters in Anspruch genommen
werden kann: Jan van Eycks Silberstiftzeichnung des Kardinals von Santa Croce Nicolö
Albergati. Sie ist unter ganz besonderen Umständen entstanden. Der Kardinal weilte nur
wenige Tage in den einzelnen Städten der Niederlande,2 wohin er als päpstlicher Legat gereist
war, um den Frieden zwischen Frankreich und Burgund zu vermitteln. Offenbar konnte er
in Brügge oder Gent dem Künstler nur eine Sitzung gewähren. Dieser verfertigte daher eine
Silberstiftzeichnung, die es ihm ermöglichte, die Farben und Farbenschattierungen der ein-
zelnen Gesichtsteile wenigstens mit Worten zu notieren. Jan van Eyck hatte sonst die Ge-
pflogenheit, gleich aufs grundierte Malbrett den Bildentwurf zu zeichnen. Wir schließen dies
aus dem einzigen angefangenen Bilde, das sich uns aus dieser Periode erhalten hat, aus einer
kleinen Tafel mit der hl. Barbara in Antwerpen-, die nicht über die Vorzeichnung — die Farb-
töne im Himmel sind spätere Zusätze — hinausgelangt ist. Diese Vorzeichnung aber ist aufs
peinlichste durchgeführt, jedes einzelne Detail steht auf ihr schon vollkommen fest. Wenn
wir uns dieses angefangene Gemälde vor Augen halten, erscheint es merkwürdig, daß man Jan
van Eycks eigenhändige Autorschaft an dem viel malerischer vorbereiteten Maelbekealtar3
angenommen und das Werk nicht allgemein als das erkannt hat, was es seinem technischen
Befunde nach zweifellos ist, als unvollendete, nicht vor dem letzten Jahrzehnt des XV. Jahr-
hunderts entstandene ausgezeichnete Kopie einer verschollenen Arbeit Jans.

Außer dem Albergatiporträt in Dresden kann keine altniederländische Zeichnung mit voll-
kommener Bestimmtheit als Entwurf bezeichnet werden. Wir können bei vielen Blättern
leicht den Stil feststellen und schreiben diese Zeichnungen also Jan van Eyck und Rogier
van der Weyden, Petrus Christus und Hugo van der Goes zu. Damit treffen wir aber nicht
mehr als die Erfindung. Wir begeben uns auf den hier besonders schlüpfrigen Boden eines
reinen Qualitätsurteils, wenn wir das eine oder andere dieser Blätter als wirkliche Original-
zeichnung ansprechen. Wir übersehen dabei meist, daß sich offenbar ganz ausgezeichnete
Künstler schon gleichzeitig einzelne Köpfe und Figuren — um solche handelt es sich meistens —
von fremden Vorbildern abgezeichnet haben. Dazu kommen noch die als Vorlagen für den Werk-
stattbetrieb bestimmten Zeichnungen. Auch die Tatsache, daß z. B. ein gezeichneter Kopf mit

1 Die Literatur zu den einzelnen Blättern ist in dem Katalog von Hannema verzeichnet. Da die meisten Zeich-
nungen in einem Abbildungsband reproduziert sind, kann ich mich hier beschränken, die Reproduktionen jener
von mir erwähnten Blätter zu zitieren, die dort nicht publiziert sind.

2 Vgl. Weale, Hubert and John van Eyck, London 1908, p. 57 ff.

3 Die vorsichtigste Kritik bei Friedländer: Jan van Eycks Altar aus Ypern, Cicerone, XXI (1929), S.432ff.

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