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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 2.1937

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Benesch, Otto: Kritische Anmerkungen zu neueren Zeichnungspublikationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6337#0023

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und Rembrandt), weist auch einige niederländische Blätter des frühen XVI. Jahrhunderts
auf. Eines derselben, die „Heilung des Lahmen", hat bereits M. D. Henkel (Old Master Dra-
wings, VI, PI. 64) erfolgreich auf seinen Meister bestimmt: Pieter Cornelisz Kunst. Auch von
dem Meister, dessen zeichnerischer Stil die Grundlage für Pieter Cornelisz abgegeben hat,
Jan de Cock, besitzt die Sammlung ein charakteristisches Blatt. Es ist eine Strahlenkranz-
madonna auf der Mondsichel (212 X 160), die von Batowski auf Taf. 44 seiner Veröffentlichung als
„Schule Dürers, XVI. Jahrhundert" abgebildet wird (Abb. 4). Der Gedanke, daß das Blatt durch
Dürers Kupferstich von 1508 (B. 31) inspiriert wurde, liegt um so näher, als das Kind fast
identisch im Spiegelbild dem von Baidungs Freiburger Madonna entspricht, also auch der
Ursprung einer solchen Einzelheit im Dürerkreis nachzuweisen ist. Was seine Bestimmung
auf Jan de Cock rechtfertigt, ist der Vergleich mit der Zeichnung des Joachimsopfers in Wilton
House,1 die von Friedländer als ein Werk des Meisters erkannt wurde.2 Die Mutter Gottes
auf der Mondsichel ist eine ebenso „dünnscheibige" Gestalt ohne körperliche Tiefenwirkung
wie die Handelnden in der Bibeldarstellung. Hauptsächlich sprechen an ihr die Umrisse, die
ihr großzügig geflammten Schwung verleihen. Das Faltenwerk des Gewandes ist mit aus-
gesprochener Neigung zum Ornamentalen behandelt. Es läuft mit einer selbstgefälligen Freude
am Dekorativen dahin, nicht anders als etwa in einem gleichzeitigen oberdeutschen Relief
der Donauschule. Auch das Gitterwerk der Kreuzlagen hat mehr schmückende als körperlich
rundende Bedeutung. Charakteristisch sind die Lagen flacher Bogenstriche, die die Falten-
rücken wie Stiche einer Naht begleitenden kurzen Kommas, die genau so auf der Wilton
House-Zeichnung begegnen. Als besonders bezeichnendes Detail sei die zitterige Konturierung
der langfingrigen Hände (vgl. den Hohenpriester) angeführt. Die Warschauer Zeichnung
dürfte (wie ihre beschnittene Umrandung vermuten läßt) wohl ein Scheibenriß sein.

Als Tafel 5 erscheint in der gleichen Veröffentlichung ein Kirchenfensterentwurf mit der
Beschriftung „Niederländische Schule, XVI. Jahrhundert" (Abb. 5). Er stellt die Beschneidung
Christi in freier Verteilung auf eine durch das Gestänge in drei Zonen unterteilte Fläche dar
(345 X 238). Die Festlegung auf den Meister läßt sich ohne große Schwierigkeiten voll-
ziehen: es handelt sich um ein Werk des Pieter Coecke van Aelst (eine alte Zuschreibung
lautete „J. Cousin"). Zum Vergleich im bekannten Oeuvre des Meisters scheint mir eine
Zeichnung des Berliner Kupferstichkabinetts „Paulus vor den Richtern" am besten geeignet,
die sich auf der Auktion Boerner 9. Mai 1930 (Kat.-Nr. 108) befand. Da und dort handelt
es sich um ein voll entwickeltes Werk des raffaelesken Romanismus, durch den Einfluß der
Blesgruppe-Manieristen jedoch stärker bewegt und mehr in flammendes Lodern versetzt als
die Blätter des sehr verwandten Orley. Zur weiteren Stützung der Zuschreibung möchte ich
auch auf die Zeichnungen des Meisters in der Albertina (Kat. Nr. 50—53) verweisen. Unter seinen
Tafelbildern stehen der Warschauer Zeichnung die beiden Passionstafeln am nächsten, deren
eine, „Christus vor Kaiphas", sich im Kaiser-Friedrich-Museum befindet (II 202), während
die andere, „Christus vor Pilatus", dem Berliner Schloßbestand entstammt.

1 Drawings by the old masters in the collection of the Earl of Pembroke at Wilton House, London 1900, Taf. 31.

2 Die niederländ. Manieristen (Bibl. d. Kunstgesch., 8), Leipzig 1921, S. 8.

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