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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 2.1937

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Musper, Theodor: Die Urausgabe der Apokalypse
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https://doi.org/10.11588/diglit.6337#0134

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TH. MUSPER / DIE URAUSGABE DER APOKALYPSE

W. L. Schreibers Manuel1 zufolge gibt es sechs Ausgaben der Apokalypse. Entsprechend
seiner Vorstellung von dem Arbeitsprozeß, in dem die ältesten Blockbücher entstanden sein
sollen, nimmt Schreiber an, daß es sich in allen Fällen um Kopien oder Nachschnitte nach
einer verlorenen chiro-xylographischen Ausgabe handle. Trotzdem weist er seiner Ausgabe I
qualitativ die erste Stelle an. Merkwürdigerweise auf Grund der Kolorierung. „En cette Situa-
tion", so sagt er, „le merite d'artiste faut etre decisif." Nach seiner Lehre sind nämlich an den
Holzschnitten nicht etwa Künstler beteiligt, sondern Holzschneider haben die Vorlagen kopiert
und diese Holzschneider waren nicht einmal Zeichner. Wohl aber wurden die Holzschnitte von
Künstlern koloriert. Wenn auch sonst nichts zur Stützung der These von der Überlegenheit
der Ausgabe I beigebracht wird, so wird doch bei Ausgabe III ausdrücklich gesagt, ihr Schnitt
sei weniger geschickt und die Figuren haben alle „Ochsenaugen". Schreiber eliminiert den
zeichnenden Künstler vollständig und selbst für die Lokalisierung wie für die künstlerische
Qualität eines ganzen Blockbuches erscheint ihm der Kolorierer als entscheidende Figur. Kein
Wunder, daß Kristeller, der im Jahre 1916 eine Lichtdrucknachbildung der Apokalypse mit
einem umfangreichen gelehrten Text herausgab, sich folgenden Stoßseufzers nicht enthalten
konnte: „So wenig man den künstlerischen Vorzügen der Apokalypse-Holzschnitte gerecht
geworden ist, so wenig hat man sich über die Zeit und den Ort ihrer Entstehung einigen können.
Die verschiedenen Ansichten der Forscher hierüber einzeln aufzuführen, würde wenig Nutzen
bringen. Die Behauptungen der meisten und besonders die von Schreiber beruhen auf kunst-
historisch so falschen Anschauungen und sind zudem wissenschaftlich so wenig schlußrichtig
entwickelt, daß mir eine Auseinandersetzung mit ihnen zwecklos erscheint."

So deutlich nun Kristeller die Fehler Schreibers sah, dessen enormer Fleiß und dessen einzig-
artige Verdienste um die Erforschung der Inkunabeln nicht in Zweifel gezogen werden sollen,
der aber das Unglück hatte, kein Organ für die künstlerischen Werte der von ihm mit so unend-
licher Sorgfalt registrierten Bücher und Holzschnitte zu besitzen, so hinderte Kristeller diese
Einsicht nicht, seinerseits in einen nicht minder schweren Irrtum zu verfallen. Bei Kristeller
wird die Ausgabe I/II — die Platten beider Ausgaben unterscheiden sich nur durch die Sig-
naturen — zur Ur aus gäbe.2

Er nennt seine Apokalypse „älteste Blockbuchausgabe" und sagt von ihr, daß sie die bei
weitem vorzüglichste Ausführung zeige und in der Geschichte der Holzschneidekunst be-
deutungsvoll und unerreicht an der Spitze einer lange und reich sich ausbreitenden Entwick-
lungsreihe stehe und daß sie das Vorbild der genauen Kopie III und der Ausgabe IV und V
gewesen sei und als Holzschnittbearbeitung allein die originale Fassung biete. So legte er denn
auch Ausgabe I/II für seine Nachbildung zugrunde.

Schwer erklärlich ist, daß Kristeller die Ausgabe I/II nur abhebt von IV und V und in zahl-
reichen Vergleichen und ausführlichen Erörterungen die Überlegenheit von I/II gegenüber
diesen beiden schlechteren Ausgaben demonstriert. Zu beweisen, daß III sich nicht messen
könne mit I, erschien ihm überflüssig. So fest stand sein Verdikt über diese Ausgabe. Er nennt
III eine genaue, grobe und gedankenlos gearbeitete Kopie nach I/II, muß aber doch zuge-
stehen, daß sie den sorgfältigsten und deutlichsten Text aufzuweisen habe. Außerdem stellt
er fest, die Anordnung der Bilder gegenüber dem Bibeltext sei noch fehlerhafter als in I/II,

1 Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV siecle, Bd. IV, 1902, S. 160 f.

2 Scliretlen dagegen sagt: „we havegoodreasonto suppose, that the original has been lost and that only copies
remain". (Dutch and flemish woodcuts of the 15th Century, 1925, S. 15.)

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