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III

DIE STEREOMETRISCHE FORMUNG DES RAUMS

DÜSSELDORF FRÜHJAHR" 1903 bis HERBST 1907

Ars musica est exercitium arithmeticae
occultum nescientis se numerare animi.
Leibniz

Im Winter 1902 zu 1903 hatte der Oberbaurat
Theodor von Kramer, Direktor des Bayerifchen
Gewerbemufeums, Behrens zweimal nach Nürn-
berg kommen laflen, um dort Meifterkurfe ab-
zuhalten, d. h. um in ihrem Gewerbe erfahrene
ältere Handwerker der verfchiedenen Berufs-
zweige mit den künftlerifchen und technischen
Fortfehritten des modernen Kunftgewerbes, mit
der Verarbeitung guter Materialien in guten, nicht
kopierenden Formen, bekannt zu machen und
fo einen Stamm vorbildlicher, tüchtiger Autori-
täten im Handwerke felbft zu fchaffen. Der
Vergeh fiel fo günftig aus, daß man auch außer-
halb Bayerns darauf aufmerkfam wurde und
das preußifche Handelsminifterium mit großem
Scharfblick Behrens an die gerade verwaifte
Kunltgewerbefchule in Dülfeldorf als Direktor
berief, mit der Befugnis, diefe nach feinen
modernen Ideen neu zu organifieren.
Es verfteht [ich fehr natürlich, daß Behrens nicht
ungern Darmftadt verließ, tro£ aller Freiheit,
trotj alles liberalen und innerlich verftändigen
Mäcenatentums, vor allem des ja felbft fo
künftlerifchen Großherzogs. Aber die Künftler-
kolonie war eigentlich immer nur eine Ver-
fammlung, feiten eine Harmonie gewefen, was
bei der Verfchiedenartigkeit faft aller ihrer Mit-
glieder gewiß nicht verwundern kann. Dazu
kam der innere Gegenfatj zu Olbrich, der (ich
von Tag zu Tag vergrößern mußte, alles andere
Gründe, als die törichten kaufmännifchen oder
perfönlichen, die das der jungen kunftgewerb-
lichen Bewegung feindliche Publikum für die
Auflöfung der Künftlerkolonie annehmen wollte,
jenes ftets irrende Publikum, das von feinem
«praktischen» Verftande aus niemals den Angel-
punkt der wirklichen kunftgefchichtlichen Ent-
wicklung zu begreifen vermag, nämlich die
intuitiv fchöpferifche Individualität.
1. NEUORGANISATION DER DÜSSEL-
DORFER KUNSTGEWERBESCHULE. Kaum
hatte Peter Behrens feinen Direktorpoften in
Dülfeldorf angetreten, als er die Neuorganifation
leiner Schule mit voller Kraft in Angriff nahm.

Über Tie hat Dr. H. Board in der «Dekorativen
Kunft» bei Gelegenheit einer Schülerausftellung
zu Anfang des Sommerfeme fters 1904 ausführlich
in Bild und Darlegung berichtet.1)
Der kunftgewerbliche Unterricht ift aufs Engfte
mit dem Problem der Stilifierung verbunden.
So lange unfere älteren Kunftgewerbefchulen
nichts anders waren als pfeudokunfthiftorifche
Leliranftalten für verflogene Stilformen, die fie
in einem indifferenten Eklektizismus famt und
fonders den Schülern beibrachten, drückte fie
das Problem natürlich wenig: man dekorierte
mit den kaum mehr lebendig empfundenen,
«alten» und dadurch geheiligten Formen Ge-
brauchsgegenftände unferer modernen Zeit, ohne
[ich über diefe contradictio in adiecto weiter
aufzuregen. Erft als die neuen materialiftifchen
Kunfttheorien von der «Äfthetik des Gebrauchs-
zwecks» und der «fachlichen Ausnutzung des
Materialcharakters», die ebenfo philofophifch
widerfinnig, wie für den Anfang praktifch heilfam
waren, Boden gewannen, fah man fich auch nach
modernen dekorativen Flächenformen um, und
begann, da man nun einmal in einer Periode des
Naturalismus ftand, luftig die Natur zu ftilifieren,
d. h. einfach mehr zeichnerifch als malerifch
umritfene, wirkliche Blumen, Pflanzen, Tiere auf
Mobilien, Gewebe, auf die Seiten des Buches
«als Buchfchmuck» ufw. direkt zu fetjen, zu ver-
wenden: Man erinnert fich der «natürlichen»
Rofen, mit denen der Maler Hans Chriftianfen
fämtliche verfügbaren Flächen feiner Darmftädter
Villa umrankte. — Und literarifch für die damalige
Zeit ift das Erfcheinen von Haeckels «Kunftfor-
men in der Natur» bezeichnend, ein Werk des
großen Naturforfchers und miferablen Philo-
sophen, das fchon in feinem Titel die ganze
materialiftifche Verwirrung der damaligen kunft-
gewerblichen Äfthetik finden läßt. —
Auch in feiner Ornamentik war Behrens niemals
auf den zeitgenöffirchen Naturalismus hinein-
gefallen. Davor bewahrte ihn fein angeborenes

>) AugulH904. VU.JahrgangH.il. Siehe Nr. 43 der Literatur
über Behrens.

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