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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 3-4
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Tietze-Conrat, Erica: Die Ringstraße in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0104
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IÖ3

E. Tietzk-Conrat Die Riugstraße in Wien

164

Die Ringstraße in Wien

Als für Basteien und Glacis die letzte Stunde
gekommen war, nahm Friedrich von Amerling
Audienz beim Kaiser: „Eure Majestät, ich bin ge-
kommen, die Glacien zu retten!“ Das Gespräch1),
das dieser temperamentvollen Einleitung folgte, ist
wie vom Hauch der guten alten Zeit umweht und
rührend ist die Aussichtslosigkeit des Beginnens.
Aber in einem stimmte der junge Monarch dem
Maler bei: „ . . . Und die neuen Häuser! Es wäre
besser, wenn schon fiir die größere Bevölkerung ge-
sorgt werden muß, man setzte neue Stockwerke auf
die alten.“ Da sagte der Ivaiser: „Nun, schön sind die
neuen Häuser freilich nicht . . .“

Die Wälle und Tore wurden eingerissen, die
Glacis verbaut, am 1. Mai 1865 weiht der Kaiser die
Ringstraße ein. Und jene Häuser und Monumental-
bauten, die viele mißtrauisch und kopfschüttelnd
entstehen sahen, sollten bald den stolzesten Schmuck
der Stadt bedeuten, der ihren Bewohnern in den
glücklichen und begeisterten Stunden des Makart-
festzuges innig ans Herz wuchs.

Wie immer war in der nächsten Generation die
Begeisterung abgeflaut, dann ins Gegenteil umge-
schlagen und endlich kühler Gleichgültigkeit ge-
wichen. Wenn ich es heute wieder versuche, mich
mit dem Ringstraßenstil zu beschäftigen, so soll es
nicht aus der Liebe des Mitempfindens heraus, son-
dern aus dem historischen Sinn des Nachempfinden-
den geschehen.

Und wenn auch diese Denkmale ein bis zwei
Jahrzehnte nach jener für die historische Betrach-
tung notwendigen Altersgrenze entstanden sind, die
ja erfahrungsgemäß auf 60 Jahre abgerundet wird,
so soll uns das nicht hindern; jene 60 Jahre sind
nur eine Durchschnittsziffer, sie werden weit und
eng und richten sich nach der Qualität des Objektes
und der Intensität des Beschauers. Die subjektive
Formulierung lautet: Wenn Dinge, die uns unlieb
waren, wieder nahe kommen, so haben wir histori-
sche Distanz erlangt.

Beim Ausbau der Ringstraße war eine ganz
neuartige Aufgabe an die Architekten gestellt wor-
den, wie sie nur selten in der Geschichte der Städte
zu finden ist; und daß es nur eine Aufgabe war,
die nur eine einzige Lösung duldete, bedingt die
Großzügigkeit dieser Anlage und ihren kraftvollen
Eindruck.

Mitgeteilt in Eriedrich von Amkrling-, Ein
Lebensbild von L. A. Frankx, 1889, S. 105.

Das breite Feld der Glacis, das von dem Ring
derWälle zu den Vorstädten zog, sollte durch eine
mächtige Straße verbaut werden, deren Häuserreihen
einheitliche Fernwirkung, deren Einzelgebäude auf-
fallende Merksteine schaffen würden. Was war der
Zweck dieser Straße? Eine Verbindung der innern
Stadt zu den Vorstädten wohl nicht; statt des Gür-
tels der Festungswerke ist das Band der Straße
geschlungen, das im Nordosten das Wasserbett
schließt und wie durch unsichtbare Tore ergießt
sich der Verkehr über die Brticken des Kanals, über
die energisch vorstoßenden Radiallinien aus dem
Zentrum heraus. Am Ring merkt mans nicht so sehr,
weil die der innern analog gewachsene äußere
Straßenseite die Kulisse schließt; aber hinter dieser
Häuserzeile fühlt man den Abstand genau vom auf-
gelockerten Stadtkern zu den dicht in Haufen,
Rücken an Rücken stehenden Häusern derVorstadt,
vor deren geschlossenen Chor die wundervollen
Silhouetten der Sommerpaläste und die Kuppeln und
Türme der Kirchen treten. Die Ringstraße ist keine
Verkehrsader, die naturnotwendigeVerbindung zweier
Ziele; sie ist eine dem genießenden Spaziergänger
geweihte Anlage, sie ist ein festlicher Rahmen für
denkwürdige Menschenansammlungen, die imWeiter-
ziehen ein wechselndes Bild aufrollen und in neuester
Zeit vermittelt sie den Wagen- und Straßenverkehr,
der sich bei ihrer bequemen Breite leicht und schnell
vollzieht, während ihn das stets zunehmende Getriebe
lm Zentrum unmöglich macht.

Die Ringstraße ist so breit, daß die beiden
Häuserzeilen niemals einen Straßeneindruck zu-
sammenschließen; darum können sie auch, ohne die
Wirkung zu beeinträchtigen, streckenweise aussetzen
und Gärten Platz machen (Stadtpark). Die Privat-
häuser zeigen alle das gleiche Gepräge; keine Giebel,
Erker, Türme und Fassadenskulpturen ziehen in
aufdringlicher Weise das Auge auf sich, keine histo-
rischen Reminiszenzen fixieren das Bild, keines —
so ungeheuer groß diese Bauten auch sind — fällt
protzig aus dem Rahmen heraus, keines tritt be-
scheiden zurück, den Glanz des Nachbarn erhöhend.
Alle arbeiten mit denselben Mitteln auf dieGesamt-
wirkung der vornehm stillen Kulissen hin, über die
das ruhende Auge gleitet, ohne zu sehen. Und kein
anderer Stil eignet sich so gut zu diesem Zweck, wie
der aus der Biedermaierkunst gewachsene. Diese ge-
staltete die Fassaden rein zeichnerisch; in den
großen glatten Flächen sitzen die Fenster ohne
Rahmung, seichte Segmentbogennischen, kaum merk-
 
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