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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 3-4
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Tietze-Conrat, Erica: Die Ringstraße in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0105
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E. Tietze-Conkat Die Ringstraße in Wien

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lich vortretende Mittelrisalite deuten die Gliederung
an; eingeritzte Mäander oder rundgeschlungene
Flechtbänder beleben wie Sgraffito die horizontalen
Simsstreifen. Diese Häuserfronten der 40ger Jahre
würden über die breite Ringstraße hinweg wie kahle
Mauerwände gewirkt haben; hier mußten schon
kräftigere, in Licht und Schatten kontrastierende
Elemente herangezogen werden. Ganze Reihen von
Pilastern rahmen die unzähligen Fenster und rücken
die dunklen Mauerkerne hinter die lichten gliedern-
den Vertikalen; in die ideale Vorderfläche schieben
sich die Segment- und Dreiecksgiebel der Fenster-
rahmungen beraus, stark betonte Simse trennen die
Geschosse. Die Breitenrichtung der Häuser ist so
ausschlaggebend, daß sie die Straßenwirkung sichert,
die auch durch keine isolierende aufstrebende Dach-
anlage beeinträchtigt wird.2) Diese Häuserzeilen
laufen gerade, wo aber die Straße umbiegt, sind sie
durchbrochen; am eigenartigsten bei der Ecke des
Kolowrat- und Kärntnerringes; hier entsteht durch
die Durchbrechung der Schwarzenbergplatz. So feind-
lich etwa Sitte noch den modernen Großstadtplätzen
gegenübersteht, wir können bereits ihre künstlerische
Bedeutung erfassen und ihre Erhaltung ist ebenso
Aufgabe des Denkmalschutzes wie die der altertüm-
lich geschlossenen Plätze. Es ist eine schlimme
Sache um die Wortarmut der Sprache, denn solange
wir für beide Anlagen nur das eine Wort „Platz“
gebrauchen, werden sie miteinander verglichen und
niemals als gleichberechtigte Elemente des Stadtbildes
anerkannt werden.

Ein solcher Platz im neuen Sinne ist der
Schwarzenbergplatz: die ausladende Wand der Seiler-
stätte starrt undurchdringlich, die dunklen Häuser-
blöcke der Walfisch- und Schellinggasse, der Maxi-
milian- und Hegelgasse streben zueinander, die
Schwarzenbergstraße hat sie wie in einem letzten
Ausklingen der Eruption, die den Durchbruch des
Ringes bewirkte, auseinander getrieben. Kaum an
anderer Stelle spricht die Geschichte der organischen
Entstehung so klar zu uns. Und dann nach derVor-
stadt zu, treten die zwei gleichgebildeten Seiten-
kulissen auseinander und führen den Blick nachhinten;
ein Denkmal in ihrer Mittelachse verhindert uns, die
ungeheure Tiefe des Vordergrundes zu kürzen. Die
Straßenköpfe — Gußhaus-, Schwind-,Wohllebengasse,
Heumarkt — treten immer weiter auseinander, die
Kaserne duckt sich unters Straßenniveau, so daß der
Raum sich wie ein Riesendreieckdehnt; im Abschlusse
von den Seitenkulissen des Vordergrundes durch einen

2) Eine Ausnahme bilden die neuen Häuser am
Stubenring.

nicht zu berechnenden Raumstreifen getrennt und
darum aus jeder Perspektive gerückt, wie eine duftige
Fatamorgana dasSchwarzenbergpalais; der Zwischen-
plan nur durch den Hochstrahlbrunnen belebt, dessen
lichtdurchzitterter ungreifbarer Umriß dem Auge
keinen Anhaltspunkt gewährt.

Zwei andere Platzvarianten sind die Ausgestal-
tungen des Franzens- und Burgringes. Die des
Franzensringes konnte mit neugeschaffenen Elemen-
ten schalten, die des Burgringes mußte Neues mit
altem kombinieren. Reichsrats- und Universitäts-
gebäude sind die symmetrisch gestellten wuchtigen
Eckpfosten des Franzensringes; vom Burgtheater,
dem fixen Standpunkt des Beschauers, erscheinen
sie über den Bäumen des Rathausparkes wie breite
Blöcke. Zwischen ihnen wie ein riesengroßes Dreieck
das Rathaus, der Mittelbau frei aufsteigend, die
Flügel ins Grtin versinkend. Es sind nicht Denkmale
verschiedener Zeiten, die malerisch zusammenklin-
gen; es ist nicht die Reihe unauffälliger Privathäuser,
die alle ein gleichgestimmtes Antlitz zeigen. In
eklektisch gewählten verschiedenen Stilarten sind
die monumentalen Gebäude des Ringes geschaffen;
aber die ausgedehnte Anlage, bei der zwisclien pro-
spektartig postierten Gebäuden der Himmel tief
herabsteigt, die grtinenden Gärten, die das isolierte
Objekt in das Gesamtbild einschließen, lösen jeden
störenden Kontrast. Das Rathaus gilt als gotischer
Bau3). Der Historiker arbeitet nur ungern mit dog-
matisch versteinerten Stilbegriffen; doch soll die
Vergleichung versucht werden. In den Westfronten
gotischer Kirchenbauten offenbart sich das Auslaufen
der Tiefenrichtung der Schiffe; die Rathausfassade
wirkt ganz flach und läßt die gedehnten Hüfe da-
hinter nicht ahnen. Die Auflösung der Mauer durch
übereinander gelegte Spitzbogenarkaden wird durch
die Breitenwirkung der zwischen Simsen durch-
laufenden Balustrade, des kräftigen Kranzgebälkes
paralysiert. Wie anders ist die Bedeutung der Türme:
Bei gotischen Kirchen ein Zusammenschießen der
in die Höhe strebenden Kräfte an einem odermehreren
Punkten, hier zu befriedigendem Ende gewachsen,
dort im besten Wege geköpft, der aufragende Dach-
sattel noch im Überschuß des Dranges einen Dach-
reiter hervortreibend. Beim Rathause abgekuppte
Knöpfe an den Flügelecken, zwei Gruppen gleicher,
etwas höherer Spitzen auf dem Mittelbau, alle nur
auf die Wirkung des überragenden Mittelturmes hin
arbeitend. Der symmetrischen Anordnung zu einem

3) Vgl. Friedrich Schmidts Meinung über den Stil
des Rathauses bei Gurt.itt, Die deutsche Kunst des
XIX. Jhs. 1899, p-445-

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