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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 3-4
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Tietze, Hans: Stadtregulierungsfragen im alten Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0088
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BERICHTE

Stadtregulierungsfragen im alten Wien

Zum Unterschiede von Italien, wo sich die
antike Tradition und ein ausgesprochen monumen-
taler Sinn schon früh zur bewußt-künstlerischen Ge-
staltung des Stadtbildes verbanden, fehlt bei der
nordischen Stadt eine klare ästhetische Absicht; die
nordische Stadt gewinnt ihren Charakter und ihre
Schönheit in jenem instinktiven Sichweiterbilden von
Stück zu Stück, das Adolf Hildebrand einmal mit
einem schönen Bilde dem planlos-sinnvollen Wachsen
und Leben der Traumgebilde verglich1). Wo uns
Ausnahmen begegnen — wie etwa die systematische
Gestaltung des Salzburger Domplatzes im Jahre 1668
oder der Aufbau des schwäbischen Städtchens
Freudenstadt nach den Plänen Schickhardts im
Jahre 1599 — können wir sie als italienische Ein-
flüsse erklären. Erst die Geistesrichtung der Auf-
klärung hat hier allgemein Wandel geschatfen; sie
stellt „dem Geschichtlich-Gewordenen, das ein Ver-
derbtes und Verkünsteltes ist, die von derVernunft
geforderte Naturform gegenüber“2). Nun erstweicht
das natürlich gewachsene Stadtbild einer rationellen
Schöpfung, in der außer den ktinstlerischen Ele-
menten, wie Regelmäßigkeit, Einfachheit usw., die
Rücksicht auf utilitaristische Zwecke — Verkehrs-
notwendigkeiten, Hygiene usw. — eine große Rolle
spielen. In Wien setzt diese Strömung mit dem
XVIII. Jh. ein und KarlVI. hat das Verdienst, auf
dem Gebiete des öffentlichen Bauwesens viel im
Interesse der allgemeinen Wohlfahrt geleistet zu
haben3); unter Maria Theresia wird die Rücksicht-

f) Adoi.f Hit.debrand, Gesammelte Aufsätze, Straß-
burg 1909, S. 82.

2) Heinrich W5i.ffi.in, Salomon Gessner, Frauen-
feld 1889, S. 73.

3) A. Hoei.ler, Augusta Carolinae Virtutis Monu-
menta, Wien 1733, S. 68.

nahme auf die „Zier der Stadt“ eine stehende Rede-
wendung bei den Steuerbefreiungen. Den Höhepunkt
erreicht die Richtung im Jahrzehnte der Regierung
Kaiser Josefs II.; um diesen Zeitabschnitt möchte ich
deshalb einiges Material gruppieren, das keineswegs
Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber vom
Standpunkte der Geschichte des Wiener Stadtbildes
prinzipielles Interesse besitzt; diese Zeit scheint sich
um so mehr zu einer solchen Betrachtung zu eignen,
als die damals neu entfesselte Preßfreiheit uns auch
die sogenannte öffentliche Meinung zu belauschen
gestattet, für die schon damals die Sechskreuzer-
literaten das große Wort führten. lm Anschlusse
daran wird das Fortwirken dieser Ideen in die Zeit
Kaiser Franz’ I. zu schildern sein.

I.

Einer durchgreifenden Umgestaltung der Stadt
standen in Wien mehr Hindernisse im Wege, als dies
in anderen Städten der Fall war; großzügige Maß-
regeln, wie die Regulierung der Dresdener Neustadt
im Jahre 1732 oder Schöpfungen, wie Hardouin
Mansarts monumentale Platzanlagen in Paris (Place
des Victoires 1685, Place de Louis le Grand 1699)
wären hier unmöglich gewesen. Denn der charakte-
ristische Zug des alten Wien ist der Gegensatz zwi-
schen der Gedrängtheit und Überfüllung der eigent-
lichen Stadt und der Weitläufigkeit der Vorstädte;
war ja Wien eine Festung, die erst 1683 eine schwere
Kraftprobe zu überstehen gehabt hatte und so blieb
auch im XVIII. Jh. der Stadtkern von einem Gürtel
von Festungswerken eingeengt, der die freie Ent-
wicklung und das Zusammenwachsen mit den neu
aufblühenden Vorstädten unterband und innerhalb
dessen eine radikale Umgestaltung wegen der hohen
Bodenwerte schon aus finanziellen Gründen unmög-
 
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