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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 1-2
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Tietze, Hans: Moderne Kunst und Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0007
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ALLGEMEINES

Moderne Kunst und Denkmalpflege

Wenn man das kleine Häuflein derer betrachtet,
die ihr Leben künstlerisch zu umgeben bemüht sind,
die dem steten Andringen des gröbsten Utilitarismus
und der stumpfen Gedankenlosigkeit gegentiber die
Rechte ästhetischer Faktoren verteidigen, so hat man
bisweilen die Empfindung, daß jene Schar in ihrem
hoffnungslosen Kampfe nach zwei Fronten ficht; daß
es nicht möglich ist, mit gleichem Nachdrucke seinem
Interesse an alter und seiner überzeugten Begeisterung
für die neue Kunst Ausdruck zu geben. Ja, dieses
Beginnen könnte nicht nur als eine Kräftezersplit-
terung, sondern als ein unstatthafter ästhetischer
Latitudinarismus erscheinen. Von einer Seite, die den
Interessen der Denkmalpflege sonst nahe steht, ist
ein ähnliches Bedenken jüngst erhobenund die
Meinung ausgesprochen worden, das gegenwärtig
so vielfach zutage tretende Interesse für „Denkmal-
pflege“ sei als eine „Empfindungsbequemlichkeit“ zu
mißbilligen; es sei ein Versuch, sich durch Flucht
in Heimatschutz und ähnliche Bestrebungen den un-
gleich brennenderen Bedürfnissen der Gegenwart
zu entziehen und durch die Hingabe an die Denk-
mäler vergangener Kulturen dem strengeren Dienste
der modernen Kunst auszuweichen. So sei die Heimat-
schutzbewegung ein beklagenswerter Hemmschuh
für die glorreich vorwärtsschreitende moderne Kunst,
in deren Interesse sie zurückgedämmt werden müsse.
In der Tat auch nach meiner Meinung werden müßte,
wären obige Annahmen richtig.

Die landläufige Betrachtung der Kunstentwick-
lung begeht einen folgenschweren Fehler. Gewohnt,
sich diese Entwicklung zu einem reinen Nacheinander
zu vereinfachen, macht sie eine Aufeinanderfolge von
Schlagwörtern, Stilbezeichnungen, Künstlernamen
zum starren Rückgrate ihres Systems und übersieht
darüber, daß jenem Nacheinander ein nicht minder
wichtiges und charakteristisches Nebeneinander ent-
spricht. Legen wir in einem bestimmten Punkte einen

l) E. W. Bredt, Empfindungsbequemlichkeit in
Deutscher Kunst und Dekoration, 1908, November.

Querschnitt durchdieEntwicklung, sosind wirerstaunt
über die Fülle gleichzeitiger Erscheinungen, die in
ihrem Widerspruche das Bild einer Kunstepoche aus-
machen. Als z. B. Rafael die Werke schuf, die wir
als die Hauptleistungen des Cinquecento ansehen,
leben und wirken noch Meister wie Signorelli oder
Pietro Perugino, typische Quattrocentisten, und ihre
Vielbeschäftigkeit zeigt, daß sie noch ein zahlreiches
Publikum besaßen. Und ähnliches wiederholt sich,
mehr oder minder stark wahrnehmbar, zu allen Zeiten.

Es kann nicht ohne weiteres leicht sein, insolchem
Widerstreite gleichzeitiger Richtungen das jeweilig
Moderne, jeweilig Maßgebende zu bezeichnen. Daß
es jedesmal das Neueste, das vom gestern Gültigen
am stärksten Abweichende ist, wird wohl niemand
ernstlich verteidigen. Daß es jedesmal daskünstlerisch
Wertvollste ist, werden wir gleichfallsschwerzugeben,
wenn wir bedenken, daß z. B. Rembrandt in seiner
Spätzeit ein tiberwundener, knapp nach seinem Tode
ein vergessener Mann war. Auch was am stärksten
weiter gewirkt hat, läßt sich nicht ohne weiteres fest-
stellen. Denn die möglichen Entwicklungsreihen sind
sehr zahlreich, sie sind zu jedem Standpunkte, jeder
individuellenBetrachtung relativ. UmbeidemBeispiele
Rembrandts zu bleiben: die unmittelbare Weiter-
entwicklung der holländischen Malerei führt von dem
ihn aus der Gunst des Publikums verdrängenden
Van der Helst zunächst zu Adriam van der Werff
und zu einer neuerlichen lnangriffnahme der Form-
probleme. Aber der Entwicklungsgang der Malerei
im XIX. Jh. hat zweifellos an Rembrandt ange-
knüpft und seinen Faden weitergesponnen. Die
historische Betrachtung verändert also die Bewertung
des Einzelfaktors je nach der Distanz des Stand-
punktes, dem augenblicklichen Stande der allgemeinen
Probleme usw.

Was von der Bedeutung einzelner Künstler,
von persönlichen Richtungen gilt, kann auch von
jenen größeren Richtungskomplexen gesagt werden,
die wir als Stile zu benennen pflegen; auch „Stile“
existieren nebeneinander, haben gleichzeitig ihre

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