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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Editor]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale - Beiblatt für Denkmalpflege — 1909

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Heft 3-4
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Tietze-Conrat, Erica: Beiträge zur Geschichte der Grabensäule in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.26207#0103
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E. Tietze-Conrat Beiträge zur Geschichle der Grabensäule in Wien

Burnacini also griff in die Arbeit ein und (iber-
nahm es, die obere Hälfte des Denkmals, den Aufbau
über dem gestuften Postament zu verändern; vor
allem statt des abgespielten Säulenmotives ein neues
zu erfinden und von der altertümlich wirkenden
Dreifaltigkeitsgruppe abzukommen. ln dem Kodex
der Hof bibliothek, Min. 29, der eine Sammlung von
Handzeichnungen des Ludovico Burnacini enthält,
sind vier Bleistiftskizzen, die ich mit der Graben-
säule in Zusammenhang bringe und als illustrieren-
des Material heranziehe, um den Werdegang der
Idee darzulegen. Taf. la tritt an die Spitze; doch weil
dieser flüchtige Entwurf nur den ersten Concetto zu
Taf. 16 bedeutet, kann gleich auf diese übergegangen
werden. Statt der Säuie eine Wolkenpyramide ohne
architektonisches Gerippe; die Gruppe der hl. Drei-
faltigkeit ganz aufgelöst, Gottvater zuhöchst sitzend,
unter ihm die Taube und etwa in der Mitte des
ganzen Auf baues, von Wolkenspiralen getrennt, Gott-
sohn stehend, das hohe Kreuz in der Rechten. Die
neun großen Engel waren noch nicht für den Auf bau
in Aussicht genommen, hingegen vielleicht die Alle-
gorie der Überwindung der Pest durch den Glauben,
die später am Postament dargestellt wurde; denn
mehrere Leichen bilden den Fuß der Wolkenpyra-
mide, und über ihnen steht eine Frau mit einern
Keiche zwischen zwei knieenden allegorischen Ge-
stalten, ein großer Engel weist zum Heiland empor.
Trotz des großen Abstandes dieser Skizze zum aus-
geführten Denkmal möchte ich doch den Zusammen-
hang vermuten; die ähnliche Pyramidenform spricht
dafür wie auch die deutliche Absicht, ausschließlich
einen Aufbau, ohne Andeutung eines Postamentes
zu entwerfen, wie es eben in der Aufgabe Burnacinis
lag. Auch finden sich prinzipiell gleiche Abstände
bei der dritten zweifellos zugehörigen Zeichnung.
Taf. Ic: noch immer die Struktur des Aufbaues ver-
hüllt; doch ist Christus bereits sitzend dargestellt,
höher hinaufgerückt, so daß er schräg unter Gott-
Vater die Silhouette des Wolkengipfels bildet. Es
scheint, daß mit der hl. Dreifaltigkeit eine Krönung
Mariens verbunden war, wie es bisweilen vorkommt,
denn als hl. Jungfrau dürfte die knieende Figur unter

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Christus am ungezwungensten zu deuten sein. Daß
der betende Heilige unter Maria einer der Pestheili-
gen ist, kann nur vermutungsweise ausgesprochen
werden. Am Fuße des Aufbaues kniet Kaiser Leo-
pold I. neben seinem heiligen Namenspatron; bei
der letzten Fassung kam Burnacini wieder davon
ab, die Kaiserstatue in die Komposition einzubezie-
hen; beim ausgeführten Denkmal wurde die Stifter-
figur, ohne den Patron, vor der zweiten Postament-
stufe, über dem Siege des Glaubens, angebracht.
Doch sind bereits in diesem Vorstadium die neun
Engel in die Wolkensäule eingesetzt, der rechts
skizzierte sogar in genauer Übereinstimmung mit
der letzten Fassung. Der Schritt zu dieser ist ein
großer (Taf. I d). Burnacini hat in einem Zuge mit
der Überfülle der Figuren aufgeräumt, die einen
chaotischen Eindruck bewirkten. Er arbeitet die
architektonische Struktur heraus, legt die Steinpyra-
mide zum Teil bloß, um die sich Wolkenkränze
winden und krönt sie mit der regelmäßig kompo-
nierten Dreifaltigkeitsgruppe; er stellt die Engel auf
drei Wolkenstaffeln übereinander: die obersten drei
mit dem Rücken an die Pyramidenkanten, die drei
darunter vor die Flächen und die untersten bringt
er den obersten entsprechend vor den Kanten, doch
sitzend an. Diese letzte Skizze stimmt im wesent-
lichen mit dem ausgeführten Denkmal überein (Fig. 1);
einzelne Bewegungen der Engel, einzelne ihrer Attri-
bute sind verändert, wie es wohl begreiflich ist, ins-
besondere da die Figuren zum Teil bereits gearbeitet
waren.

Fassen wir den Anteil Burnacinis, wie wir ihn
aus der archivalischen Überlieferung und den Zeich-
nungen gesichert haben, zusammen, so finden wir,
daß der ideenreiche Theaterarchitekt die Erwartun-
gen, die man auf ihn gesetzt hatte, vollauf erfüllt
hat; er hat einen banal gewordenen Typus zu einem
reic.hen phantastischen Kunstwerk umgestaltet, das
eine Reihe von Nachahmungen und Varianten ins
Leben rief und das, gepriesen oder gelästert wie
kaum ein zweites, zu einem neuen Wahrzeichen
Wiens geworden ist.

E. Tietze-Conrat

Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission 1909. Beiblatt

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